Biblische Archäologie am Scheideweg?
Peter van der Veen & Uwe Zerbst (Hrsg.)
Ein vorläufiges Fazit
Grundsätzliche Erwägungen
Was ist von einer chronologischen Revision des Alten Orients zu halten, von der ein führender Ägyptologe (KITCHEN) sagt, dass sie angesichts der Faktenlage in der Dritten Zwischenzeit vollständig gescheitert ist, die ein renommierter Assyrologe (POSTGATE) angesichts der assyrischen Königslisten für ausgeschlossen hält, und die nach Aussage eines bedeutenden Vertreters der naturwissenschaftlichen Datierungsverfahren (MANNING) der Realität widerspricht? Ist man da nicht an jenen Geisterfahrer erinnert, der angesichts der Verkehrsfunkmeldung „Es kommt Ihnen ein Falschfahrer entgegen!“ bemerkt: „Einer? Hunderte!“.
Warum ein Buch über ein solches Modell? Bereits eingangs wurde festgehalten, dass die Tatsache, dass ein wissenschaftlicher Ansatz ein Außenseitermodell ist, nicht notwendigerweise bedeutet, dass es auch inhaltlich falsch sein muss. Das heißt freilich nicht, dass jegliche Kritik einfach beiseite geschoben werden dürfte. Es bedeutet jedoch, dass der alternative Ansatz wie jede Arbeit innerhalb des konventionellen Rahmens auch eine faire wissenschaftliche Auseinandersetzung für sich beanspruchen darf. In dieser wird es sich behaupten oder es wird untergehen. Es von vornherein zu verwerfen, wäre hingegen nicht nur schlechter Stil, es wäre mit den Regeln wissenschaftlichen Arbeitens nicht zu vereinbaren. Die Herausgeber schließen sich dem Archäologen Peter PARR, vor seiner Pensionierung Archäologe an der Universität London, an, wenn er über ROHL sagt:
„Er möchte, dass die Leute … über das, was er sagt, nachdenken und es entweder akzeptieren oder versuchen, ihn zu widerlegen. Das ist die Art und Weise, wie Wissenschaft funktioniert. Das ist gute akademische Methodologie.“1
Ziel des vorliegenden Bandes war nicht die unkommentierte Wiedergabe sondern die konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit der revidierten Chronologie ROHLs. Aus diesem Grunde sind die Herausgeber Aidan DODSON, Karl JANSEN-WINKELN, Margreet STEINER und Martin HEIDE für ihre kritischen Beiträge in diesem Buch sehr dankbar. Weitere Kritiken haben sie aus der offenen Literatur zusammengetragen und in verkürzter Form den einzelnen Abschnitten vorangestellt. Auf der anderen Seite haben sie gemeinsam mit DAVID ROHL und weiteren Autoren wie John BIMSON, Bernard NEWGROSH, Bob PORTER und Wayne MITCHELL versucht, Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu geben.
Vor dem Versuch, ein vorläufiges Fazit zu ziehen, wird es gut sein, einige grundlegende Überlegungen anzustellen, welchen Anforderungen ein chronologisches Modell genügen muss, und was es prinzipiell nicht leisten kann. Im Idealfall sollte eine Chronologie einen Rahmen bilden, in den sich alle verfügbaren empirischen Daten (schriftliche Quellen und archäologische Funde) widerspruchsfrei einordnen lassen. Ein solch hoher Anspruch wird jedoch von keinem der existierenden Ansätze erfüllt. Das Problem beginnt bereits bei der Frage nach den empirischen Daten selbst. Dass die zeitliche Einordnung archäologischer Funde in aller Regel vom chronologischen Modell abhängig ist und nicht umgekehrt, wurde in den Beiträgen in diesem Band hinlänglich belegt. Ein Ausnahme bilden direkt datierbare Objekte wie Münzen, Siegel usw., die Informationen erhalten, die mit einer der schriftlichen Quellen unmittelbar assoziierbar sind. Solche Funde sind jedoch zumindest in Palästina die große Ausnahme.
