Skip to main content

Arbeitsziele

Kurzreferat von B. Kaiser

Das generelle Ziel lautet, die Maßgaben zu definieren, nach denen die SG Wort und Wissen ihre wissenschaftliche Arbeit betreibt. Die spezielle Aufgabe der Studiengemeinschaft als einer christlichen, auf dem Boden der heiligen Schrift arbeitenden Institution ist es, einen Wissenschaftsbegriff zu formulieren, der sowohl dem Autoritätsanspruch des Wortes Gottes entspricht als auch den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erheben kann. Damit ist die Aufgabe unserer Facharbeitsgruppe nach zwei Seiten hin bestimmt. Der Versuch, die theologische Seite und das, was aus bibeltreuer theologischer Sicht zu sagen ist, grundsätzlich zu formulieren, liegt mit den Thesen vor. Dann aber gilt es, ein Konzept von Wissenschaft zu formulieren, das formal dem Standard wissenschaftlicher Arbeit entspricht, inhaltlich aber die theologischen Sachgehalte berücksichtigt.

1. Standortbestimmung und Herausforderung

Wir stehen in einer Situation, in der Wissenschaft allein auf die Betätigung menschlicher Vernunft bezogen wird. Der moderne Wissenschaftsbegriff hat keinen Platz für Elemente von Offenbarung und Glauben. Der postmoderne Wissenschaftsbegriff anerkennt zwar die philosophischen oder mythologischen Voraussetzungen des Denkens und erkennt deren faktische Geltung als menschlich-religiöse Setzung, verneint aber vehement jeden Anspruch auf Normativität. Die Folge ist bekanntlich der Pluralismus der Modelle. Postmoderne Wissenschaft ist unterdessen nicht mehr eine Tätigkeit, die nach begründetem Wissen fragt, sondern falsifiziert. Jegliche positive Begründung von Wissen wird verneint, ja bekämpft (H.F. Spinner). Damit bescheidet sich die Vernunft auf die Diesseitigkeit des Wissens, und begibt sich der Gewißheit – oder sagen wir: der sinnvollen Begründung.

Hier liegt eine wesentliche Herausforderung an unsere Position. Wir können nicht im Namen des Pluralismus auftreten und Gehör beanspruchen, weil wir nicht das Grunddogma des Pluralismus teilen, daß es positives, begründetes Wissen nicht gibt. Hier hat Iturrizaga richtig gesehen, daß unser Auftreten dann parasitär wäre. Dies ist auch dann der Fall, wenn uns der Pluralismus formal Freiräume gewährt, unsere Position zu vertreten. Wir werden aber unter Verweis auf die Offenbarung gegen ihn sagen müssen, daß rationales, richtiges Wissen, also Wahrheit, hier und jetzt sowohl sinnvoll als auch möglich ist.

Wir stehen auf der anderen Seite einem in den Naturwissenschaften häufig vertretenen Konzept von Wissenschaft gegenüber, das in positivistisch-realistischer Weise die Immanenz als einzige Wirklichkeit ansieht. Es ist ein frappierender Optimismus, mit dem B. Kanitscheider das, was in der philosophia perennis als Geist bezeichnet wurde, als Funktion der Materie ansieht. Er repräsentiert eine große Zahl von Wissenschaftlern. Der Beweis für diese Sicht unterliegt einem von mir so vereinfachten Zirkelschluß:

  1. Das Sichtbare ist die einzige Wirklichkeit, anhand der etwas erkannt werden kann.
  2. Der Geist kann als Funktion der sichtbaren Materie verstanden werden.
  3. Also gibt es keine von der Materie unterschiedene geistige Welt. Die erkenntnistheoretische Vorgabe, daß wir nur anhand der sichtbaren Wirklichkeit erkennen, wird zum Dogma, daß es neben der sichtbaren Wirklichkeit nichts mehr gibt.

