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Stellungnahme zum EZW-Text „Kreationismus: Wie man die Wissenschaft ruiniert“ – III. Festlegung auf den Naturalismus



Die beiden Artikel von H. Hemminger und M. Neukamm im „Materialdienst der EZW 8/2014“1 haben das offenkundige Ziel, die wissenschaftliche Arbeit von „Wort und Wissen“ vollständig zu diskreditieren, denn die Ausführungen werden in der Überschrift damit eingeleitet, dass Wissenschaft „ruiniert“ werde, und sie laufen auf die Schlussfolgerung zu, dass von Naturwissenschaft „nichts übrig“ bleibe. „Nichts“! Wer unter den Lesern, der Wort und Wissen nicht aus eigener persönlicher Begegnung kennt, will mit einem solchen „wissenschaftsfeindlichen“ Verein und solchen Leuten irgendetwas zu tun haben?

In der Folge I dieser Serie (W+W-Diskussionsbeitrag 4/2014 „Wie man einen notwendigen Diskurs ruiniert“) wurde erläutert, dass der schwerwiegende Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit dadurch erst konstruiert wird, dass der SG Wort und Wissen zahlreiche Positionen unterstellt werden, die ihre Mitarbeiter gar nicht vertreten. Der Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit resultiert aber auch aus einem anderen Grund: M. Neukamm setzt fälschlicherweise den Gegenstand von Naturwissenschaft mit dem naturalistischen Wirklichkeitsverständnis gleich (s. Kasten) und legt sich auf den Naturalismus als einzig legitimen Erkenntniszugang für jegliche Ursprungsforschung fest, während er (als bekennender Atheist) die Bezugnahme auf einen Schöpfer als „willkürliche Fantasie“ betrachtet. Mit dem grundsätzlichen Ausschluss der Antwortoption „Schöpfung“ gibt Neukamm aber das Grundprinzip wissenschaftlichen Arbeitens auf: Die ergebnisoffene Suche nach der Wahrheit.

Dass dieser Ausschluss tatsächlich grundsätzlicher Natur ist, geht aus den Zitaten hervor, die am Ende dieses Textes in einem Anhang zusammengestellt sind. Es wird zwar oft von einem „methodischen Naturalismus“ gesprochen, doch läuft dieser letztlich auf einen ontologischen (bzw. weltanschaulichen) Naturalismus hinaus. Denn wenn das Wirken Gottes in wissenschaftlichen Erklärungen prinzipiell (!) methodisch ausgeschlossen wird, betrachtet man es folglich als irrelevant bzw. nicht gegeben. Genau das aber ist die Position des ontologischen Naturalismus.

Der Naturalismus ist die Lehre, dass alles, was es gibt, natürlich und innerweltlich (immanent) ist und auf rein physikalisch-chemische Weise entstanden ist. Im Rahmen einer naturalistischen Evolutionstheorie wird daher jeglicher schöpferische Eingriff, also das Wirken eines geistigen Urhebers, ausgeschlossen.

Neukamm stellt in seinem Artikel zurecht fest, dass die Wissenschaft vom Prinzip der freien Suche nach der Wahrheit lebt. Im Gegensatz dazu vertritt er die Auffassung, es gehöre zum Selbstverständnis von Wissenschaft, die Welt nur natürlich zu erklären, und Weltanschauungen, die einen Designer postulieren, seien Fantasien. Wohlgemerkt: Es geht hier um Ursprungsfragen, nicht um die funktional-analytisch ausgerichtete Gegenwartsforschung wie Zellbiologie, Meteorologie, Medizin oder Technik. Die Möglichkeiten der Naturwissenschaft sollen und müssen auch bei Ursprungsfragen voll ausgeschöpft werden (s. u.). Neukamm legt sich jedoch auf den Naturalismus als Wahrheitskriterium für alle Wissenschaften fest und schließt Erklärungen, welche auf Schöpfung referieren, methodisch und inhaltlich prinzipiell aus. Ein Großteil seiner Ausführungen und der Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit ist nur durch diese Festlegung und diesen Ausschluss verständlich.