Ein Beispiel könnten die in Abschnitt E1 erwähnten Skarabäen mit dem Namenszug „Scheschi“ sein, die im südlichen Palästina der Mittleren Bronzezeit gefunden wurden, und die ROHL mit der Frühzeit der Hyksos-Herrschaft in Ägypten assoziiert – eine Zuordnung, die zur konventionellen Chronologie in einem klaren Widerspruch steht. Ein anderes Beispiel ist die Anfang der 1990er Jahre entdeckte Tell Dan-Stele, in der das „Haus David“ erwähnt wird. Sowohl PORTER als auch BIMSON weisen in Abschnitt E2 darauf hin, dass auch dieser Fund für die konventionelle Chronologie der Eisenzeit in Palästina Schwierigkeiten bereitet. Auf der anderen Seite spricht der Befund der Siegel aus dem Haus der Bullen in Jerusalem eher zugunsten der konventionellen als der revidierten Chronologie (Abschnitt E2.1).
Dass Unstimmigkeiten des archäologischen Befundes gewöhnlich eher im Rahmen bestehender Chronologien erklärt werden, als dass sie zu einer grundsätzlichen Revision der Zeittafeln Anlass gäben, wird ebenfalls vor dem Hintergrund der Diskussion der Chronologie der Eisenzeit (Abschnitt E2) und mehr noch bei der Interpretation der Dunklen Zeitalter im Mittelmeerraum (Abschnitt B2) deutlich. Die Konservativität der Forscher an diesem Punkt ist durchaus verständlich. Dem von Kenneth KITCHEN immer wieder bemühten Grundsatz, dass das Fehlen von Hinweisen noch kein Beweis dafür ist, dass nichts existiert habe, ist zweifellos zuzustimmen. In Abschnitt E6.1 verweist BIMSON auf die prinzipielle Lückenhaftigkeit des verfügbaren archäologischen Befundes aufgrund der begrenzten technischen und finanziellen Ressourcen der Forschung. Auch dass Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs in einer Region zu einer Ausdünnung des Befundes geführt haben könnten, ist durchaus plausibel. Andererseits ist aber auch klar, dass ausgedehnte Siedlungslücken, insbesondere wenn sie wie im Falle der Dunklen Zeitalter regional weit verbreitet sind, ebenso gut Indizien für einen grundsätzlichen Versatz in der konventionellen Chronologie sein können. Derartige Kritik, wie es ein Gelehrter getan hat, einfach als „Lücken-Neurose“ abzutun, ist daneben gegriffen. Der Befund an sich lässt unterschiedliche Interpretationen zu, das Problem ist der vorgegebene chronologische Rahmen.
Will die revidierte Chronologie eine ernstzunehmende Alternative bieten, muss sie zweierlei leisten:
- Sie muss mit dem vorhandenen archäologischen Befund wie auch mit den überlieferten schriftlichen Quellen in den wesentlichen Punkten konform gehen, und
- sie muss die chronologischen Angelpunkte, die der konventionellen Chronologie zugrunde liegen nach Möglichkeit entkräften, sie aber in jedem Fall im eigenen Sinne interpretieren können.
Interpretation und Reinterpretation der wichtigsten chronologischen Angelpunkte
Die wesentlichen Angelpunkte, die in der Einleitung zu Abschnitt B aufgelistet sind, werden im vorliegenden Band in verschiedenen Aufsätzen behandelt:
Gegen die Identifizierung Schoschenks I. mit dem biblischen Schischak führen BIMSON in Abschnitt C2 und daran angelehnt ROHL in Abschnitt B1 hauptsächlich ins Feld, dass der in Karnak dokumentierte Feldzugsbericht Schoschenks I. mit der Kampagne Pharao Schischaks im Alten Testament zu wenig gemein hat, als dass beide Ereignisse wirklich miteinander identifiziert werden könnten. Im Rahmen der revidierten Chronologie wird mit Ramses II., für den in ägyptischen Quellen ebenfalls ein Palästinafeldzug bezeugt ist, eine alternative Entsprechung für Schischak vorgeschlagen. Schoschenks Feldzug könnte in den Ereignissen um den geheimnisvollen Retter zur Zeit des israelitischen König Joahas seine Entsprechung finden.
Kontrovers werden die sprachlichen As-pekte um den Namen Schischak diskutiert. Während Karl JANSEN-WINKELN ähnlich wie Kenneth KITCHEN daran festhält, dass zur Schischak-Schoschenk-Gleichung keine philologische Alternative denkbar ist und dass der
Versuch der Vertreter der revidierten Chronologie den Namen Schischak von Sessi, einem Kurznamen Ramses II. abzuleiten, abwegig ist (Abschnitt C2.1), versucht Peter VAN DER VEEN die Argumente dadurch zu entkräften, dass er verschiedene Beispiele für vergleichbare sprachliche Verschiebungen aus dem Alten Testament auflistet.
