Edward D. Andrews : „THE P52 PROJECT“
Is P52 Really the Earliest Greek New Testament Manuscript?Christian Publishing House
Nachfolgend eine Rezension von Benjamin Scholl:
Inhalt
Wie alt ist P52 – Die „älteste Handschrift des Neuen Testaments“?
Seit einigen Jahren ist eine energische Debatte um die Datierung des Papyrus P52 entbrannt, welcher lange Zeit als älteste Handschrift des Johannesevangeliums und damit auch des ganzen Neuen Testamentes galt. Ein spannendes Buch von Andrews (2020) gibt einen Überblick über den Verlauf und die Argumente der Diskussion.
kompakt
Dr. Edward D. Andrews, Leiter des Projekts „Updated American Standard Version“ sowie CEO & Präsident des Christian Publishing House, hat sich in seinem Buch „The P52 Project“ der Diskussion um die Datierung des Papyrus P52 gewidmet. P52 erlangte als „älteste Handschrift des Neuen Testaments“ weltweite Berühmtheit. Dieser Status wurde aber in den letzten Jahren aufgrund von neuen Datierungsvorschlägen immer wieder in Frage gestellt. Die folgende Rezension des Buches kann die Fachdiskussion nur überblicksartig wiedergeben, zeigt aber, dass es in der Summe gute Argumente gibt, an einer Datierung von P52 in die Mitte oder gar an den Anfang des zweiten Jahrhunderts festzuhalten.
1. Überblick
Der Papyrus P52 wurde im Jahr 1920 von Bernard Grenfell in Ägypten erworben (S. 11). Das Papyrusfragment enthält auf der Vorderseite (recto) einen Ausschnitt des Johannesevangeliums, nämlich Kapitel 18 die Verse 31–33, und auf der Rückseite (verso) die Verse 37–38.[1]
Das Johannesevangelium wird als jüngstes der vier Evangelien angesehen und wurde der kirchlichen Tradition zufolge am Ende des ersten Jahrhunderts in Kleinasien verfasst (vgl. S. 40, 60, 64, 142). Der Text von P52 „stimmt fast genau mit den alexandrinischen Handschriften überein“ (S. 88), auf denen heutige wissenschaftliche Ausgaben der neutestamentlichen Textkritik i. d. R. basieren.[2] Im 20. Jahrhundert datierte man P52 allgemein auf den Beginn des zweiten Jahrhunderts n. Chr. – eine Ansicht, die sogar bei Rudolf Bultmann Anklang fand (S. 86, 88). Daher wurde P52 von vielen Forschern als Beleg dafür angesehen, dass das Johannesevangelium schon sehr früh weit verbreitet war,[3] und somit im ersten und nicht erst im zweiten Jahrhundert verfasst worden war – wie es z. B. noch Ferdinand Christian Bauer und Walter Schmithals vertreten hatten (vgl. S. 86, 142).
Abb. 1 Vorder- und Rückseite von P52. (Wikimedia: courtesy of JRUL, CC0)
Einige paläographisch spezialisierte Philologen und Theologen wie Brent Nongbri haben diese Frühdatierung von P52 aber in Frage gestellt und dabei sogar das erklärte Ziel formuliert, die eben genannte Argumentation über eine frühe Autorenschaft des Johannesevangeliums zu widerlegen (S. 72f), da diese auch von christlich-apologetischem Interesse war. Für einen „interessierte Laien“ wie mich, war es daher besonders interessant, Andrews Publikation „The P52 Project: Is P52 Really the Earliest Greek New Testament Manuscript?“ zu lesen.
Das Buch umfasst 144 Seiten und ist trotz seiner fachlichen Fülle explizit auch für den interessierten Laien geschrieben. Eine Reihe Abbildungen sowie die Gliederung in historisch aufeinander aufbauende Kapitel machen das Buch relativ leicht lesbar. Für den Laien besonders hilfreich (für den Experten vielleicht etwas mühsam) ist, dass zentrale Argumente in jedem der Hauptkapitel wiederholt werden. Andrews paläographische Argumente sind in der Regel gut nachvollziehbar und auch mit Bildnachweisen versehen, die sogar einen eigenen Vergleich der Schreibweise einzelner Buchstaben ermöglichen. Meine einzigen beiden wesentlichen Kritikpunkte sind, dass erstens im zentralen und abschließenden 10. Kapitel „Using Comparative Paleography to Date P52“ die Argumente von Nongbri und die Gegenargumente von Andrews noch ein wenig detaillierter hätten vorgestellt werden können, und dass es zweitens kein Fazit im eigentlichen Sinne gibt.