Was aber ist, wenn manche Naturphänomene nicht oder nur teilweise naturwissenschaftlich erklärbar sind, weil sie durch Schöpfung ins Dasein kamen bzw. geschaffen wurden? Ergebnisoffene Wissenschaft wird diese Option berücksichtigen, zumal es dafür viele klare Indizien gibt.2 Dass es wissenschaftliche Hinweise für geistige Verursachung, sprich Schöpfung, geben kann, stellt auch der atheistische Philosoph Thomas Nagel fest.3 Der apodiktische Ausschluss der Option „geistige Verursachung“ bedeutet für Nagel eine nicht durch die Methoden der Naturwissenschaft selbst zu rechtfertigende Festlegung auf den Naturalismus. Nur wenn man Gottes Eingreifen von vornherein verneine, könne der Ausschluss des Design-Ansatzes verteidigt werden. Dieser grundsätzliche Ausschluss Gottes als Designer ist also nach Nagel ebenso wenig naturwissenschaftlich zu begründen wie dessen Akzeptanz. Wer solche Zusammenhänge ignoriert, kann allenfalls die beste unter den naturalistisch möglichen wissenschaftlichen Erklärungen auswählen; von der Wahrheitssuche, dem Grundmotiv aller Wissenschaft, ist man weit entfernt.

Um nun im Einzelfall herauszufinden, ob die Erklärung (der erstmaligen Entstehung!) eines Naturgegenstandes besser durch blinde, ungelenkte Naturprozesse oder durch geistige Verursachung gelingt (oder überhaupt möglich ist), muss ohne Frage alles naturkundliche Wissen ausgeschöpft werden. Ohne gründliches naturwissenschaftliches Arbeiten gibt es kein einziges Design-Argument. Diese Verflechtung wurde in mehreren Wort und Wissen-Publikationen (und andernorts) ausführlich erläutert. Neukamm scheint sich dafür nicht zu interessieren, sondern wiederholt vorurteilsbeladene Versatzstücke seiner früheren Publikationen und erfindet unsinnige Leitideen, die er seinen Diskursgegnern unterstellt. Erst damit gelingt es ihm, den Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit an die Adresse von „Wort und Wissen“ zu konstruieren.

Die Argumentation mit „Lücken“

Die Festlegung auf den Naturalismus als allein gültigen Deutungsrahmen aller Wissenschaft erklärt auch Neukamms Umgang mit „Lücken“. Bei Vorgabe des Naturalismus sind auch grundlegende ungelöste Probleme der Entstehung von Naturgegenständen immer nur Lücken des „noch nicht Wissens“, auch solche, die sich trotz intensiver Bemühungen nicht schließen lassen. In keinem Fall wird dann die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass man die Ursachen an einer falschen Stelle gesucht hat oder prinzipiell die falschen Fragen stellte, sondern es wird konsequent gemutmaßt, es müsse irgendwelche – jetzt noch unbekannte – natürliche Wege als Lückenbüßer geben. Dagegen hält Thomas Nagel fest: Die Fragen, ob ein göttlicher Eingriff eine wahrscheinlichere Erklärung ermöglicht als physikalische Gesetze alleine und ob es Grenzen dessen gibt, was durch physikalische Gesetzmäßigkeiten erklärt werden kann, sind eben auch wissenschaftliche Fragen.4

Wenn der Naturalismus wahr wäre, müssten alle Grenzen (z. B. zwischen Nichtleben und Leben oder Nichtbewusstsein und Bewusstsein) durch blinde (unintelligente) physikalische Prozesse überschritten werden können. Wenn eine rein naturwissenschaftliche Erklärung dieser Überschreitungen aber nicht gelingt, könnte dies auf eine grundsätzliche Grenze für natürliche Vorgänge hinweisen. Einer auf den Naturalismus festgelegten Wissenschaft bleibt dagegen nur der Schluss, dass lediglich eine Wissenslücke vorliegt. Niemals kommt man so auf den Gedanken, eine andere Art der Verursachung bzw. die Falschheit des naturalistischen Deutungszuganges zu vermuten. Und damit bleibt man blind für die Möglichkeit, dass Schöpfung eine vernünftige Erklärung bieten könnte, und dass der Verweis auf einen Schöpfer den Schluss auf die zur Zeit beste (bzw. einzige) Erklärung unter Berücksichtigung des gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Wissens ermöglichen könnte.