Gleich an mehreren Stellen werden astronomische Datierungen diskutiert. In den Abschnitten B1 und C4.1 geht David ROHL auf das Argument der Sothisdatierung ein. Während er in Anlehnung an die Fachliteratur darauf hinweist, dass das im Ebers-Kalender wiedergegebene Ereignis im Jahr 9 Pharao Amenhoteps auch alternative Interpretationen, z.B. eine rituelle Prozession zulässt und damit für Datierungszwecke insgesamt wenig brauchbar ist, führt er hinsichtlich der Sothisdatierung für Pharao Merenptah aufgrund eines Graffitis in West-Theben Argumente dafür an, dass diese Datierung auf einer Fehlübersetzung des Originaltextes beruht.
Unmittelbar einleuchtend ist seine Kritik an der Festlegung des Jahres 1279 v.Chr. für die Thronbesteigung Ramses II. aufgrund des 25-jährigen Mondzyklus. Ein 25-Jahres-Zyklus ist zwar für die Feinjustierung innerhalb eines vorgegebenen chronologischen Rahmens sehr nützlich, ein chronologischer Versatz in der Größenordnung mehrerer Jahrhunderte bliebe aber davon unberührt.
Vielleicht am interessantesten ist die astronomische Retrokalkulation der Thronbesteigung König Ammizadugas von Babylon. Aus dem konventionellen Datum dieses Ereignisses um 1585 v.Chr. kann über eine Königsliste ein Krönungsdatum Hammurabis um 1728 v.Chr. abgeleitet werden. Aufgrund einer Reihe von Querverweisen muss etwa in diese Zeit die Herrschaft Neferhoteps I., eines Pharaos der 13. Dynastie gefallen sein. Das passt nahezu perfekt in die konventionelle Chronologie. In Abschnitt F1 beschreibt Wayne MITCHELL jedoch eigene Retrokalkulationen, die er mit einem zeitlich erweiterten Suchfenster durchgeführt hat. Dabei hat er ein weiteres mögliches Krönungsdatum für Ammizaduga im Jahr 1419 v.Chr. erhalten, 163 Jahre später als die konventionelle Annahme. Diese Zahl ist nicht mit der konventionellen, wohl aber mit der revidierten Chronologie vereinbar. Bei ihrer Annahme werden nach MITCHELL eine Reihe späterer Beobachtungen über Sonnen- und Mondeklipsen, sehr viel besser wiedergegeben als bisher.
Ein besonders schwerwiegendes Argument gegen die revidierte Chronologie ist ein chronologischer Synchronismus zwischen Ägypten und Assyrien: zwei Briefe aus dem berühmten el-Amarna-Archiv, die der Assyrerkönig Assuruballit I. an den ägyptischen Pharao Echnaton geschrieben hat. Die Daten beider Herrscher passen im konventionellen Schema gut zusammen. Brisant ist dies für die revidierte Chronologie deshalb, weil die assyrische Chronologie zu dieser Zeit von Querverweisen nach Ägypten unabhängig ist. Das macht verständlich, weshalb der Altorientalist Nicholas POSTGATE von einem „unüberwindlichen Hindernis“ für die revidierte Chronologie spricht. Lässt sich auch hier ein plausibles Argument zugunsten der revidierten Chronologie finden?
In Abschnitt D greift Bernard NEWGROSH eine Idee von JAMES und ROHL auf, die unter Berufung auf das anderthalb Jahrhunderte währende Dunkle Zeitalter während der Mittleren Assyrischen Periode eine fehlerhafte, künstlich verlängerte, assyrische Chronologie aufgrund von überlappenden bzw. parallelen Königsherrschaften postuliert hatten. NEWGROSH entwirft das Bild einer langanhaltenden Doppelherrschaft aus jeweils einem Kriegerkönig und einem ihm beigeordneten Priesterkönig von der Zeit nach der Ermordung des Assyrerkönigs Tukulti-Ninurta I. bis zu Assur-dan II. gegen Ende des 10. Jhd. v.Chr. Folge wäre eine Verkürzung der konventionellen assyrischen Chronologie in dieser Periode um etwa 150 Jahre, was gut in das revidierte Schema passte. Assuruballit I. wäre unter diesen Randbedingungen kein Zeitgenosse Echnatons gewesen mit der Folge, dass ein bis dato unbekannter Herrscher namens Assuruballit der erwähnte Briefschreiber gewesen wäre. Sonderlich abwegig ist diese Idee nicht, da sich Namen von Herrschern in den alten Dynastien häufiger wiederholen. So wurde erst unlängst ein „neuer“ Pharao Schoschenk entdeckt, der siebente in der Dritten Zwischenzeit in Ägypten. David ROHL hat zudem darauf hingewiesen, dass die beiden zur Debatte stehenden Assuruballits anscheinend unterschiedliche Väter hatten.