Dennoch sei dieses Buch, das als Ebook-Version z. Z. nur wenige Euro kostet, jedem Leser herzlich empfohlen, der sich für die Überlieferungsgeschichte des Neuen Testaments interessiert.
Im Anschluss folgt eine Zusammenfassung der wesentlichen Argumente des Buches.
2. Die Frühdatierung
P52 wurde im Jahr 1935 von C. H. Roberts mittels Paläographie – dem Vergleich des Schreibstils mit anderen direkt oder indirekt datierten Handschriften – in den Zeitraum von circa 100 bis 150 n. Chr. datiert. Diese Sichtweise behielt Roberts bis zu seinem Tod im Jahr 1990 bei (S. 99). Ihm folgten dabei viele andere Experten – T. C. Skeat, F. Kenyon, W. Schubart, H. I. Bell, A. Deissmann, U. Wilken, W. H. P. Hatch, B. M. Metzger und D. B. Wallace (S. 14, 87). Dies führte dazu, dass die Frühdatierung von P52 bis in die 1990er Jahre weite Anerkennung fand (S. 67).
Abb. 2 Datierungsvorschläge und Bekräftigungen vorher geschehener Vorschläge durch Theologen, Paläographen und Papyrologen. (Eigene Darstellung nach Andrews 2020, S. 14; * ergänzt nach: ebd., S. 55f, 59, 74, 83, 92f).
3. Die Kritik an der Frühdatierung
Die Kritik an der Frühdatierung von P52 lässt sich grob in zwei Wellen aufteilen, die ich der Einfachheit halber „Spätdatierung“ und „Skeptiker“ nennen möchte.
Die erste Kritik der Spätdatierung basierte darauf, dass man versuchte, P52 mit paläographischen Argumenten im zweiten Jahrhundert weiter nach hinten zu schieben. So sprachen sich Pascal Orsini und Willy Clarysse (unterstützt von Dirk Jongkind) gemeinsam dafür aus, den Datierungszeitraum moderat um 25 Jahre auf ca. 125 bis 175 n. Chr. nach hinten zu verlegen. Andreas Schmidt sprach sich sogar für einen noch etwas späteren Zeitraum von 170 n. Chr. (± 25 Jahre) bzw. ca. 200 n. Chr. aus (S. 59, 69). Andrews (S. 60) kommentiert: „Diese Neudatierung hat einigen Gelehrten gefallen, aber die meisten halten an der früheren Datierung fest und bekräftigen, dass P52 wahrscheinlich die früheste Handschrift des Neuen Testaments ist.“.
Letztlich war laut Andrews das zentrale Argument dieser späteren Datierung nach Schmidt sowie nach Michael Gronewald (worauf Nongbri aufbaute), dass der Haken oder Apostroph zwischen zwei Konsonanten – von Andrews „hooked apostrophe“ genannt – bei P52 sowie bei den vergleichbaren Papyri P66 und P. Egerton 2[4], erst ab dem 3. Jh. n. Chr. aufgetreten sein soll (S. 63, 90). Hierbei scheint es sich nach Andrews aber um ein Missverständnis einer grundlegenden Arbeit von E. G. Turner zu handeln. Turner hatte nämlich geschrieben, dass der „hooked apostrophe“ ab dem 3. Jh. sehr verbreitet war – nicht aber, dass er nicht schon vorher verwendet wurde (S. 62f).[5] Andrews (S. 62f) führt vier Papyri zum Gegenbeweis an und zeigt auf, dass der „hooked apostrophe“ bereits im 2. Jahrhundert vorkam: z. B. bei BGU iii 715,5 (101 n. Chr.: „Αγ’χωριμφις“) oder P. Petaus 86 (185 n. Chr.: „Αγ’γων“).