Neukamm meint, Wort und Wissen erwecke den Eindruck, das Evolutionsparadigma werde durch Nichtwissen geschwächt oder unplausibel. Das vertritt Wort und Wissen in dieser verkürzten Form nicht. Evolutionäre Hypothesen werden dadurch geschwächt, dass sie das nicht erklären können, was sie erklären müssten, und dass Befunde gewonnen werden, die evolutionstheoretischen Erwartungen widersprechen.5 Dies zu zeigen erfordert eine Detaildiskussion, die Wort und Wissen reichlich geführt hat und weiterhin führen wird. Wenn Neukamm aber wirklich meint, dass eine fehlende Bestätigung bzw. ein Scheitern einzelner Evolutionstheorien das Evolutionsparadigma nicht schwächt, dann hat er es dogmatisiert.6 Denn was sonst außer unpassenden oder ausbleibenden, aber zu erwartenden Befunden könnte spezielle Evolutionshypothesen im Detail oder die Leitidee Evolution als Ganzes schwächen oder sogar widerlegen?

Anhang: Kommentierte Zitate M. Neukamms, aus denen die Festlegung auf den Naturalismus hervorgeht

„Würden wir die Entwicklung von Kosmos, Erde und Leben unter Zuhilfenahme einer in die Welt eingreifenden ‚Intelligenz‘ erklären (…), würde sich die Sinnhaftigkeit der Wissenschaft von selbst aufheben, denn es gäbe dann keine objektive Grenze zwischen Willkür, Fantasterei und subjektiver Spekulation auf der einen und rationaler, intersubjektiv nachvollziehbarer Wissenschaft auf der anderen Seite“ (S. 298). – Zunächst ist diese Schlussfolgerung ist falsch, weil der Schluss auf einen Designer nach klaren Regeln und nicht willkürlich erfolgt, wie Neukamm indirekt unterstellt. Zum anderen übersieht Neukamm, dass der Erklärungsgegenstand von Evolutionstheorien (Evolution als Prozess) und des Design-Argumentes (Indizien für intelligentes Design) nicht identisch sind. Weiter folgt aus diesem Zitat eine atheistisch motivierte Grundhaltung, wenn eine „eingreifende Intelligenz“ mit „Willkür, Fantasterei und subjektiver Spekulation“ verbunden wird.

„Sie [eine „wissenschaftsphilosophische Finte“] soll dem Zuhörer den falschen Eindruck vermitteln, das Nichtberücksichtigen göttlichen Schöpfungswirkens in den ‚Ursprungstheorien‘ sei Ausdruck einer dogmatisch-weltanschaulichen Festlegung“ (S. 297). – Dieses Zitat entspricht einer Selbstimmunisierung mit dem Ziel, dass ein göttliches Schöpfungswirken nicht berücksichtigt werden soll.

„Deshalb sind Weltanschauungen, die Götter und unspezifische Designer postulieren, auch nicht überprüfbar, sondern willkürliche Fantasien, basierend auf religiösen oder esoterischen Dogmen“ (S. 298).

„Laune eines fiktiven Designers“ (S. 298).

„Was Junker verlangt, ist nicht die Anerkennung der Grenzen der naturwissenschaftlichen Methode. Damit könnte man leben. Er fordert vielmehr, dass die Naturwissenschaftler ihren Anspruch und ihr Selbstverständnis, die Welt natürlich zu erklären, zugunsten seiner religiösen Ideologie beschneiden“ (S. 299). – Was die naturwissenschaftliche Methode ist, wird von Neukamm nicht definiert. Offenbar aber meint er damit den Versuch, die Welt natürlich zu erklären unter Ausschluss anderer Möglichkeiten. Ob aber die Welt einschließlich ihrer Entstehung natürlich erklärbar ist, kann mit der naturwissenschaftlichen Methode nicht geklärt werden. Naturwissenschaft ist jedenfalls gerade in einer intelligent geschaffenen Welt uneingeschränkt möglich.