Die Einbeziehung von Überlegungen zu Assyrien in die revidierte Chronologie ist relativ jungen Datums, weshalb den Herausgebern bislang noch keine kritischen Stellungnahmen zu NEWGROSHs Beiträgen vorliegen.
Inwieweit seine Thesen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung standhalten können, muss die Zukunft erweisen.
Ein letzter Angelpunkt in einem erweiterten Sinne betrifft die Datierung mittels der naturwissenschaftlichen Verfahren Radiokarbon und Dendrochronologie (Baumringmethode). Von verschiedenen Autoren wurde argumentiert, dass die Ergebnisse dieser Disziplinen, die eng aneinander gekoppelt sind, im wesentlichen mit der konventionellen Chronologie übereinstimmen. Im Ergebnis einer Literaturstudie zeigt Uwe ZERBST in Abschnitt F2 jedoch auf, dass dieses Argument nicht zutreffend ist. Greifbar vor ca. 1000 v.Chr. liefern die naturwissenschaftlichen Verfahren im Vergleich zu den konventionellen Daten teilweise erheblich höhere Alter. Die Diskrepanz zur revidierten Chronologie ist entsprechend noch größer. Dem Argument, dass die Dendrochronologie anders als die historisch-archäologische Datierung praktisch nicht fehleranfällig ist, und ihr deshalb im Zweifelsfall Vorrang einzuräumen ist, begegnet der Autor mit der Herausarbeitung der potentiellen Fehlerquellen dieses Verfahrens.
Fragen der Chronologie der Dritten Zwischenzeit
Ein entscheidender Unterschied zwischen der konventionellen und der revidierten Chronologie ist, dass erstere die 21. und 22. Dynastie in der Dritten Zwischenzeit nacheinander ansetzt, während sie in letzterer zeitlich überlappen. Nach David ROHL ist die falsche Anordnung in der konventionellen Chronologie die Hauptursache für einen enormen chronologischen Versatz während des Neuen Reiches, der seinerseits für die Probleme der Biblischen Archäologie verantwortlich ist. Wie Kenneth KITCHEN vertritt auch Aidan DODSON jedoch die Auffassung, dass verschiedene genealogische Daten aus dieser Zeit die in der revidierten Chronologie vertretene Überlappung ausschließen. Ein wesentliches Argument der Vertreter der konventionellen Chronologie ist beispielsweise, dass zwischen dem letzten Herrscher der 21. Dynastie (Psusennes II.) und dem ersten Pharao der 22. Dynastie (Schoschenk I.) eine Heiratsallianz bezeugt ist. Auch die überlieferten Ahnenreihen der Hohenpriester des Amun in Theben und des Ptah in Memphis sprächen gegen diese Option.
David ROHL argumentiert dagegen, dass eine genaue Identifizierung der Pharaonen in den zitierten Inschriften nicht möglich ist. Da es jeweils mehrere Pharaonen gab, die Namen wie Osorkon, Schoschenk und Psusennes getragen haben, würde eine eindeutige Identifizierung zusätzlich die Angabe des jeweiligen Thronnamens erfordern. Das ist aber in den Beispielen nicht der Fall. Die Entscheidung für den einen oder anderen Herrscher folgt deshalb letztlich den Vorgaben der bereits ausgearbeiteten Chronologie. Im Rahmen der revidierten Chronologie wären ebenso gut andere Lösungen möglich. Es muss darauf hingewiesen werden, dass eine vollständige Bewertung der detailliert geführten Diskussion in Abschnitt C1 an dieser Stelle nicht möglich ist.
