Skip to main content

Lydia Jaeger: „Wissenschaft ohne Gott?“

zum Verhältnis zwischen christlichem Glauben und Wissenschaft
Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn, 2007. Pb., 121 S.


Nachfolgend eine Rezension von Reinhard Junker:

In den Medien werden seit einigen Jahren der sogenannte Kreationismus und der „Intelligent Design“-Ansatz nicht nur (wie schon früher) als unwissenschaftlich, sondern auch als wissenschaftsgefährdend und demokratiefeindlich gebrandmarkt. Oft gerät dabei jeglicher Bezug auf einen Schöpfer im Zusammenhang mit wissenschaftlichem Arbeiten mit unter die Räder. In dieser Situation kommt dieses Buch von Lydia Jaeger gerade recht. Denn es zeigt in einer soliden wissenschaftshistorischen Analyse und anhand des biblischen Schöpfungsglaubens die Unhaltbarkeit solcher pauschaler Diffamierungen. Der Schöpfungsglaube widerspricht naturwissenschaftlichem Forschen nicht, sondern ist in gewisser Weise dessen Basis.

Das Buch ist eine Übersetzung aus dem Französischen; es erschien im Original im Jahr 2000. Sein Inhalt ist also nicht als Antwort auf die seit Mitte 2005 aufgeflammte Medienkampagne zum Thema Schöpfung und Evolution verfasst worden. Vor deren Hintergrund ist dieses Buch heute aber ausgesprochen aktuell.

Die Autorin ist Dozentin und Studiendirektorin am Institut Biblique de Nogent-sur-Arne, einer Bibelschule bei Paris. Nach dem Studium in Physik in Köln folgte ein Studium der Theologie im französischen Vaux-sur-Seine. Den Doktorgrad erwarb die Autorin sich mit einer Arbeit über die möglichen Beziehungen zwischen dem Begriff des Naturgesetzes und religiösen Überzeugungen. Für die interdisziplinären Fragen, die sie in ihrem Buch angeht, ist sie also gut gerüstet.

Im ersten Hauptteil widmet sich die Autorin den Anfängen der Wissenschaft im modernen Sinne. Johannes Kepler, Robert Boyle und Isaac Newton betrieben Naturwissenschaft, weil sie die Welt als Schöpfung verstanden und daher Rationalität und Ordnung erwarteten, die erforschbar ist. So konnte für Newton die „überaus geschickte Anordnung der Sonne, der Planeten und der Kometen nur dem Plan und der Herrschaft eines einsichtigen und mächtigen Wesens entspringen“ (S. 33). Die Einsicht, dass der Schöpfer frei in seinem Handeln und dass das menschliche Verstehen begrenzt ist, schützt vor unkontrollierter Hypothesenbildung zugunsten der Erfahrungsorientiertheit. Wahre Wissenschaft konnte für die genannten Forscher niemals dem Glauben widersprechen, sondern musste den Menschen dazu bringen, „seinen Schöpfer noch mehr zu verehren, je mehr sich ihm die Geheimnisse der Natur erschließen“ (S. 31). Das gilt auch für Galilei, der fälschlicherweise geradezu stereotyp als Kronzeuge für den Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion aufgeboten wird. Im Fall Galilei ging es nicht um Kirche gegen Wissenschaft, sondern um eine „Auseinandersetzung zwischen zwei unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansätzen“ (S. 23) – unbeschadet des Fehlverhaltens, das auf beiden Seiten vorkam. Eine positive Haltung zur wissenschaftlichen Forschung kann auch bei den Reformatoren beobachtet werden. Die Autorin zeigt dies etwas ausführlicher am Beispiel Calvins. Sie kommt zum Schluss, dass die moderne Wissenschaft zwar nicht direkt aus dem Christentum abzuleiten, dass aber der christliche Schöpfungsglaube gleichsam Pate der Wissenschaft sei (S. 39f.).

