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Grönländische Eiskerndaten und ihre Interpretation: Absolute Datierung durch Zählung der Jahresschichten?


Artikel als PDF-Datei (49 Seiten, 4453 KB, Stand: 11.06.2018)

Fragestellung

Die Tiefbohrungen in das grönländische Inlandeis dienen hauptsächlich einem Zweck: der Rekonstruktion des Klimas1 der Vergangenheit. Ohne eine zeitliche Verankerung aber sind die gewonnenen Klimadaten, so glaubt man, nutzlos. Der Aufstellung von Eiskernchronologien* und deren absolut-zeitlichen (jahrgenauen2) Eichung kommt deshalb eine essentielle Bedeutung zu. Die dabei angewendeten Datierungsmethoden sind überwiegend Eigenentwicklungen der Eiskern-Bearbeiter. Hammer et al. (1986) definieren Eiskerndatierung methodisch ausschließlich bezogen auf eine Jahresschichtenzählung: „Eiskerndatierung ist eine unabhängige Methode absoluter Datierung auf der Basis der Zählung von individuellen Jahresschichten in großen Eisschilden.“3 Werden die Altersangaben zu den gewonnenen Eiskernen betrachtet – 100.000 Jahre und mehr4,5 –, stellt sich die Frage, wie diese Alter konkret ermittelt worden sind, was sie bedeuten und ob es sich in der Tat und ohne Einschränkung um eine unabhängige wie auch absolute Datierungsmethode handelt.

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Eiskerne des grönländischen Inlandeises erlauben über geochemische Indikatoren (Chemo-, Isotopenstratigraphie) und vulkanische Aschelagen (Tephrostratigraphie) eine Einbindung in die Quartärstratigraphie (oberstes Pleistozän, Holozän).

Die Datierung von Eiskernen erfolgt hierarchisch:

  1. Klimatostratigraphische Korrelation und Verankerung in die Quartärstratigraphie.
  2. Übernahme von zwei radiometrisch geeichten Altersfixpunkten der quartärgeologischen Zeitskala und Übertragung auf konkrete Ereignispunkte der Eissäule, Konstruktion (Approximation) einer meter- bzw. „jahrgenauen“ Tiefen-Alters-Beziehung durch Kalkulation unter Anwendung eines physikalischen Eisflussmodells.
  3. „Jahresschichtenzählung“: Die Anzahl auszuweisender Einzel-„Jahre“ ist durch die radiometrische Eichung im Wesentlichen vorbestimmt. Durch Fixierung der notwendigen Skalen- bzw. „Jahres“einheiten über entsprechende Auflösungen stratigraphischer und/oder physikochemischer Signale wird eine „jahrgenaue“ Zeitskala konstruiert (Eiskernchronologie). Ohne den Nachweis erbracht zu haben, werden die Signale mit „Jahren“ und „Jahresschichten“ assoziiert bzw. als solche interpretiert.

Bei den Altersangaben zu den ältesten Abschnitten der gewonnenen Eiskerne, 100.000 bis über 250.000 Jahre, handelt es sich nicht um Kalenderjahre sondern um radiometrische bzw. radiometrisch geeichte „Jahre“. Dasselbe gilt für das Datum der Pleistozän/Holozän-Grenze; die 11.700 [Eiskern-]Jahre sind 14C-begründet. Es ist nicht bekannt, in welcher Beziehung 14C-Alter und andere radiometrische Alter dieser Größenordnung zum realen Alter stehen.

Davon differenziert zu betrachten sind die Sauerstoffenisotopen-Feinoszillationen, die sich vom Top des Eisschildes je nach Lokalität bis einige Hundert Meter Tiefe erhalten haben. Hier ist eine echte jahreszeitliche Prägung wahrscheinlich; eine unabhängige Bestätigung (z. B. durch Identifizierung von vulkanischen Aschelagen historisch bekannten Alters) steht für diesen obersten Abschnitt jedoch noch aus. Die Eiskerndatierung in ihrer Gesamtheit ist folglich weder ein unabhängiges noch ein absolutes Datierungsverfahren. Eine absolute Datierung durch Zählung von nachweislich echten Jahresschichten ist nicht gegeben.