Hinsichtlich der Priesterlinie in Theben verweist David ROHL darauf, dass sie sich ziemlich zwanglos auch in die revidierte Chronologie einpasst. Probleme mit überlappenden Amtsführungen träten nur an Stellen auf, wo von Wirren und Machtkämpfen die Rede ist. Was die Priesterlinie des Ptah in Memphis anbetrifft, so führt Peter VAN DER VEEN aus, dass für die revidierte Chronologie überhaupt keine Probleme entstehen, wenn der Hohepriester Schedsunefertem als ein Zeitgenosse eines neu entdeckten Schoschenk Ib betrachtet wird.
Ein im vorliegenden Band nicht ausdiskutiertes Problem schneidet Aidan DODSON mit der Entwicklung verschiedener Sargtypen während des Neuen Reiches und der Dritten Zwischenzeit an, deren zeitliche Abfolge im Rahmen der revidierten Chronologie nur schwer zu verstehen sei.
Ein letzter großer Problemkreis in Abschnitt C1 widmet sich schließlich verschiedenen Chronologien von Beamten während des Neuen Reiches und der Dritten Zwischenzeit. Sowohl David ROHL als auch Karl JANSEN-WINKELN führen eine bzw. mehrere solche Chronologien ins Feld, die jeweils für die revidierte (ROHL) bzw. für die konventionelle (JANSEN-WINKELN) Chronologie sprechen, und führen Argumente an, die die jeweilige(n) Chronologie(en) des anderen hinterfragen. So hat JANSEN-WINKELN im Hinblick auf die von ROHL postulierte Überlappung der 21. und 22. Dynastie nach Ansicht der Herausgeber zurecht auf den Nescramun-Stammbaum hingewiesen, der nach seiner derzeitigen Interpretation eher zugunsten der konventionellen als der revidierten Chronologie spricht.
Im Kontext der chronologischen Anomalie in der Grabanlage von Tanis ist abschließend noch die kontroverse Diskussion zwischen dem derzeitigen Ausgräber von Tanis, Philippe BRISSAUD und David ROHL in Abscnitt C3.1 zu erwähnen, in der ROHL die Behauptung zurückweist, dass die neueren Funde gegen die behauptete Überlappung interpretiert werden müssten.
Fragen der Chronologie Palästinas und der biblischen Archäologie
In Abschnitt E wird die revidierten Chronologie probeweise auf verschiedene Epochen der Archäologie Palästinas angewendet. Es deutet sich an, dass die Ergebnisse durchaus mit den alttestamentlichen Berichten stimmig sind. In seinem einleitenden Beitrag (Abschnitt E1) führt ROHL eine Reihe von Beispielen an. So fällt die wohlhabende Zeit unter König Salomo mit den reichen Schichten der Spätbronzezeit zusammen. Die politischen Verhältnisse der el-Amarna-Briefe in Palästina ähneln auffällig der Zeit der frühen Monarchie unter Saul und David, die in der revidierten Chronologie zeitgleich sind. Die Landnahme der Israeliten finden nur am Ende der späten Bronzezeit eine adäquate Entsprechung, in die sie die revidierte Chronologie datiert. Und schließlich passt der Grabungsbefund im Nildelta (Tell ed-Daba) nur während der 12. und 13. Dynastie mit den Berichten von den Israeliten in Ägypten zusammen.
In den Abschnitten E2 bis E5 werden Detailprobleme der palästinischen Archäologie besprochen. In ihren Beiträgen in Abschnitt E2 fordern Bob PORTER und John BIMSON aufgrund des verfügbaren Befundes einer großen Anzahl von Grabungen eine beträchtliche Verkürzung der Eisenzeit. Das ist jedoch nur möglich, wenn gleichzeitig die ägyptische Chronologie revidiert wird. Die von ihnen postulierte Verschiebung des Endes der Eisenzeit IIC in die persische Ära ist nach der Meinung der Herausgeber aufgrund des archäologischen und textlichen Befundes aber nicht möglich.
Indem er eine Übersicht über die vorhandene Literatur gibt, setzt sich Peter VAN DER VEEN in Abschnitt E3.1 kritisch mit dem Argument Margreet STEINERs auseinander, die Stadt Jerusalem habe weder während der späten Bronze- noch während der Frühen Eisenzeit überhaupt als Stadt existiert.