Im zweiten Kapitel geht es um das biblische Weltbild, der Lehre von der Schöpfung und der Vorsehung. Die Schöpfung ist ein Akt des dreieinigen Gottes, Gott erschuf aus freiem Willen, Gott schuf am Anfang, Gott schuf das ganze Universum und Gott schuf aus dem Nichts durch sein Wort. Die Geschöpfe existieren eigenständig, sind aber abhängig von Gott. Die Autorin unterscheidet unter Verweis auf zahlreiche biblische Aussagen zwischen der Erschaffung der Welt und ihrer Erhaltung unter der Regentschaft Gottes. Sie verwirft die Vorstellung von einem kontinuierlichen Schöpfungsakt. Durch den initialen Schöpfungsakt „erhält die Schöpfung eine dauerhafte Stabilität, die es ihr ermöglicht, aktiv zu sein und zum Auslöser für weitere Auswirkungen zu werden“ (S. 53). Hier geht es um die sogenannten „Zweiten Ursachen“ (causae secundae), um Kausalzusammenhänge auf der Basis des zuvor Geschaffenen. „Gott erhält seine Schöpfung am Leben und lenkt den Lauf der Geschichte, aber er tut es, indem er die Natur jedes Wesens respektiert und so den Zweiten Ursachen erlaubt, zum Tragen zu kommen“ (S. 54).

Weshalb ist nun Wissenschaft gerade in einer geschaffenen Welt möglich? Mit dieser interessanten Frage setzt sich Lydia Jaeger im dritten Kapitel auseinander. Die von Gott eingesetzte Ordnung und seine Herrschaft durch die Zweiten Ursachen ermöglicht Regelmäßigkeiten des Weltgeschehens und die Unveränderlichkeit ihrer Ordnungen. Einige Passagen der Bibel drücken auch explizit die Überzeugung aus, „dass die Gesetze der Schöpfung universell sind“ (S. 61). „Diese Universalität leitet sich aus dem biblischen Monotheismus ab“, denn alles ist seiner Herrschaft unterstellt, und nur ein allmächtiger Schöpfer „kann die Stabilität der im Schöpfungsakt eingesetzten Ordnungen garantieren“ (S. 62). Diese Ordnung ist für den Menschen verstehbar und der Garant für erfolgreiche wissenschaftliche Forschung. „Da Gott sowohl die Natur als auch den menschlichen Geist erschaffen hat, garantiert dieser gemeinsame Ursprung, dass zumindest einige Facetten der geschaffenen Ordnung für den Menschen zugänglich sind“ (S. 65). Doch ist auch eine gewisse Distanz zwischen Mensch und Natur erforderlich, so dass der Forscher und sein Forschungsobjekt einander gegenüber stehen.

Auf der anderen Seite stößt der menschliche Verstand auch an Grenzen. Das liegt zum einen an der Unbegreiflichkeit Gottes, zum anderen aber auch an dem Bruch zwischen Gott und Mensch, den die Bibel Sünde nennt und der dazu führt, dass die Menschen „die Wahrheit in Ungerechtigkeit gefangen“ halten (nach Paulus im 1. Kapitel des Römerbriefs). Trotz der Sündhaftigkeit kann aber der Mensch etwas von der Schöpfung verstehen. Die Autorin macht deutlich, dass der Wunsch alles erklären zu wollen, „nichts mit Wissenschaft, sondern vielmehr mit Szientismus“ zu tun“ hat (S. 68). Denn „wäre der menschliche Verstand ausschließlich von physikalischen und chemischen Gesetzen bestimmt, wäre nicht erklärbar, warum er zu Schlussfolgerungen kommen kann, die als wahr bezeichnet werden“ (S. 68).

Die Wirklichkeit ist facettenreich, und nur bei Anerkennung von mindestens zwei Bereichen der Realität ist Wissenschaft überhaupt möglich: die (natur)wissenschaftlich beschreibbare Dimension und der menschliche Verstand. Ein Reduktionismus würde dagegen fordern, dass jedes Phänomen physikalisch-chemisch aus Gesetzen abgeleitet werden kann, was dann auch auf jede wissenschaftliche Aussage zutreffen würde. Ein Gegenüber zwischen Forscher und seinem Forschungsgegenstand gäbe es nicht mehr, womit Wissenschaft ad absurdum geführt wäre. Daher gilt: „Damit Naturwissenschaft überhaupt möglich ist, müssen wir gerade voraussetzen, dass sie das Wesen des menschlichen Verstandes nicht vollständig beschreibt“ (S. 75). Echte Wissenschaft mache demütig, erkenne ihre Grenzen an und beuge sich dem Vielschichtigen.