Die von den Eiskern-Bearbeitern ausgewiesenen Alter zu den gewonnenen Eiskernen des grönländischen Eisschildes sind radiometrisch begründet. Da nicht bekannt ist, in welcher Beziehung 14C-Alter und weitere radiometrische Alter dieser Größenordnungen zum realen Alter stehen (KOTULLA 2013), können radiometrische Alter nicht mit realem Alter gleichgesetzt werden. Die Altersangaben zu den Eiskernen ohne Ausweis der (mittel- oder unmittelbar) zugrundeliegenden Datierungsmethode, also ohne entsprechende Kennzeichnung, sind irreführend.

 

Anmerkungen
1 Die klimatische Interpretation der Daten ist nicht Gegenstand dieses Beitrages; der Verfasser geht auf diesbezügliche Aussagen der Eiskern-Bearbeiter nicht weiter ein.
2 „Jahr“, „Jahresschicht“, „Jahresschichtenzählung“, „jahrgenau“: in Anführungszeichen, um deutlich zu machen, dass es sich nicht um echte Kalenderjahre handelt; häufig in [ ] ergänzend, welche Methode die „Jahre“ bedingen, z.B. [Eiskern-]Jahre für die Eiskernchronologie.
3 „Ice-core dating is an independent method of absolute dating based on counting of individual annual layers in large ice sheets.” (Hammer et al. 1986, 284)
4 Science-Titel (17. 10. 1969): One Thousand Centuries of Climatic Record from Camp Century on the Greenland Ice Sheet. (Dansgaard et al. 1969)
5 Nature-Titel (15. 7. 1993): Evidence for general instability of past climate from a 250-kyr ice-core record. (Dansgaard et al. 1993)

Abstract in English (via DeepL): Greenland ice core data and their interpretation: Absolute dating by counting annual layers?
Deep drilling into the Greenland ice sheet serves one main purpose: to reconstruct the climate of the past. However, without a temporal anchor, the climate data obtained is believed to be useless. The establishment of ice core chronologies and their absolute temporal (year-by-year) calibration is therefore of essential importance. The dating methods used are predominantly developed by the ice core researchers themselves. Hammer et al. (1986) define ice core dating methodologically exclusively in relation to annual layer counting: “Ice core dating is an independent method of absolute dating based on the counting of individual annual layers in large ice sheets.” When considering the ages of the ice cores obtained—100,000 years and more—the question arises as to how these ages were actually determined, what they mean, and whether this is in fact, and without restriction, an independent and absolute dating method.
The ages given for the oldest sections of the ice cores obtained, 100,000 to over 250,000 years, are not calendar years but radiometric or radiometrically calibrated “years.” The same applies to the date of the Pleistocene/Holocene boundary; the 11,700 [ice core] years are based on 14C. It is not known how 14C ages and other radiometric ages of this magnitude relate to the real age.
This must be viewed separately from the oxygen isotope fine oscillations, which have been preserved from the top of the ice sheet to a depth of several hundred meters, depending on the location. Here, a genuine seasonal imprint is likely; however, independent confirmation (e.g., through the identification of volcanic ash layers of historically known age) is still pending for this uppermost section. Ice core dating as a whole is therefore neither an independent nor an absolute dating method. Absolute dating by counting verifiably genuine annual layers is not possible.
The ages reported by ice core researchers for the ice cores obtained from the Greenland ice sheet are based on radiometric dating. Since the relationship between 14C age and other radiometric ages of this magnitude and the actual age is unknown (KOTULLA 2013), radiometric ages cannot be equated with actual ages. Age data for ice cores without identification of the (direct or indirect) underlying dating method, i.e., without corresponding labeling, are misleading.

 

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