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Ganzheitliche Geologie – Schritt zu einer alternativen Geologie im Rahmen der biblischen Schöpfungslehre



Inhalt

Hintergrund

Auf der Grundlage eines evangelikalen Schriftverständnisses (vgl. STADELMANN 2005) ist aus der biblischen Schilderung der Urgeschichte (1. Mose 1-11) eine Herleitung des Alters der Schöpfung im Rahmen von ca. 10.000 Jahren plausibel begründbar. Alle fossilführenden geologischen Schichten, also Schichten, die Zeugnisse verstorbener Lebewesen enthalten, müssten daher in diesem kurzen Zeitraum gebildet worden sein. Ein solcher Zeitrahmen steht jedoch im krassen Widerspruch zu den in der Schulgeologie veranschlagten 542 Millionen Jahren, die für die Bildung dieser Schichtpakete seit Beginn des Kambriums (ab hier sind Fossilien von Lebewesen bekannt, die gemäß biblischer Zusammenhänge erst nach dem Sündenfall gebildet worden sein können; vgl. STEPHAN 2006a; 2006b) postuliert werden. Dementsprechend groß sind die Probleme, die sich bei der Deutung des empirischen geologischen Gesamtbefundes in eine solch kurze Zeitspanne ergeben. Zwar gibt es durchaus Einzelbeobachtungen, die sich in einem Kurzzeit-Paradigma gut interpretieren lassen und die für die konventionelle Perspektive Schwierigkeiten darstellen (für eine Übersicht siehe STEPHAN 2008), diese machen die Wichtigkeit der Ausarbeitung eines umfassenden geologischen Modells, das im Einklang mit der biblischen Überlieferung – und dem durch sie vorgegebenen Zeitrahmen – steht, jedoch nicht geringer.

Sintflutmodelle

Diese Aufgabe wurde von einigen wenigen biblisch motivierten Geologen angegangen, indem ein Zusammenhang zwischen der geologischen Schichtenfolge und der in der Bibel als global beschriebenen Sintflut postuliert wurde. Manche Autoren stellten dabei die Entstehung nahezu aller fossilhaltigen Sedimentationsgesteine in das Sintflutjahr (z.B. WHITCOMB & MORRIS 1961). Die in den 1990er Jahren neu aufgekommene Diskussion über mögliche Sintflutmodelle unter christlichen Geologen (vgl. STEPHAN & FRITZSCHE 2003, 81-117) ist vor allem darin begründet, dass teilweise gewaltige Probleme bestehen, geologische Befunde im Rahmen nur eines einzigen Entstehungs-Jahres zu interpretieren. Für einen kurzen Überblick über dieses Themenfeld siehe STEPHAN (2002a).

Biblisch-urgeschichtliche Geologie bei Wort und Wissen

Aufgrund dieser Probleme, deren Lösungen im Einzelnen oft noch nicht abzusehen sind, vertritt die Studiengemeinschaft Wort und Wissen kein spezielles Sintflutmodell (STEPHAN 2002a; STEPHAN & FRITZSCHE 2003), sondern plädiert für eine der umfassenden Modellbildung vorangehende Detailarbeit: Erst sollen „Puzzle-Steine“ (Alternativdeutungen von geologischen Einzelphänomenen in einem möglichst kurzen Zeitrahmen) zusammengetragen werden, dann kann vielleicht eines Tages auf dieser Grundlage ein globales Modell erarbeitet werden. Grundlegend für diese Vorgehensweise ist es daher, die Möglichkeit offen zu lassen, dass geologische (Ablagerungs-)Prozesse „in erheblichem Maß auch vor bzw. nach dem Sintflutjahr entstanden sein könnten (also insgesamt zwischen 1. Mose 3 und 11)“ (STEPHAN 2002a, 1). Damit würde auch eine Möglichkeit geschaffen, die in den geologischen Formationen häufig dokumentierten (z.B. durch Trockenrisse, Spuren von Wiederbesiedlung usw.) Ablagerungspausen zu verstehen, die während der Flut kaum eingetreten sein können (vgl. Abb.).

