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Zur biblischen Sicht von Erkenntnis und Wissen


Prof Dr. A. Herzer zu
Thesen der Arbeitsgruppe Wissenschaftstheorie der Studiengemeinschaft Wort und Wissen

Zur biblischen Sicht von Erkenntnis und Wissen, sollen nächstes Mal besprochen werden, Verbesserungsvorschläge möglichst schon vorher. Hier mein Beitrag dazu. Mir schien es angebracht, die Fragestellung nach der Bedeutung der Heiligen Schrift (allgemein, bzw. in Bezug zur Wissenschaft) hier erst einmal herauszulösen. Natürlich wird von der entscheidenden Stellung der Schrift ständig implizit Gebrauch gemacht; sollte also darüber vorher ein Abschnitt kommen, oder doch lieber zusammen mit IV,1? (Hier sind ohnehin entbehrliche Überlappungen zu verzeichnen.) Umgekehrt schienen mir die Überlegungen in IV,6 (Kulturmandat) besser nach II zu passen. Die Thesen haben ja keinen Selbstzweck sondern geben der Arbeitsgruppe Wissenschaftstheorie (und dann auch den übrigen Arbeitsgruppen) Gelegenheit, auch im Diskurs sich hier bessere Klarheit zu verschaffen und vor allem, die vielen schönen Dinge, die dazu schon gesagt bzw. geschrieben wurden, wieder zum Leben zu erwecken und zur Kenntnis zu nehmen. Im Hintergrund steht dann noch die Möglichkeit, daß diese Thesen als eine Selbstverständigung von Wort und Wissen, (später)auch noch als Grundlage von Gesprächen mit anderen Gruppen – seien sie inner- oder außerkirchlich – dienen könnte. (Letzteres ist wohl auch der Grund für den Aufbau, wo fühere Thesen bereits Begriffe benutzen, die später noch einmal besser erklärt werden.) Hier mein Entwurf:

  1. Vom Anfang her ist Wissenschaft begründet im Schöpfungsauftrag des Menschen, sich die Erde untertan zu machen (Gen.1,28 – Kulturmandat) und dabei auch die Einzeldinge zu benennen (Gen.2.19). In der urprünglich gegebenen Gemeinschaft des Menschen mit Gott, seinem Schöpfer und Erlöser durfte und sollte der Mensch Gottes Schöpfung erforschen und erkennen, um Ihn darüber wiederum zu loben und zu preisen.

  2. Für den Menschen nach dem Fall ist mit seiner Gottesebenbildlichkeit auch dieser Schöpfungsauftrag geblieben; seine Realisierung ist jedoch verdunkelt und geschwächt. Wissenschaft dient jetzt in erster Linie dem Zurechtfinden des Menschen in seiner Umwelt, als die Fertigkeit (Technik, d.h.“Kunst“), sich das Leben angenehm oder wenigstens erträglich zu machen.

  3. Wie auf dem Gebiet der Sittlichkeit und Lebensführung zeigt der Mensch außer- halb der Offenbarung auch bezüglich Wissenschaft immer wieder erstaunliche Leistungen und Erfolge. Jedoch bewirkt die Trennung von Gott, daß der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen ist (incurvatus in se) und daher den Gegenständen nie neutral begegnet, sondern die mit ihnen gegebene Evidenz nach der Maßgabe des Unglaubens und seiner Begierden verkehrt (Röm.1,18-23). Nämlich, je mehr seine Erkenntnisbemühungen grundlegende Seinsfragen (Wahrheit, Ursprung, Sinn) tangieren, desto stärker wird sein Blick durch das Eigeninteresse getrübt; am Ende kommt immer heraus, daß er (implizit oder explizit) eine Welt- anschauung entwickelt, in der über Gott in irgendeiner Weise verfügt und er selber entschuldigt wird.

  4. Gottes Heilsweg geschieht als seine fortschreitende Selbstkundgabe in der Geschichte. Gott erwählt und beruft Menschen zu seinem Dienst, gibt sich ihnen zu erkennen und erschafft sich so sein Volk. Hier erhält Wissenschaft wieder ihren ursprünglichen Sinn. Schon Israel weiß: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis“ (Spr.1,7a). In Jesus Christus ist das Wort von der Versöhnung aufgerichtet. Die neutestamentliche Gemeinde ist die Schar derer, die dieses Wort im Glauben annehmen und so im Frieden mit Gott stehen. Damit ist auch prinzipiell die erkenntnistheoretische Selbstverkrümmung des Menschen durchbrochen; er kann wieder Geschöpf in Gottes Schöpfung sein.

