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Markus Widenmeyer: „Moral ohne Gott?“

SCM Hänssler

Nachfolgend eine Rezension von Dr. Boris Schmitdgall:

Ein sehr lehrreiches Buch über ein altes Problem, das immer aktuell bleibt. Gibt es objektive Moral oder bestimmen die Mächtigen über die Moral? Und wenn es objektive Moral gibt, wie kann sie begründet werden? 

Wer kennt das nicht? Menschen beklagen sich über ungerechte Behandlung am Arbeitsplatz, verurteilen das Verhalten eines Nachbarn aufs Schärfste oder erklären das Schonen der Umwelt für löblich. Manche Menschen üben auch vehemente moralische Kritik am Gott der Bibel wegen Begebenheiten wie dem Gericht über Sodom und Gomorrha oder der kriegerischen Landnahme durch das Volk Israel. Es ist eine tägliche Erfahrung, dass Menschen moralische Urteile fällen, und in Fällen aus ihrer Sicht moralisch verwerflichen Verhaltens Strafen fordern. Und wir empfinden das als selbstverständlich.

So leicht es einem oft fällt, aus dem Bauch heraus moralisch zu urteilen, so schwer kann es sein, ein Urteil solide zu begründen. Dieses Problem war bereits frühen griechischen Philosophen bekannt und beschäftigt viele kluge Köpfe bis heute. Arthur Schopenhauer, ein deutscher Philosoph des 19. Jahrhunderts brachte es auf den Punkt mit den Worten: „Moral predigen ist leicht, sie begründen dagegen schwer.“ Zu diesem Zweck muss man sich gedanklich eine Ebene höher begeben – in die „Metaethik“ – und über die rationale Rechtfertigung ethischer Systeme nachdenken. Dies hat der Chemiker und Philosoph Dr. Markus Widenmeyer vertieft in seinem neuen Werk „Moral ohne Gott?“ getan und so allen Philosophie-Interessierten ein wertvolles Buch zur Verfügung gestellt.

Wer mit Aussagen wie „Das ist so üblich“ oder „Das haben wir schon immer so gemacht“ grundsätzlich unzufrieden ist, wird von „Moral ohne Gott?“ reichlich profitieren. Anhand von ergreifenden Beispielen aus der Menschheitsgeschichte wird zunächst die Tragweite der existenziellen Frage, ob eine objektive Moral existiert, thematisiert. Es wird dabei deutlich, dass die klassisch atheistische Position, objektive Moral sei eine Illusion, unhaltbar ist, denn „auch Menschen, die offiziell nicht an eine objektive Moral glauben, leben, denken und sprechen permanent so, als ob ihre moralischen Urteile sinnvoll und berechtigt sind und damit etwas Objektives ausdrücken“ (S. 20).

Im Folgenden werden für die philosophische Diskussion notwendige Begriffe wie „Werte“, „Normen“ oder „Person“ eingeführt und erläutert. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass dieselbe Tat moralisch völlig unterschiedlich bewertet werden kann, je nachdem welches Motiv der Täter hatte. Das bedeutet aber, dass eine entscheidende Komponente für die Bewertung einer Tat rein geistiger, nichtmaterieller Natur ist. Daraus schlussfolgert der Autor, dass moralische Werte und Normen ausschließlich an Personen adressiert und von Personen eingesehen werden können, da diese allein kraft ihres Geistes dafür empfänglich sind.

Anschließend werden verschiedene metaethische moralische Systeme diskutiert und auf ihre Plausibilität hin geprüft. Diese Positionen lassen sich grob unterteilen in solche, die die Möglichkeit der Erkenntnis moralischer Tatsachen bestreiten (Non-Kognitivismus) und solche, die diese Möglichkeit bejahen (Kognitivismus). Wie bereits oben erwähnt, erweisen sich Denksysteme, die eine Erkennbarkeit moralischer Tatsachen ablehnen, als unhaltbar. Daher liegt der Fokus des Buches im weiteren Verlauf auf metaethischen Systemen, die eine objektive Ethik für wahr halten.

Ein aktuell weit verbreitetes ethisches Denksystem, das recht ausführlich diskutiert wird, ist die Diskursethik, die auf der Annahme beruht, dass das Moralische im gesellschaftlichen Diskurs entsteht. Dabei wird angenommen, dass der Mensch Normen voraussetzen muss, um argumentieren zu können. Es wird also davon ausgegangen, dass die Gesellschaft ethische Normen und Werte konstruiert. Die Diskursethik hat jedoch das wesentliche Problem, dass sie einen kollektiven Irrtum nicht ausschließen kann. Und an einer vom Menschen unabhängigen Norm für moralische Richtigkeit kann man sich in der Diskursethik nicht orientieren, da diese ausgeschlossen ist. Zudem hat der Mensch schon oft in der Geschichte unter Beweis gestellt, dass er alles andere als vollkommen ist. Daher scheint es nicht glaubhaft zu sein, dass Menschen von sich aus eine objektive Moral hervorbringen können. Aktuell wird dies an sich ständig verschiebenden Normen im Bereich des Lebensschutzes deutlich. Widenmeyers Analyse erweist sich nicht nur hier als zutreffend. Auch die angesprochene Tendenz zu Diffamierungen und Ausgrenzungen Andersdenkender ist gegenwärtig unübersehbar. Die Diskursethik läuft auf eine Ethik der Mächtigen hinaus und gewährleistet so keinen fairen Diskurs und erst recht keine objektive Moral.

Weitere Denksysteme, die treffend analysiert werden, sind verschiedene Formen des metaethischen Naturalismus. Die Grundannahme hier ist, dass das Moralische eine Folge von Naturgesetzen ist. Dies scheitert jedoch daran, dass physikalische Gegenstände und die Natur generell bezüglich moralischer Bewertungen neutral sind. Es gibt keine Möglichkeit, aus irgendwelchen Naturvorgängen biologischer, chemischer oder physikalischer Art Pflichten, Normen oder Werte abzuleiten.

Den Schwerpunkt des Buches stellen jedoch metaethische Systeme dar, die als Formen des moralischen Realismus bezeichnet werden. Hier wird davon ausgegangen, dass nichtmaterielle moralische Tatsachen unabhängig vom Menschen existieren und nur von ihm entdeckt werden können. Eine prinzipielle Entscheidung innerhalb des moralischen Realismus ist die Verortung des Ursprungs moralischer Tatsachen. Ist Gott dieser Ursprung, handelt es sich um den persönlichen moralischen Realismus (PMR), sind es dagegen abstrakte nichtgeistige apersonale Objekte, spricht man vom apersonalen moralischen Realismus (AMR).

Beiden Ansätzen ist gemeinsam, dass eine weitere Begründung für die Existenz des Ursprungs moralischer Tatsachen nicht möglich ist. Allerdings – und das wird in dem Buch gut nachvollziehbar begründet – erweist sich die theistische Grundlage für die Erklärung des Vorhandenseins von Moral als wesentlich plausibler. Im Unterschied zu den apersonalen Objekten stellt Gott eine Autorität dar, kann in diese Welt eingreifen, durch seinen Geist mit Menschen kommunizieren und ist vollkommen gut.

Das Buch ist anspruchsvoll geschrieben, aber sehr lehrreich. Die Mühe der Lektüre lohnt sich. Wer begründet moralisch urteilen will, findet hier eine gute Denkschule. Außerdem wird ein weiteres starkes Argument für einen intelligenten Schöpfer ausführlich dargestellt.

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