Abb.: nach BRAND (2007) zur Verdeutlichung des Unterschieds zwischen dem „klassischen“ Sinflutmodell (die meisten geologischen Prozesse während der Sintfut; oben), dem Modell von BRAND (geologische Prozesse auf der kurzen Zeitachse verteilt; Mitte) und der konventionellen Historischen Geologie (sehr geringfügige geologische Prozesse über riesige Zeiträume).

Ganzheitliche Geologie

Während eine biblische orientierte Geologie nach Ansichten von Wort und Wissen also noch in einer frühen Phase bezüglich der Ableitung eines allgemeinen Modells aus den Einzelbefunden (Induktion) steht, kommt es bei englischsprachigen Schöpfungsgläubigen oft vor, dass einzelne geologische Phänomene vorrangig unter der Voraussetzung eines bestimmten Sintflutmodells gedeutet werden (Deduktion) (z.B. WOOD 2005, 23-52). In Anbetracht der oben angesprochenen großen empirischen Schwächen dieser Modelle ist ein solches Vorgehen nicht produktiv. Aus diesem Grund soll hier ein Artikel von Leonard BRAND (2007) vorgestellt werden, der aus der Sicht von Wort und Wissen in mehrerer Hinsicht erfreulich ist: So teilt BRAND eines der Hauptanliegen der Geologie-Fachgruppe der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, geologische Prozesse nicht auf das Sintflutjahr zu beschränken. BRANDs Arbeit trägt den vielsagenden Titel „Wholistic Geology: Geology Before, During, and After the Biblical Flood” (Deutsch: „Ganzheitliche Geologie: Geologie vor, während und nach der biblischen Flut“) und macht keinen Hehl daraus, dass viele geologische Befunde schlichtweg nicht erklärbar sind, wenn nur ein einziges Jahr für die Bildung zugrunde gelegt wird (S. 7, 14). Er lässt auch keinen Zweifel daran, dass es zum momentanen Zeitpunkt kein Sintflutmodell gibt, das eine befriedigende Verbindung zwischen biblischer Sintflut und dem geologischen Gesamt-Befund liefern würde (S. 9). Auch sein „ganzheitlicher“ Ansatz habe einige Probleme (S. 14, 22), räumt BRAND ein, und überhaupt gehe es nicht darum, etwas zu „widerlegen“ oder zu „beweisen“, sondern vorerst nur einmal darum, alternative Denkmöglichkeiten auszubauen (S. 24). Außerdem ist begrüßenswert, dass BRAND nicht sofort eine neue, ausformulierte Theorie präsentieren, sondern lediglich Einzelaspekte anführen will, die für die Entwicklung eines umfassenden Modells nützlich sein könnten (S. 9). Neben der Möglichkeit, zeitverbrauchende Ablagerungsprozesse und -pausen in dem durch BRAND geweiteten Kontext zu verstehen, können in diesem Rahmen feinstratigraphische fossile Serien als das Produkt rapide ablaufender Mikroevolution innerhalb von als Schöpfungseinheiten interpretierten Grundtypen in ökologisch gestörten Lebensräumen verstanden werden (S. 11, 14, 16). Das ist auch ein zentrales Argument von STEPHAN (2002a). Für die grobstratigraphische Abfolge im Fossilbericht diskutiert BRAND des Weiteren die Möglichkeit, diese zumindest teilweise damit zu erklären, dass Grundtypen aus geologisch nicht in Erscheinung tretenden Biotopen in fossil überlieferte Lebensräume einwanderten (S. 12). Dieser Ansatz wurde bereits von STEPHAN (2002b) ausgearbeitet (vgl. STEPHAN 2002a) und eröffnet die Möglichkeit der Neuinterpretation vieler fossiler Muster (z.B. Zwischenformen oder Trends; vgl. HEILIG 2009) auf einer ökologischen und nicht-phylogenetischen (keinen Bezug auf eine Stammesgeschichte nehmenden) Ebene.