Kanitscheiders Reklamation des Sachbezuges ist ohne Frage berechtigt. Der Sachbezug bewahrt vor Spekulationen und unbegründeten philosophischen oder religiösen Dogmen. Doch an der sichtbaren Wirklichkeit wird die Notwendigkeit einer geistigen Dimension sichtbar. Ich komme darauf unter noch im Detail zu sprechen. Damit aber wird nicht die geistige Dimension an sich sichtbar. Calvin spricht davon, daß die Schöpfung ein Spiegel Gottes ist, niemals Gott selbst. Wir können aus dem Sachbezug heraus, also auch der Beobachtung der Schöpfung nur die Offenheit der diesseitigen Welt für die Dimension Gottes bzw. des Geistes betonen. Wovor wir uns hüten müssen, ist die Spekulation. Spekulation ist der Versuch des natürlichen Menschen, direkte Aussagen über Gott oder die Transzendenz zu machen. Sie wäre ein Weg, vom Menschen aus in die Transzendenz einzudringen. Darin aber überschreitet sie ihre Kompetenz. Indem sie von transzendenten Dingen redet, wird ihr Wort ungewiß und aus einem bestimmten Blickwinkel auch falsch, weil der sündige Mensch den transzendenten Gott nicht sehen kann. Die Spekulation endet in einer platonischen Ideenwelt, einem summum ens, einem primum movens. Das ist der Gott der Philosophen.

2. Der biblische Ansatz

Offenbarung

Gott aber hat sich offenbart, und zwar in der Geschichte, im Raum des Positiv-Vorfindlichen. Er ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu Christi. An diese Offenbarung werden wir gewiesen, wenn wir von Gott reden und von ihm her denken. So haben wir auch hier das, was ich oben Sachbezug genannt habe. Und in diesem Sachbezug sehe ich die Schnittstelle bzw. die Schnittstellen – wenn wir die Einzelfragen und -erkenntnisse vor Augen haben – zur wissenschaftlichen Arbeit. Es ist die Aufgabe der Fundamentaltheologie, die Offenbarung, ihren geschichtlichen Charakter, dessen Verhältnis zu den verschiedenen Teildisziplinen der Wissenschaft und ihre Inhalte darzustellen. Aufgabe unserer Fachtagung ist es, Wissenschaft zu definieren und zu begründen von diesem Ansatz her. Der Sachbezug freilich hat es gegenständlich mit der Bibel zu tun. Insofern scheint er theoretischer (ungeschichtlicher, unwirklicher oder rein geistiger) Art zu sein, aber er ist von seinem Inhalt her doch sachlich, praktisch und diesseitig.

Es ist ferner zu bedenken, daß die Offenbarung uns nur als historisches Dokument vorliegt – eben in Form der Bibel. Somit scheint die Offenbarung nur dadurch zugänglich zu sein, daß die Bibel mit historischen Methoden gelesen und ihre Inhalte auf diesem Wege – wissenschaftlich – gesichert werden. Das aber ist hinsichtlich der breiten geschichtlichen Aussagen der Bibel nur bei wenigen Ereignissen möglich. Insofern scheint hier die Berufung auf die Bibel aus wissenschaftlicher Sicht ein Bauen auf Sand zu sein. Diese Problematik ist im weitesten Sinne Gegenstand der Theologie. Ich kann hier nur auf die biblisch-reformatorische Lehre von der Autorität und Klarheit der Schrift verweisen.

Doch mit der Übernahme biblischer Aussagegehalte begeben wir uns generell auf ein Terrain, das gemeinhin außerhalb des Rahmens wissenschaftlicher Betrachtung gesehen wird. Es ist nicht beweisbar, was die Bibel sagt.

Das heißt aber auch, daß wir Schöpfungsforschung mit der theologischen Vorgabe “Schöpfung” betreiben, und nicht durch eine wie auch immer konzipierte wisschenschaftliche Arbeit “Schöpfung” als Prädikat herausbringen. Wir können Schöpfung nicht beweisen, weil wir den Schöpfer nicht schaffend vorführen können. Nun scheint es möglich, auf theoretischem Weg zum Postulat eines Schöpfers oder eines intelligenten, schöpferischen Logos gelangen. Das ist nach Röm 1 auch wirklich die Funktion der sog. Allgemeinen Offenbarung. Doch hier erhebt sich sofort die ethische Frage, wie der Mensch mit dieser Erkenntnis umgeht. Röm 1 macht deutlich, daß der Mensch die in der Schöpfung vorhandene Evidenz in seiner Sünde zum Götzendienst mißbraucht. Das gilt auch für den Wissenschaftler.