Bemerkenswert sind auch die Ausführungen zum experimentellen Ansatz der Wissenschaft. Er erschließe sich auf dreierlei Weise aus dem biblischen Schöpfungsgedanken: 1. Aus der Freiheit des Schöpfers und der damit verbundenen Nicht-Notwendigkeit der göttliche Werke. Darum können die Gesetze der Welt nicht durch Mutmaßungen oder durch den bloßen Einsatz des Verstandes entdeckt, sondern müssen durch Empirie erforscht werden. 2. Da die Welt als geschaffene Welt entmythologisiert ist, kann der Wissenschaftler sie untersuchen. 3. Die materielle Welt erfährt eine Wertschätzung, denn sie ist Schöpfung Gottes. Damit wird auch das handwerkliche Tun wertgeachtet und somit auch die „Handarbeit“ der Wissenschaft hochgeschätzt.

Aus dem 4. Kapitel („Ist eine naturalistische Wissenschaft überhaupt denkbar?“) sei die Frage nach den Wundern herausgegriffen. Unterminiert es nicht die Wissenschaft, wenn es ein göttliches Eingreifen gibt? Dies wird in der aktuellen Kampagne um Schöpfung und Evolution oft behauptet. Tatsächlich sind in der Bibel Wunder selten und sie haben immer Zeichencharakter und sind mit einem besonderen Sinn verbunden; es handelt sich nicht um willkürliche Zaubereien (womit die biblischen Wunder manchmal unsachgemäß verglichen werden). Gelegentlich vorkommende Wunder stören nicht die Analyse experimenteller Ergebnisse und stellen wissenschaftliches Arbeiten nicht in Frage.

Im abschließenden Kapitel „Lehrt die Bibel Wissenschaft?“ wendet sich die Autorin einerseits gegen eine Entflechtung von biblischer Lehre und naturwissenschaftlicher Forschung; das liefe auf eine Spaltung der Wirklichkeit hinaus, die dem biblischen Schöpfungsverständnis nicht gemäß wäre. Zum anderen hält sie nichts davon, in biblischen Texten naturwissenschaftliche Bezüge zu suchen, die erst in viel späterer Zeit sich als mit der Wissenschaft übereinstimmend erweisen. „Denn dabei würde es sich um ein sehr beliebiges Interpretationsvorgehen handeln, das wiederum ebenfalls an einen ganz bestimmten Wissensstand einer Epoche, nämlich der unsrigen, gebunden wäre“ (S. 97). Der erste Dialog zwischen Bibel und Wissenschaft betreffe den Bereich der Geschichte, aber es sei auch angebracht, nach Bezügen zu naturwissenschaftlichen Aspekten zu fragen.

Aus den Schlussbemerkungen der Autorin sollen abschließend folgende Sätze wiedergegeben werden: „Der Glaube an Gott wehrt sich gegen einige übertriebene Erwartungen an die Wissenschaft, denn diese kann die Realität nicht erschöpfend erforschen und darf deshalb nicht der Versuchung unterliegen, sich als einziger Weg der Erkenntnis zu verstehen. Gegen einen radikalen Skeptizismus liefert aber der biblische Schöpfungsgedanke gerade eine solide Basis für den Ansatz der Wissenschaft“ (S. 105).

Das Buch liest sich durchweg leicht und kurzweilig und vermittelt wertvolle Einsichten. Es sei allen empfohlen, die sich für Fragen der Wissenschaft im Zusammenhang mit dem biblischen Schöpfungszeugnis interessieren, inbesondere angesichts der aktuellen Kampagnen gegen den Schöpfungsbezug in der Wissenschaft.