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Dietrich Schaller: „The superordinate Pterosaur“

Evolution as deduced from the Evolution of their wings
Verlag Dr. Fritz Pfeil, 2007 16 S.

Nachfolgend eine Rezension von Sven Namsor:

Wenn die Faszination am Fliegen sich mit der Begeisterung an vorzeitlichen Reptilien verbindet, so bleiben die betroffenen Menschen meist bei den Flugsauriern hängen. In den letzten beiden Jahrzehnten hat das Wissen um diese Tiergruppe enorm zugenommen. Insbesondere die seit den 1990er entdeckten reichhaltigen Funde im ostasiatischen Raum (Russland, China) bieten eine enorme Erkenntniserweiterung, tragen aber auch zur Verwirrung in der bisherigen systematischen Bewertung einzelner Merkmale bei. Oft wird versucht, Ordnung in das Chaos der neuen Funde und der neuen Namen zu geben. Zumeist ist heutzutage die phylogenetische Systematik mit der kladistischen Analyse das allesbeherrschende Instrument hierzu. Eine aktuelle Schrift aus dem Verlag Friedrich Pfeil lässt daher aufhorchen. Der Autor Dietrich Schaller gibt auf 14 Seiten seine Vorstellung von einer neuen Systematik der Flugsaurier kund. In Kurzform und mit Hilfe von 9 Abbildungen beschreibt er seine Vorstellungen, die mit den herkömmlichen systematischen Ordnungsversuchen brechen. Hierzu werden ausschließlich die Topologie und Anatomie der Flügelflächen betrachtet. Folgerichtig stellt er neue übergeordnete Taxa auf: Statt den bewährten Hauptgruppen „Pterodactyloidea“ (Kurzschwanz-Flugsaurier) und „Rhamphorhynchoidea“ (Langschwanz-Flugsaurier) spricht er von „Skelobrachiopterida“ und „Brachiokaiskelopterida“.

Schon früher hatte der Autor sich mit dem Thema befasst (1985) und vermutlich sein Gedankengebäude reifen lassen. Bemerkenswert ist der Ansatz, eine bisher nicht im Focus stehende Merkmalskombination – nämlich die der Flügelmorphologie – als Grundelement der Systematik heranzuziehen. Die Schallersche Hypothese wird allerdings von anderen Fachleuten eher kritisch aufgenommen (vgl. http://scienceblogs.com/tetrapodzoology/2007/09/pterosaur_meeting_part_iii.php, Seite nicht mehr verfügbar, Stand: 15.11.2019). Vielfältige Fragen und Kritikpunkte wären tatsächlich anzubringen, insbesondere was das gesamte biomechanische Wirkungsgefüge von Flügel, Extremitätengürtel und Weichgewebe betrifft. Dies fehlt ebenso wie die Diskussion zur bestehenden Systematik und möglicher Entwicklungsmechanismen, die zu der Vielfalt der Flugsaurier geführt haben. Nähere Erläuterung bräuchte auch das Postulat über die Abstammung der Flugsaurier, deren Vorläufer bei den Vogelbeckendinosauriern (Ornithischia) gesucht werden.

Insgesamt betrachtet ist jedoch die Tatsache, dass der Autor einen neuen systematischen Ansatz wählt, generell zu begrüßen. Das kann als Hinweis auf die Problematik der (direkt auf das Paradigma Evolution bezogenen) kladistischen Merkmalsanalyse gewertet werden. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, sich intensiver mit biomechanischen und aerodynamischen Phänomenen im Bezug auf die Flügelmorphologie und deren systematischen Interpretation auseinanderzusetzen. Das Modell löst in der derzeitigen Form nicht die Frage nach den Entwicklungsprozessen und möglichen -zwängen. Auch fordert das Modell förmlich heraus, sich über die evolutionstheoretisch notwendigen Übergänge Gedanken zu machen. Der bisherige Fossilnachweis liefert hierzu nur morphologische Blitzlichter und bei weitem keine vollständigen Entwicklungsreihen, da zwischen den wenigen dokumentierten Merkmalszuständen erhebliche Lücken klaffen.

Die Scientific Community bekommt mit dieser Publikation die Gelegenheit, ein neues Diskussionsgebiet zu eröffnen und sich dabei nicht nur von Ergebnissen von Computerprogrammen bestimmen zu lassen. Da die Publikation in englischer Sprache ist, sollte sich hier eine internationale Verbreitung und Auseinandersetzung beschleunigen lassen. Das Literaturverzeichnis ist leider nur bruchstückhaft aufgeführt. Das wird erklärbar durch den Vortragscharakter der gesamten Publikation. Wünschenswert wäre für die Zukunft eine umfangreichere Darstellung und damit eine Interpretation der Hypothese. Für die sammelbegeisterten Wirbeltier-Paläontologen und die Kuriositätensammler ist die kleine Schrift unbedingt zu empfehlen.

Literatur

  • Schaller D (1985)
  • Wing evolution. In: Hecht MK et al. (eds) The beginnings of birds. Freunde des Jura-Museums Eichstätt, Eichstätt, p. 333-348.