3. Wissenschaft

Damit komme ich zu der anderen Seite unserer Aufgabe: die Wissenschaft. Sie ist eine Funktion der Vernunft und hat ihr Recht, wo die Vernunft als geschöpfliche Gabe Gottes ihr Recht hat. Zu Gott hin soll die Vernunft “vernehmen”, das ist die etymologische Bedeutung des Wortes. Zur Welt hin muß sich auch vernehmen, sich den Fakten stellen, darf aber und muß interpretieren, erklären und verstehen. In dem Moment, wo sich die Vernunft zur Autonomie aufschwingt und ihre Bindung an den Schöpfer leugnet, wird sie unvernünftig. F. Schaeffer hat diesen Prozeß in seinem Büchern Preisgabe der Vernunft und Gott ist keine Illusion nachgezeichnet. Hier liegt eine wichtige Aufgabe für uns: wir müssen wieder zeigen, daß Wissenschaft sinnvoll ist, daß sie der Wirklichkeit – dem Gegenstand an sich – begegnet und daß sie in der Lage ist, Wahrheit zu sagen, auch wenn diese Wahrheit partikulär ist, nicht das Ganze aussagt, sondern oft genug ein Einzelurteil ist.

Seit Jahrzehnten ist die Wissenschaft – hier habe ich vor allem die sog. Naturwissenschaften vor Augen – in Bereiche vorgedrungen, in denen der Mensch nicht mehr direkt sieht oder direkt beobachtet, sondern nur durch mittelbare Beobachtungen und den Aufbau von Modellen zu Erkenntnissen kommt. Das Atommodell, das wir kennen, ist nur mittelbar zugänglich. Es hat sich bewährt, wir arbeiten seit Jahrzehnten damit und haben keinen Anlaß, es aufzugeben. Es ist klar, daß in diesem nur indirekt zugänglichen Bereich – und das gilt erst recht für den quantenphysikalischen Bereich und analog und in breiter Weise auch für andere Disziplinen – nur mit hypothetischen oder problematischen Urteilen gearbeitet werden kann. (Die Geschichtswissenschaft arbeitet in breiter Form mit Wahrscheinlichkeitsurteilen!)

Ich habe mit H.W. Beck die Funktion der Bibel als Rahmen aufgefaßt. Das heißt, daß damit ein Feld aufgetan wird, in dem die Wissenschaft ihren Platz hat. Es gehört zur Freiheit der Wissenschaft, forschen zu können, wohin das menschliche Auge reicht, auch das technisch optimierte Auge. Indem wir aber die Bibel als Rahmen auffassen, machen wir deutlich, daß die menschliche Vernunft und ihre Wissenschaft daß gesamte Erkenntnisfeld dominiert, sondern daß sie Bezugsgrößen hat, von denen her sie ihren Sinn empfängt.

In diesem Miteinander von Bibel und Wissenschaft sehe ich folgende Aufgaben, die wir als Fachtagung angehen sollten.

4. Mittelfristige Ziele

I. Die Offenbarung (die Bibel) als Rahmen ist zu bestimmen.

Hier geht es um die Bestimmung, wie die Rahmenfunktion der Offenbarung im einzelnen zu sehen und zu handhaben ist (vgl. Beck, Christlicher Schöpfungsglaube im Kontext heutiger Wissenschaft [1993], S. 11-13).

Im einzelnen ist hier zu fragen, wie wir mit den klassischen Fragen umgehen, die das Verhältnis von Schriftaussage zu wissenschaftlicher Aussage zum Gegenstand haben. Zum Beispiel über das Alter der Erde oder über die Mauern von Jericho. Werden wir zur Annahme einer doppelten Wahrheit kommen, oder im Glauben, daß die Bibel richtig ist, die wissenschaftliche Arbeit überprüfen, oder die biblische Aussage im Raster der wisschenschaftlichen interpretieren? Haben wir den Mut, die Spannung zwischen unterschiedlichen Aussagen auszuhalten?

II. Die Entsprechung von Vernunft und Offenbarung ist aufzuweisen.

Ich sprach oben von der Offenheit der sichtbaren Welt für eine unsichtbare Welt. Es geht dabei um die Problematik, daß die natürliche Vernunft Fragen offenläßt, auf die die Offenbarung antwortet, z.B. das Postulat einer Welt III bei J.C. Eccles; die drei “Notwendigkeiten” bei F.A. Schaeffer, Und er schweigt nicht [1972]. Schaeffer spricht hier von der metaphysischen, ethischen und epistemologischen Notwendigkeit der Offenbarung und verteidigt die propositional revelation. Eccles weist als Neurobiologe auf, daß eine geistige Dimension die neurochemischen Prozesse steuert. Freilich haben nicht erst diese Denker auf die genannten Sachverhalte hingewiesen; in der Theologie sind sie ein häufig diskutiertes Thema. Die Beschreibung dieser “Kontaktstelle” scheint mir eine wichtige apologetische Aufgabe zu sein. Es kann aber nicht darum gehen, daß die Vernunft definiert, wie die Offenbarung zu sein hat. Es kann m.E. auch nicht darum gehen, das thomanische Analogiedenken zu repristinieren, welches unter der Voraussetzung einer analogia entis von sichtbaren Gegebenheiten auf unsichtbare schließt. Es geht, im Bilde gesprochen, um die Entsprechung von Stecker und Steckdose, nicht um die Entsprechung von Eurostecker und Schukostecker. Es soll also nur darum gehen, daß wir in der sichtbaren Dimension Schnittstellen zur unsichtbaren erkennen, ohne zugleich zu antizipieren, wie die Entsprechung auf der Seite der unsichtbaren auszusehen hätte. Dies zu vermitteln ist Gegenstand der Offenbarung, und die Entsprechung kann nur aposteriorisch, aus der gehörten und geglaubten Offenbarung heraus erkannt werden.