  5. Mit Recht wird die neutestamentliche Gemeinde „Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit“ genannt (1.Tim. 3,15). Als Salz der Erde und Licht der Welt kann und soll sie auch außerhalb ihrer selbst in der Öffentlichkeit Einsichten für die Welt als Schöpfung vermitteln. Sie bezeugt, daß erst durch den Glauben an den dreieinigen Gott Wissenschaft die Welt wieder als Schöpfung begreifen kann und ermöglicht damit eine sachgemäße, also weder naturalistische noch emanzipatorische, Begegnung des Menschen mit der Schöpfung.

Soweit mein Entwurf.

Kommentar:

Die Korruption von Wissenschaft durch den Fall wird hier allgemein geschildert, so daß verschiedene Geschichtsperioden damit kommentiert werden können. Außer- dem ist dieser Teil der Thesen so für einen größeren (über WuW hinausgehenden) Kreis konsensfähig. Als Anwendung sollte jetzt eine Beurteilung der geistesgeschichtlichen Situation der heutigen Wissenschaft erfolgen (damit wurde m.W. ein Team beauftragt). Ich plädiere also für Vertauschung der Abschnitte I und II. Hier gehört daher hinein, wie sich Wissenschaft zu ihrer heutigen Form entwickelt hat, beginnend mit Renaissance, „etsi deus non daretur“, Aufklärung, „Welt alskausal geschlossene Gesamtwirklichkeit“, „redlich, also ohne metaphysische Voraussetzungen forschen“, Säkularismus, Emanzipation, die Frage nach der Gewißheit usw. Hilfreich, weil wiederum konzentriert, ist der aus einem Vortrag zur 600-Jahr- feier der Universität Köln hervorgegangene Aufsatz von Lutz E.v.Padberg: „Glauben und Denken – die Hochschule in der Spannung zwischen christlicher und säkularer Orientierung“, Faktum 1 (1989). Ich zitiere hier die Schlußthesen, die in ihrer Konzentration eigentlich erst nach Lektüre des vorherigen Textes recht verstanden werden können:

  1. Wenn sich, wie im heutigen Universitätsbetrieb üblich, das Denken auf den immanenten Raum beschränkt, verfällt es durch diese selbstgewählte Begrenzung dem Reduktionismus und nimmt die Realität nur noch segmenthaft wahr. Der Mensch ist dann in Denken und Handeln „incurvatus in se ipsum“, auf sich selbst zurück- geworfen.

  2. Nötig ist gegenüber dieser Engführung eine Entmythologisierung des Postulates der geschlossenen kausalen Gesamtwirklichkeit. Objektives und voraussetzungsloses Denken ist ein ideologisches Axiom.

  3. Aufgehoben werden kann die Lebens- und Denkform des Säkularismus nur durch die Rückkehr zu einer Relationenontologie. Die Identität des Menschen erschließt sich danach allein aus seiner Schöpferbeziehung. Aus der Verantwortung dem Schöpfer gegenüber ergeben sich die Grundlagen seines Denkens, seiner Ethik und seiner Stellung zum Mitmenschen.

  4. Ohne den Schöpferbezug bleibt alles Bemühen um Evidenz in der Zirkularität stecken. Deshalb ist Vernunft ohne Vertrauen nicht möglich. Dies kann freilich nicht auf dem Wege einer intellektuellen Übung erreicht werden, sondern nur durch eine von außen kommende existentielle Neuwerdung.

  5. Das Heilshandeln Gottes gibt den notwendigen Bezugs- und Denkrahmen auch für die Wissenschaft. Deshalb gilt, was Paulus an die Kolosser schrieb, daß nämlich „aller Reichtum an Gewißheit des Verständnisses zur Erkenntnis des Geheimnisses Gottes in Christus liegt, in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind“ (2,2f). Biblische Universalität ermöglicht wahre Wissenschaft, Glauben und Denken gehören zusammen.