BRAND liefert in seinem Artikel eine ganze Reihe von „Puzzle-Teilchen“, die – mehr oder weniger ausgearbeitet – Ansätze liefern, um Teilabschnitte und lokal begrenzte Phänomene der geologischen Überlieferung in einem Kurzzeitrahmen zu verstehen. Diese Bausteine können hier nicht im Einzelnen besprochen werden, der Leser sei daher ermutigt, den im Internet frei verfügbaren Artikel selber zu lesen. Es sei hier jedoch erwähnt, dass viele der von BRAND erläuterten Aspekte gut zu den bisherigen Ergebnissen von Wort und Wissen passen und sich teilweise sogar inhaltlich ergänzen, da sie dieselben Themen ansprechen. BRANDs Diskussion dieser Bausteine profitiert sicher ganz erheblich von seinen offenkundigen Qualifikationen auf relevanten Themengebieten, sodass auch eigene Primärforschung in seine Überlegungen mit einfließt.

Ausblick

Dass mit diesem Artikel die Entwicklung in schöpfungsgläubigen Wissenschaftskreisen in den USA zu einem Zwischenergebnis gekommen ist, wie es im deutschsprachigen Raum durch die Arbeit von Wort und Wissen schon seit Jahren existiert, stimmt hoffnungsvoll. Diese Entwicklung sollte den hiesigen biblisch motivierten Geologen als Ermutigung dienen, den inhaltlichen Austausch auf internationaler Ebene weiter auszubauen und zu vertiefen. Unumgänglich für diesen Schritt ist sicherlich, die englischsprachige Publikation des hierzulande bereits Erarbeiteten. Nur durch diese Form der überkontinentalen Kommunikation kann letztendlich die Vision eines „ganzheitliches“ Geologie-Modells verwirklicht werden, das mit der biblischen Schilderung der Urgeschichte kompatibel ist und gleichzeitig den geologischen Gesamt-Befund befriedigend integriert.

Literatur

BRAND L (2007)
Wholistic Geology: Geology Before, During, and After the Biblical Flood. Origins 61, 7-34. www.grisda.org/origins-61007.pdf.

HEILIG C (2009)

Krebstiere und geologisch nicht überlieferte Lebensräume. Stud. Int. J. 16, in Vorbereitung.

STADELMANN H (2005)

Evangelikales Schriftverständnis. Die Bibel verstehen – der Bibel vertrauen – der Bibel folgen. Hammerbrücke.

STEPHAN M (2002a)

Biblische Urgeschichte, Sintflut und Geologie. Zusammenfassende Thesen und Überblick. Diskussionsbeitrag SG W+W 2/2002

STEPHAN M (2002b)

Der Mensch und die geologische Zeittafel. Warum kommen Menschenfossilien nur in den obersten geologischen Schichten vor? Holzgerlingen.

STEPHAN M (2005)

Entgegnung auf Kritik an der biblisch-urgeschichtlichen Geologie. Artikel SG W+W: www.wort-und-wissen.de/artikel/a01/a01.pdf.

STEPHAN M (2006a)

Das Todesgeschick der Tierwelt – von Adam verschuldet. Zum Verständnis von Römer 8, 19-22. Diskussionsbeitrag SG W+W 1/2006

STEPHAN M (2006b)

Die Tierwelt – am Anfang nicht für das Todesgeschick bestimmt. Überlegungen zu Genesis 1-3 und Römer 8. Diskussionsbeitrag SG W+W 2/2006

STEPHAN M (2008)

Einige Befunde aus verschiedenen Wissenschaften, die zu einer kürzeren Erdgeschichte passen oder den Aktualismus in Frage stellen. Diskussionsbeitrag SG W+W 4/2008

STEPHAN M & FRITZSCHE T (2003)

Sintflut und Geologie. Holzgerlingen.

WHITCOMB JC & MORRIS HM (1961)

The Genesis Flood. Philadelphia.

WOOD TC (2005)

A Creationist Review and Preliminary Analysis of the History, Geology, Climate, and Biology of the Galápagos Islands. Eugene.