III. Das Zueinander von Offenbarung und Vernunft ist zu bestimmen.

Hier handelt es sich um die Frage, was die Vernunft leisten kann. Es gilt zu sehen, daß die Vernunft eine geschöpfliche Gabe Gottes ist, aber zugleich unter der Sünde steht. Die menschlichen Denkkategorien können daher nicht unbesehen in den Erkenntniprozeß eingesetzt werden. Man muß sich zumindest Rechenschaft darüber ablegen, daß der Mensch irren kann und bisweilen aus seiner Sünde heraus verkehrt denkt. Umgekehrt wird die Vernunft durch die Offenbarung nicht aufgehoben, sondern zur Umkehr geführt. Auch hier ist eine Auseinandersetzung mit Thomas von Aquino notwendig, der der natürlichen Vernunft ein Eigenrecht zugestand und sie unter Vernachlässigung der hamartiologischen Aspekte der Offenbarung vorordnete und diese ihr additional zuordnete.

IV. Die Aufgaben von Vernunft und Empirie als Funktionen des Rahmens sind positiv zu bestimmen; das Verhältnis von Vernunfterkenntnis oder empirischer Erkenntnis und dem Rahmen ist zu beschreiben.

Hier ist zu klären, welche Geltung und welche Grenzen die Logik besitzt, was die Denkkategorien leisten, und wie die sinnliche Wahrnehmung aufzufassen ist und was sie leistet. Geklärt werden muß, welche Rolle die Bedingungen und Prämissen spielen, unter denen experimentelle Erkenntnisse gewonnen werden. Mit anderen Worten, hier ist die praktische Seite der Schöpfungsforschung zu beschreiben. Ich vermute, daß in der Praxis vieles dem bekannten Wissenschaftsbetrieb der Universitäten entsprechen wird.

V. Einheit und Vielheit als Prinzipien der Erkenntnis sind methodisch zu beschreiben.

Soweit ich erkennen kann, ist die Tendenz im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb eine Auseinanderfallen von Detailforschung und der Gesamtschau. C.F. von Weizsäcker, Die Einheit der Natur, bietet eine Gesamtschau, die für die gegenwärtige Diskussion und für die naturalistische Grundorientierung unserer Zeit wohl eine Art Leitmodell darstellt. Sie steht aber in der Gefahr, sowohl für das Individuum als auch für die geschöpflich vorhandene Differenzierung nicht den gebührenden Raum zu lassen.

5. Längerfristige Ziele

  • Auseinandersetzung mit verschiedenen Modellen der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie (Certismus, Fallibilismus, Pluralismus, Konstruktivismus, Realismus, Evolutionäre Erkenntnistheorie u.a.)
  • Eröffnung eines (missionarischen) Dialogs mit Vertretern dieser Positionen, Darstellung unserer Sicht in der Öffentlichkeit.
  • Publikation eines Buches zur Wissenschaftstheorie

6. Schlußbemerkung

Bei allen Aufgaben geht es mir um die Erarbeitung eines Erkenntnisfeldes, das den unsichtbaren Gott und die sichtbare Welt in einer sinnvollen Weise miteinander in Verbindung bringt. Ich meine, daß dies eine Art Zwei-Reiche-Lehre (Luther) ist, die einerseits Freiraum läßt für ein Forschen nach Maßgabe der Vernunft, die aber andererseits die Vernunft an ihre Grenzen erinnert und die Selbstoffenbarung Gottes als diese Grenze bestimmt, die ihrerseits erst den sinnvollen Vernunftgebrauch ermöglicht. Dieser Vorschlag geht in Richtung eines eigenen Entwurfs und entspricht dem im Vortrag von R. Iturrizaga skizzierten dritten Modell.