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„Arte“ schürt Ängste durch Desinformation und Feindbilder


„Wer die Trennung von Religion und Wissenschaft rückgängig macht, setzt ein hohes Gut aufs Spiel: gesichertes Wissen aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse, von denen die moderne Gesellschaft lebt.“ Diese Ansicht ist aus historischer und wissenschaftstheoretischer Sicht falsch. Ihr zugrunde liegt die ebenso beliebte wie verkehrte Vermischung der „Wie“-Frage (der sich die Naturwissenschaft widmet) und der „Woher“-Frage (für deren Beantwortung auch noch andere Erkenntnismethoden benötigt werden). Doch auf diese Schlussfolgerung arbeitete der am 19. 9. 2006 auf ARTE ausgestrahlte Film „Von Göttern und Designern“ von Peter Moers und Frank Papenbroock gezielt hin.1 Wer ist so gefährlich, dass man derartige „Geschütze“ auffahren muss? Es geht um Evolutionskritiker, Verfechter des „Intelligent Design“ und Kreationisten, die einmal mehr unterschiedslos in einen Topf geworfen wurden, was völlig unsachgemäß ist (http://www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/f80_1.php). Die eingangs beschriebene „Gefahr“ hatte Joachim Bublath im vergangenen Dezember im ZDF dem Publikum schon einmal heraufbeschworen und damit damit gezielt Ängste vor Ideen und Personen geschürt. Ein angeblich „fast unbemerkt sich ausbreitender christlicher Fundamentalismus“ wird dabei instrumentalisiert, um gegen Menschen Stimmung zu machen, die der Bibel auch in ihren historischen Aussagen vertrauen wollen.

Keine wissenschaftlichen Fragen mehr?

Der Film gibt sich große Mühe zu bestreiten, dass eine wissenschaftliche Debatte um Evolution überhaupt existiert. Von Kreationisten werde nur der Schein einer Debatte erzeugt. Dass eine solche Debatte vergangenen November dennoch an der Uni Salzburg stattfand, wurde als Missgriff der Veranstalter dargestellt. Durch geschickten Filmschnitt erweckten die Filmemacher den Eindruck, als habe der dort referierende Evolutionskritiker Reinhard Junker veraltete Argumente präsentiert. Dies funktioniert folgendermaßen: Ein Zitat des Referenten wird von einem Hörer aus dem Auditorium (Professor Adam) mit dem Worten zurückgewiesen, der Referent habe 40, 50 Jahre alte Schemata verwendet; daran wird ein Statement eines anderen Referenten (Dr. Wessel) angeschlossen (welches erst einen Tag später angegeben wurde), in welchem dieser sich beschwert, dass „Redner wie Herr Junker“ überhaupt zu einer solchen Veranstaltung eingeladen würden. Man könne hier nicht mehr tolerant sein, weil dadurch Wissenschaft „beschädigt“ werde. Dem Zuschauer wurde aber vorenthalten, dass auf den Einwand von Professor Adam aus dem Publikum postwendend der Hinweis kam, dass fast alle Beispiele in Junkers Vortrag aus den letzten fünf Jahren stammten.2 Das Publikum erfährt ebenfalls nicht, dass Dr. Wessel seine Behauptung, Wissenschaft werde beschädigt, gar nicht begründet und dass er keinerlei fachliche Einwände gegen Junkers Argumente vorgebracht hat. Zeit dafür wäre in den Diskussionsrunden zur Genüge gewesen. Diese Sequenz macht beispielhaft deutlich, dass kaum Bereitschaft vorhanden ist, sich den sachlichen Kritikpunkten an der Evolutionstheorie zu stellen; diese Kritik wird vielmehr fast vollständig unterdrückt. Stattdessen wurde im Film darauf abgehoben, dass es den Evolutionskritikern und Kreationisten gar nicht um wissenschaftliche Fragen gehe, sondern dass sie die Zweifel an Evolution nur dazu nutzen wollten, um auf eine Gesellschaft zuzuarbeiten, die von fundamentalistisch-christlichen Werten geprägt sei. Dies laufe auf Unfreiheit, Bevormundung und einen Rückfall ins Mittelalter hinaus. So schürt man auf gekonnte Weise Ängste beim Zuschauer vor bestimmten Anschauungen und ihren Vertretern.