Dass das Auftreten der Philister entgegen der Meinung von Kritikern auch im Rahmen der revidierten Chronologie mit dem archäologischen Befund und ägyptischen Inschriften in Einklang gebracht werden kann, arbeitet John BIMSON in Abschnitt E 4.1 heraus.
Sehr ausführlich wenden sich Peter VAN DER VEEN, Bernard NEWGROSH und David ROHL in Abschnitt E5 dem Palästina der Amarnazeit zu. Entgegen der Kritik Margreet STEINERs versuchen sie den Nachweis, dass die politischen Verhältnisse in den Amarna-Briefen und den Samuelbüchern, die ja in der revidierten Chronologie gleichzeitig gewesen wären, sehr wohl vergleichbar sind. Der Altsprachler Martin HEIDE und der Alttestamentler Peter VAN DER VEEN setzen sich kontrovers mit Namensvergleichen zwischen den beiden Schriftquellen auseinander, wobei letzterer einige Argumente HEIDEs entkräften kann, ihm an anderen Stellen aber Recht geben muss. Da die Möglichkeit der Gleichsetzung der El-Amarna-Periode mit der frühen Monarchie weniger auf linguistischen als auf historischen Argumenten beruht, ist die revidierte Chronologie davon aber kaum betroffen.
In einem abschließenden Beitrag diskutiert John BIMSON die Archäologie der Landnahme, wobei er sich dafür stark macht, dieses Ereignis um 1400 v.Chr. und nicht wie bisher im 13. Jhd. v.Chr. anzusetzen. Ihre Begründung findet diese Wahl zunächst in Angaben des Alten Testaments selbst. Darüber hinaus zeigt BIMSON auf, dass der archäologische Befund nur gegen Ende der Mittleren Bronzezeit mit den biblischen Berichten zu harmonisieren ist und versucht auszuloten, inwieweit diese Epoche im Rahmen der konventionellen Chronologie mit der Zeitangabe um 1400v.Chr. zu korrelieren ist. Entgegen seinem eigenen ursprünglichen Ansatz scheint eine solche Korrelation aber nur im Rahmen der revidierten Chronologie möglich zu sein.
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die eingangs wiedergegebene vernichtende Kritik an der revidierten Chronologie nicht berechtigt ist. Hinsichtlich aller oben erwähnten chronologischen Angelpunkte existieren glaubhafte Kritiken bzw. alternative Lösungen, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass die Diskussion noch nicht beendet, und in einigen Fällen, wie der assyrischen Chronologie gerade erst begonnen wurde. Das beleuchtet ein Defizit des vorliegenden Bandes, der nur eine Momentanaufnahme der Diskussion um die revidierte Chronologie wiedergeben kann. Für den Leser, der wissen möchte, wie es denn nun wirklich war, ist das sicherlich nicht sehr befriedigend. Umso wichtiger ist es, noch einmal zu betonen, das die revidierte Chronologie wie auch die etablierte ein Modell ist, dass anstelle einer letzten Gewissheit für sich nie mehr wird beanspruchen können, als ein bestimmtes Maß an Wahrscheinlichkeit, dass die Ereignisse so und nicht anders gewesen sind. Lassen wir deshalb zum Abschluss noch einmal David ROHL zu Wort kommen:
„An dieser Stelle wird deutlich, dass die revidierte Chronologie noch in einem frühen Entwicklungsstadium ist. Viel Entwicklungsarbeit wird noch nötig sein, um ein umfassendes, zufriedenstellendes Modell zu entwickeln.“ (Abschnitt B1)
„Der Autor hat den Versuch unternommen, die frühen israelitischen Könige vom Nebel der Mythologie zu befreien und ihnen und den mit ihnen verbundenen Kulturen ihren zentralen Platz auf der archäologischen Bühne wiederzugeben. Ob die Wissenschaft derart radikale Vorschläge aufnehmen wird, muss sich erst noch zeigen. Der Autor hofft jedoch, dass der Beitrag in den verschiedenen mit der Ägyptologie verbundenen Gebieten zu konstruktiver Kritik führen und die weitere Diskussion anregen wird.“ (Abschnitt E1)
Quellen und Anmerkungen
1 „Pharaos and Kings“, Dreiteilige Fernsehserie in Channel IV, Erstsendung September 1995
Unbedingt beachten: Das Buch ist vergriffen und wird hier im PDF-Format zum Download angeboten.