Werner Lachmann: „Wirtschaft und Ethik“
Maßstäbe wirtschaftlichen Handelns aus biblischer und ökonomischer SichtLit Verlag, Berlin, 2006, 308 Seiten
Nachfolgend eine Rezension von Reinhard Haupt:
Die Skepsis an der in westlichen Demokratien vorherrschenden Wirtschaftsordnung, dem System der Sozialen Marktwirtschaft, beruft sich vielfach auf Stimmen innerhalb der Kirchen und der Theologie. Kirchliche Denkschriften, Kirchentags-Resolutionen, persönliche Stellungnahmen von Theologen u.a. lassen den Eindruck entstehen, als widerspreche die christliche Lehre unserer Wirtschaftsverfassung. In den Medien und im Erziehungswesen überwiegt die kritische Einstellung zur marktlichen Ordnung und zum Leistungsprinzip. Die globalen Krisenerscheinungen wie andauernde, hohe Arbeitslosigkeit, ökologische Katastrophen, die Maßlosigkeit von Managergehältern und anderes tun ein übriges, um dem einzelnen ein Bild einer hemmungslosen Wirtschaftsordnung zu vermitteln, die nach dem Motto verfährt „Ethik – nein danke!“.
Die Schrift des ehemaligen Hochschullehrers für Volkswirtschaftslehre (insbesondere Wirtschafts- und Entwicklungspolitik) an der Universität Erlangen-Nürnberg entfaltet zunächst eine bejahende Sicht der Wirtschaft: Die Endlichkeit der natürlichen, menschlichen und technischen Ressourcen zwingt angesichts der praktischen Unendlichkeit von menschlichen Ansprüchen und Wünschen zur sorgsamen Verwaltung dieser Knappheit. Dabei hat uns die hohe Arbeitsteilung und das grundsätzlich freie Spiel von Angebot und Nachfrage auf Märkten ein historisch einmaliges Wohlstandsniveau gebracht. Zwar kann diese marktwirtschaftliche Ordnung ihre Leistungsfähigkeit nur unter intakten Wettbewerbsbedingungen behaupten – der Wettbewerb ist eben „kein Spontankraut, sondern eine Kulturpflanze“ (S. 59 f.) -, aber unter einer solchen Pflege des Marktgeschehens hat sich unsere Wirtschaftsordnung durchaus sehr bewährt.
Auf der anderen Seite hat sich die Markt- oder Wettbewerbswirtschaft aber auch dem Problem der Ungleichheit der Einkommensverteilung bis hin zum sozialen Absturz von Verlierern in diesem System zu stellen. Das Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft (SMW), ein besonderes Vorbildmodell der deutschen Nachkriegsordnung weltweit, folgt dabei besonders dem Rahmen des Sozialstaats und nicht dem des Wohlfahrtsstaates: Während der Sozialstaat auf den Vorrang der Selbsthilfe vor der Fremdhilfe baut, betont der Wohlfahrtsstaat die staatliche Fürsorge für den einzelnen Bürger. Mit einem Blick auf das Hintergrund-Menschenbild begründet Lachmann die Überlegenheit der SMW: Diese Wirtschaftsordnung der Eigenverantwortlichkeit wird der Realität der menschlichen Natur deutlicher gerecht als die vielen Sozialutopien, die die Geschichte hervorgebracht hat – von Platons „Politeia“ über Thomas Morus’ „Utopia“ bis zu den Sozialismus-Idealen der letzten 150 Jahre. Die SMW ist sehr nüchtern und pragmatisch, sie rechnet mit dem Eigeninteresse und nicht mit dem Altruismus der Menschen, sie ist eine Ordnung für Sünder, „nicht für Heilige“ (S. 33). Von daher erweisen sich die Sozial- und die Gesundheitspolitik heute auch einen schlechten Dienst, wenn sie den gefallenen Menschen ignorieren und zunächst einmal „von guten Arbeitslosen und ehrlichen Kranken“ ausgehen, „die das System nicht ausnutzen“ (S. 203).
Auf dem Hintergrund dieser wirtschaftstheoretischen und ordnungsethischen Grundlegung analysiert Lachmann ausgewählte Problemfelder der aktuellen Wirtschaftspolitik, wie die Arbeitslosigkeit, das Umweltproblem, den Gesundheitssektor, die Schattenwirtschaft, die Globalisierung usw. Hier erweist sich die Stärke dieser wirtschaftsethischen Basisschrift: die eingehende Verzahnung der ökonomischen Analyse mit einer biblisch-theologischen Argumentation. Damit setzt sich das Werk sowohl vom Moralismus mancher wirtschaftsferner kirchlicher Stimmen als auch vom mangelnden Wertebewusstsein des Marktradikalismus ab.
Die nüchterne und bibelgebundene Erörterung wagt sich auch an strittige Themen, wie etwa die Kinderarbeit in der Dritten Welt (S. 186 f.). Hier wird anschaulich gezeigt, dass „gut gemeint“ nicht immer „gut“ heißen muss: Ein Boykott von Waren aus Kinderarbeit löst das Problem nicht, da es zu noch unerträglicheren Ausweichreaktionen im Entwicklungsland führt (Raub, Prostitution, Verelendung); besser wäre z. B. eine Entwicklungshilfe, die wenigstens einen Halbtagsschulbesuch, also eine einstweilige Verbindung von Kinderarbeit und Schulbildung, ermöglicht.
Unsere gesellschaftliche Wirklichkeit kennt selbstverständlich noch manche anderen wirtschaftsethischen Schieflagen, die hier nur am Rande behandelt werden, z.B. das Anspruchsdenken, das sich etwa in der Ausbeutung des Sozialstaates durch den einzelnen auswirkt. Während sich das Buch an diesem Punkt und bei den entsprechenden biblischen Korrekturen (z. B. die Betonung der Individualverantwortung: „ . . . dass sie ihr eigenes Brot essen!“, 2. Thess. 3, 12) knapp hält, schließt Lachmann mit einem überzeugenden Blick auf die grundlegenden Herausforderungen unserer Gegenwartsgesellschaft. Persönliche Freiheit und materielle Sicherheit sind in einem historisch unvergleichlichen Umfang verwirklicht – auf Kosten eines kulturell-ethischen Defizits: Das Spannungsfeld „Wirtschaft und Ethik“ ist nicht nur ein Problem unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, sondern vor allem der geistigen Grundlagen dieser Ordnung. Die Kirchen, als Wegweiser für biblische Maßstäbe, nicht nur die Entscheidungsträger der Wirtschaft, müssen sich hier ihre Versäumnisse vorwerfen lassen.
Der besondere Ausweis dieser Schrift liegt in seiner wirtschaftswissenschaftlichen Kompetenz in Verbindung mit der Autorität einer biblisch fundierten Ethik. Sie stellt einen dringend notwendigen Beitrag aus der Feder eines Wirtschaftsexperten zur Kritik an Markt und Leistung und zur Rolle des Christseins in wirtschaftlichen Zusammenhängen dar. Die solide fachliche Einführung ist auch für den wirtschaftswissenschaftlich ungeschulten, aber interessierten Laien geeignet. Die Ausführungen nehmen immer wieder auf aktuelle ökonomische Gegebenheiten Bezug. Man kann sich nur wünschen, dass das Buch den Blick schärft für die Salzkraft des Christentums in unserer Gesellschaft.
Letzte Änderung: 14.05.2008