Kreationismus in der Schule

Dass der Kreationismus im Bildungswesen in Deutschland angekommen sei, wurde am Beispiel der christlichen August-Hermann-Francke-Schule und der staatlichen Liebig-Schule in Gießen demonstriert. „Aussteiger“ aus der Francke-Schule kamen zu Wort. Ein Vater äußerte die Sorge, dass seine Kinder, wären sie bis zum Abitur an der Schule geblieben, im Fach Biologie wohl erhebliche Defizite gehabt hätten. Wieder werden wichtige Informationen unterschlagen. Der Zuschauer erfährt nicht, dass die Schüler christlicher Privatschulen im Fach Biologie in Wirklichkeit gar nicht schlechter abschneiden als andere. Etwas anderes könnten sich Privatschulen, deren Schüler dasselbe Abitur wie Schüler an staatlichen Schulen schreiben müssen, gar nicht leisten. Statt Fakten werden also Vermutungen präsentiert, das aber wirkungsvoll in Szene gesetzt. Warum kommen nur zwei Aussteigerfamilien und ein ehemaliger Lehrer im Film zu Wort, nicht aber die große Mehrheit von Eltern und Lehrern, die anders über die Francke-Schule urteilt? Eine den Filmemachern Moers und Papenbroock bekannte Stellungnahme der Studiengemeinschaft Wort und Wissen zum Thema „Evolution und Schöpfung in der Schule“ findet sich unter Evolution und Schöpfung in der Schule.

Ein bisschen Wissenschaft durfte es schon sein

Reinhard Junker „durfte“ an einem Beispiel den Unterschied zwischen Mikroevolution und Makroevolution erklären und Michael Behe das Konzept der nicht reduzierbaren Komplexität als Argument für Intelligent Design (ID) erläutern. Letzteres wurde vom Bestsellerautor und Darwinisten Richard Dawkins, „zerpflückt“, indem er auf die Behinderung wissenschaftlicher Forschung durch den ID-Ansatz abhob: Ja, es gebe noch offene Fragen, aber er höre dann nicht auf zu forschen und sage dann nicht, ein Designer habe gewirkt. Dabei handelt es um das wohl am meisten gebrauchte Strohmann-Argument gegen „Intelligent Design“, es wurde schon so oft widerlegt (siehe Internet-Links am Ende), dass man Dawkins und vielen anderen bedauerlicherweise nur Unkenntnis der Diskussionslage oder Ignoranz bescheinigen kann. Da aber der Zuschauer in der Regel diese Zusammenhänge nicht kennt und er keine den Tatsachen entsprechende Darstellung erhält, wirkt hier der Film erneut beängstigend nicht nur durch das Gezeigte, sondern durch das, was an relevanten Informationen weggelassen wird.

Kreationismus aus USA und England

Relativ ausführlich wurde über ein geplantes Schöpfungsmuseum von „Answers in Genesis“ und einen großen Kongress dieser Gruppe in England berichtet. Die Selbstsicherheit, mit der dort vage Modellvorstellungen als biblisch und wissenschaftlich begründet dargestellt wurden, war in der Tat erschreckend. Aus der Sicht der Schöpfungslehre scheint es dort keine Probleme und offenen Fragen zu geben; das ist unrealistisch. Die Behauptung, nichts spreche aus wissenschaftlicher Sicht gegen ein Erdalter von 6000 Jahren, ist nicht haltbar. Es ist eine Sache, sich aus biblischen Gründen aus dem Glauben heraus zu einer jungen Erde zu bekennen (was wir bei Wort und Wissen tun), und eine andere, das als wissenschaftlich gut begründet und als widerspruchsfrei zu wissenschaftlichen Fakten darzustellen. Wer Letzteres behauptet, handelt sich den Vorwurf leider zurecht ein, Fakten zu ignorieren.3 Und wenn die Evolutionslehre tatsächlich als Grundübel der westlichen Welt ausgemacht wird, pauschalisiert und polemisiert man auf bedenkliche Weise. Moers und Papenbroock haben allerdings genau gewusst, dass sowohl bei vielen „Intelligent Design“-Befürwortern als auch bei Bewegungen wie der Studiengemeinschaft Wort und Wissen ganz anders, nämlich sachlich, sauber und die Person und Position des Andersdenkenden achtend argumentiert wird.4