„Man kann es nicht oft genug sagen: An den Grenzen des aktuellen Wissens hinsichtlich der Entstehung und Entwicklung der Arten beginnt weder das „intelligente Design“, noch die Unwahrscheinlichkeit der Evolution. Wissensgrenzen sind nur und ausschließlich ein Argument für Nichtwissen – nicht mehr, aber auch nicht weniger“ (S. 301). – Wenn gilt: „Wissensgrenzen sind nur und ausschließlich ein Argument für Nichtwissen“, kann der Naturalismus nicht widerlegt werden. Denn alles, was im Naturalismus nicht erklärt werden kann, ist bloßes Nichtwissen und nicht einmal ein Verdachtsmoment dafür, dass der Naturalismus falsch sein könnte. Zudem ist Neukamms Behauptung falsch, weil Naturalismus und geistige Verursachung (Supranaturalismus) einander gegenüberstehen: Denn Naturalismus und Supranaturalismus schließen sich gegenseitig aus. Daher liefert das Scheitern des Naturalismus ein Argument für einen Supranaturalismus. (Das Scheitern von A impliziert logisch die Wahrheit von Nicht-A.) Und das wichtigste Merkmal des Naturalismus ist, dass das Geistige nichtfundamental und nichtursprünglich ist.

„Aber nehmen wir einmal an, wir wüssten tatsächlich nichts – und alle Evolutionsmodelle, die denkbar sind, wären rundheraus falsch! Selbst dann wäre Schöpfung, und insbesondere der Kreationismus, nicht plausibler – denn es gäbe noch immer zahlreiche mögliche Alternativen – an der Unplausibilität von „Intelligent Design“ und Kreationismus änderte sich dadurch nichts!“ (S. 301) – Gibt es tatsächlich naturalistische Alternativen zur Evolution? Neukamm beruft sich auf etwas, das nirgendwo ernsthaft diskutiert wird. Wenn unter der Vorgabe des Naturalismus also bislang keine Erklärung für Evolution gefunden wurde, soll es dennoch eine – vorerst noch – unbekannte, noch nicht herausgefundene Lösung geben. Das ist ein Lückenbüßer des Naturalismus, von dem man keinerlei Vorstellung hat. Der Naturalismus wird dogmatisch vorgegeben, denn auch ein vollkommenes Scheitern seines Erklärungsanspruches, („wir wüssten tatsächlich nichts“) kann ihn nicht in Frage stellen.

Anmerkungen

  1. H. Hemminger: Zur Einführung: Warum der Kreationismus ein Thema sein muss, http://www.ekd.de/ezw/Publikationen_3230.php; M. Neukamm: Bemerkungen zur wissenschaftstheoretischen Position der Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“, http://www.ekd.de/ezw/Publikationen_3228.php
  2. Junker R (2010) Spuren Gottes in der Schöpfung? Holzgerlingen; Kapitel 3.
  3. Nagel T (2008) Public Education and Intelligent Design. Philosophy & Public Affairs 36, 187-205; Zitat S. 189.
  4. Nagel, a. a. O., S. 190.
  5. Siehe dazu Abschnitt 5.2 „Evolution erklärt Sachverhalte und ihr Gegenteil“ im Internetartikel „Wissenschaft im Rahmen des Schöpfungsparadigmas“ (Stand: 2005) von R. Junker
  6. Neukamm (S. 299): „Sie erwecken den irreführenden Eindruck, die Evolutionstheorie werde durch Nichtwissen geschwächt oder unplausibel. Dabei handelt es sich um Scheinargumente, denn fehlendes Wissen zur Evolution konkreter Arten oder Artmerkmale ist niemals ein Argument für oder gegen die Theorie.“ (Hervorhebung hinzugefügt) – Wenn aber bestimmte Befunde („Wissen“) aufgrund evolutionärer Hypothesen zu erwarten wären, sie aber nicht eintreffen, ist das selbstverständlich ein Argument gegen die betreffende Hypothese.