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„Totales Chaos“: Unklare Abstammungsverhältnisse bei Menschenaffen und Menschen


Artikel als PDF-Datei (38 Seiten, 4442 KB, Stand: 23.11.2022)

Neue Überblicksstudien über die mutmaßlichen fossilen Vorfahren der Menschenaffen und des Menschen erhärten die Zweifel an einer evolutionär gut belegten Evolutionsgeschichte von Menschenaffen und Menschen.

Eine Überblicksstudie von Almécija und Kollegen aus dem Jahr 2021 in der Wissenschaftszeitschrift Science fasst den Forschungsstand der evolutionären Einordnung der fossilen Menschenaffen zusammen.

Dabei zeigt sich, dass die Herkunft der Menschenaffen und des Menschen nach wie vor ungeklärt bleibt und durch neue Fossilfunde noch unübersichtlicher geworden ist. Über die Einordnung der miozänen Menschenaffen gibt es bisher keinen Konsens, weil viele kontroverse Sichtweisen und auch entgegengesetzte Denkschulen in der Paläoanthropologie existieren. Aber auch die bloße Datengrundlage erschwert die Deutungen: Es gibt oft nur sehr fragmentarische Fossilfunde mit evolutionär nicht widerspruchsfrei aufzulösenden Merkmalsmosaiken, die zur Annahme häufiger paralleler Evolutionsereignisse (Konvergenzen) zwingen. Des Weiteren erschweren empirisch unklare funktionsmorphologische* [Begriffe mit * sind im Glossar erklärt] Zusammenhänge sowie das Fehlen lebender Analogien begründete Schlussfolgerungen über die Lebensweise ausgestorbener Großaffen und Menschen. Obwohl man die aktuellen Daten alternativ gut aus der Perspektive getrennt geschaffener Grundtypen* deuten kann, wird medial oft das Bild einer in sich stimmigen und wissenschaftlich anerkannten Evolutionsgeschichte von Menschenaffen und Menschen vermittelt. Nach den Autoren um Almécija (2021) stellt das „Erzählen“ hypothetischer „Geschichten“ im Rahmen der evolutionären Menschwerdung (anstelle des klaren Benennens unklarer Daten) ein Grundproblem in der Paläoanthropologie dar.

In Wirklichkeit besteht also gar kein wissenschaftlicher Konsens über die Reihenfolge der Merkmalsänderungen, die in einer postulierten Evolutionsgeschichte von fossilen Menschenaffen zu heutigen Menschenaffen und Menschen stattgefunden haben müssten. Ebenso besteht Unklarheit über die Ursachen der Veränderungen. Die Arbeit von Almécija et al. (2021) und andere neuere Studien zeigen deutlich: Bis heute besteht ein „totales Chaos“ bei der vermuteten evolutionären Entstehungsgeschichte von Menschenaffen und Menschen.

Abstract in English (via DeepL): “Total chaos”: Unclear ancestry of great apes and humans

A 2021 review study by Almécija and colleagues in the scientific journal Science summarizes the current state of research on the evolutionary classification of fossil great apes.

It shows that the origin of great apes and humans remains unclear and has become even more confusing due to new fossil finds. There is still no consensus on the classification of Miocene great apes because there are many controversial views and even opposing schools of thought in paleoanthropology. But even the mere data basis complicates interpretations: often, only very fragmentary fossil finds are available, with mosaics of characteristics that cannot be resolved without evolutionary contradictions, forcing the assumption of frequent parallel evolutionary events (convergences). Furthermore, empirically unclear functional morphological* [terms marked with * are explained in the glossary] relationships and the lack of living analogies make it difficult to draw well-founded conclusions about the way of life of extinct great apes and humans. Although the current data can alternatively be interpreted from the perspective of separately created basic types*, the media often convey the image of a coherent and scientifically recognized evolutionary history of great apes and humans. According to the authors around Almécija (2021), the “telling” of hypothetical “stories” in the context of evolutionary human development (instead of clearly naming unclear data) represents a fundamental problem in paleoanthropology.

In reality, there is no scientific consensus on the sequence of characteristic changes that must have taken place in a postulated evolutionary history from fossil great apes to today’s great apes and humans. There is also uncertainty about the causes of the changes. The work of Almécija et al. (2021) and other recent studies clearly show that, to date, there is “total chaos” regarding the presumed evolutionary history of great apes and humans.

 

Inhalt
1. Einleitung: Die miozänen Menschenaffen in „Evolution. Ein kritisches Lehrbuch“
2. Unterschiedliche Ansätze der Paläoanthropologie
2.1 Zwei gegensätzliche Denkschulen der Paläoanthropologie
2.2 Sind Schimpansen näher mit Gorillas oder mit Menschen verwandt?
3. Die fossilen miozänen Menschenaffen
3.1 Die Einordnung der miozänen Menschenaffen
3.2 Oreopithecus mit völlig unklarer Einordnung
3.3 Die Sivapithecinen
3.4 Affen aus dem frühen und mittleren Miozän Afrikas
3.5 Die kontrovers diskutierten Dryopithecinen aus Europa
3.5.1 Die Dryopithecinen
3.5.2 Danuvius als Menschenvorfahr?
3.5.3 Homininenzähne aus dem Miozän in Deutschland?
3.5.4 Ouranopithecus und Graecopithecus
3.6 Die umstrittenen Kenyapithecinen aus Afrika
3.7 Spätmiozäne Affen aus Afrika
4. Die Deutung der fossilen Daten aus evolutionärer Sicht
4.1 Abstammungshypothesen über den Ursprung der Großen Menschenaffen
4.2 Die subjektiven Komponenten in der Stammbaumrekonstruktion
4.3 „Storytelling“: Wenn ausgedachte Evolutionsgeschichten die Datenlücken überspielen
5. Fazit
Glossar
6. Anmerkungen – Literatur
7. Anhang – Tabellen

 

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