Kardinal Schönborn

Bemerkenswert sind auch die im Film gezeigten Äußerungen von Kardinal Schönborn. Dieser hatte durch einen evolutionskritischen Beitrag in der New York Times Anfang Juli 2005 für weltweites Aufsehen und Empörung gesorgt. In der Arte-Dokumentation bezeichnete er die kreationistische Sicht jedoch als „unsinnig, weil sie eine totale Verwechslung von zwei Ebenen ist“.5 Es wurde im Film deutlich hervorgehoben, dass die Kirche kein Problem mit der Evolutionstheorie als wissenschaftliche Erklärung der Lebensentstehung habe, solange die geistlich-seelische Komponente des Menschen ein übernatürlicher direkter Schöpfungsakt Gottes bleibt. Die Amtskirchen würden die „wissenschaftlichen Fakten“ anerkennen. Das ist wohl wahr, aber wieder wurde dem Zuschauer die Information vorenthalten, dass auch „Intelligent Design“-Vertreter und die Studiengemeinschaft Wort und Wissen die wissenschaftlichen Fakten uneingeschränkt anerkennen. Sie versuchen aber, diese anders zu interpretieren. Wie soll man Wissenschaft und Schöpfungsglaube voneinander trennen, wenn Gott die Welt durch sein Wort wirklich und real geschaffen hat? Selbstverständlich muss man Argumentationsebenen und Erkenntnisweisen (Offenbarung auf der einen, empirische Erkenntnis auf der anderen Seite) unterscheiden. Aber beides muss aus christlicher Sicht aufeinander bezogen werden. Auch Kardinal Schönborn, dem inzwischen wohl niemand mehr „evangelikalen Fundamentalismus“ unterstellt, praktiziert das auf seine Weise. Das hängt ganz einfach mit dem Realitätsbezug des christlichen Glaubens zusammen.

Der Film wurde mit „Ein Glaubenskrieg erreicht Europa“ untertitelt. Wer gegen wen wie Krieg führt, konnte der kritische Zuschauer anhand dieses Films eindrucksvoll feststellen.

Wichtige Links

Worin unterscheiden sich Kreationismus und „Intelligent Design“?

Fördert der Ansatz der Schöpfungslehre und des „Intelligent Design“ Forschung?

Wie die Evolutionstheorie vor Kritik geschützt wird

Evolution und Schöpfung in der Schule

Studiengemeinschaft Wort und Wissen akzeptiert und nutzt Naturwissenschaft

Informationen zu „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“: Evolution – ein kritisches Lehrbuch sowie http://www.evolutionslehrbuch.info

Anmerkungen

1 Die entsprechenden Schlusszitate des Films lauten wörtlich: „Wenn zugelassen wird, dass sich christlicher Fundamentalismus weiter verbreitet, gefährdet man ein hohes Gut, das Wissen der nächsten Generation und das Vertrauen in ein demokratisches System, das auch mit ungelösten Fragen leben kann. … Die Trennung von Religion und Naturwissenschaft hat unzählige neue Erkenntnisse gebracht und das Europa von heute entstehen lassen, eine weitgehend demokratische und aufgeklärte Gesellschaft. Wer die Trennung von Religion und Wissenschaft rückgängig macht, setzt nicht mehr und nicht weniger als diese Errungenschaft aufs Spiel.“

2 Reinhard Junker hielt den Salzburger Vortrag auch am 11. 10. 2005 auf der Philosophischen Woche der Katholischen Akademie in München. Der Vortrag ist in verkürzter Form abgedruckt in: Zur Debatte – Themen der Katholischen Akademie in Bayern. 35. Jg. 2005, München. Eine ausführlichere Version dieses Vortrags kann unter Was erklärt die Evolutionstheorie? (PDF, 2,6 MB) heruntergeladen werden.

3 Allerdings gilt es umgekehrt auch, diejenigen Befunde nicht auszublenden, die im herkömmlichen Langzeitrahmen schwer zu verstehen sind, und ihnen kritisch nachzugehen.

4 Dies haben die beiden Filmemacher Herrn Junker gegenüber bei einer eintägigen Begegnung deutlich zum Ausdruck gebracht. Sie bekundeten dabei darüber hinaus auch Sympathie mit dem „Intelligent Design“-Ansatz. Dies ist auch durch emails mit anderen interviewten Personen dokumentiert.

5 In Bezug auf manche kreationistische Strömungen ist diese Einschätzung nachvollziehbar.