In den letzten Jahrzehnten verschaffte sich eine neue, eher skeptische Schule der Paläographie Gehör (vgl. S. 71, 79). Paläographen dieser Herangehensweise halten einen Datierungszeitraum von nur 50 Jahren für viel zu eng und wollen mehr als 100 Jahre (Nongbri und Michael Gronewald) oder 200 Jahre (so Don Barker) als Datierungsspanne für P52 angeben (S. 14). Nongbri gibt dabei als Motivation an, dass P52 „missbraucht“ worden sei, um eine Autorenschaft des Johannes-Evangeliums im ersten Jahrhundert zu belegen (S. 103). Dieser Kritik schließt sich Elijah Hixson an, wobei sich letzterer wünscht, dass man sich präzise ausdrückt und die Autorenschaft des Johannesevangeliums von Johannes nicht als bewiesene Tatsache darstellt, sondern sie vorsichtiger als „wahrscheinlich“ bezeichnet (S. 86).[6]
Doch wie argumentieren die Skeptiker?
Nongbri kritisiert, dass die Paläographie „nicht die effektivste Methode für Textdatierungen ist“; z. B. könnten Schreibstile viel länger erhalten bleiben, als bisher bekannt war (S. S72).[7]
Ein weiteres zentrales Argument für eine weit gefasste bzw. spätere Datierung von P52 ist die Paläographie selbst. Es gäbe nach Nongbri auch Ähnlichkeiten von P52 zu Handschriften aus dem späten zweiten und frühen dritten Jahrhundert, die Roberts noch nicht untersucht hatte (S. 75). Hixson stimmt Nongbri hinsichtlich neu entdeckter späterer Dokumente zu und findet auch die Beziehung von P52 zu den früheren Dokumenten nicht besonders „eng“ (S. 92).
Barker geht in seiner Kritik sogar so weit, überhaupt nur noch den „graphic stream“, also die komplette Periode eines Handschriftenstils (z. B. Roman Unicial: 30 v. Chr. bis 200 oder evtl. 300 n. Chr.), bestimmen zu wollen. Dies begründet Barker damit, dass die Handschriften in diesem Stream sehr individuell sein können und ein Kontinuum zeigen: Ähnlichkeiten zu P52 finden sich demnach im „Stream“ von P. Oxy. 3466 (81–96 n. Chr.) bis hin zu P. Oxy. 3183 (292 n. Chr.) (S. 77f). Er kommt somit auf eine Spanne von 81 bis 292 n. Chr. für P52 (S. 78).
Diese radikale Perspektive findet jedoch wenig Zuspruch. Selbst Nonbgri findet nur Ähnlichkeiten zu P52 bis ins frühe dritte Jahrhundert und Orsini & Clarysse legen sich sogar auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts fest (S. 14, 81f). Orsini & Clarysse widersprechen Barker, und sehen im Gegensatz zu diesem bei P52 den „Round Chancery Script” Grafiktyp genau wie bei P. Flor. 1.1 (153 n. Chr.) (S. 81f). Insgesamt kommen Orsini & Clarysse mit einer Datierung um die Mitte des zweiten Jahrhunderts (± 25 Jahre) aber immer noch ziemlich nahe an die Frühdatierung. Andrews kritisiert allerdings, dass letztere Nongbris spezifische Studien nicht angemessen ausgewertet haben (S. 81f).
4. Die Verteidigung der Frühdatierung
Stanley Porter bezweifelt allgemein, dass es legitime Vergleiche von P52 zu Dokumenten des späten zweiten und frühen dritten Jahrhunderts durch Nongbri gibt (S. 75f): Die von Nongbri vorgeschlagenen Vergleichshandschriften seien in zahlreichen Fällen ziemlich unterschiedlich zu P52. Nongbri zwinge die Aufmerksamkeit auf ein paar wenig spezifische Buchstabenformen und ignoriere die Gesamtform, den Verlauf und den Schriftstil. Porter schreibt (S. 75f, Hervorh. hinzugef.): „Ein typologischer Vergleich sollte sich nicht einfach auf einen einzelnen Buchstaben oder eine einzelne Buchstabenform konzentrieren. Ein typologischer Vergleich kann jedoch angewandt werden, wenn es eine Reihe von Buchstaben gibt, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums entstanden sind.“ Vergleicht man die ganzen Buchstabensätze von P52 und P. Egerton 2 mit repräsentativen Alphabeten von Thompson und Turner, kommt man laut Porter (zitiert nach S. 76, Hervorh. hinzugef.) zu folgendem Ergebnis: „Beide Handschriften lassen sich eindeutig in das zweite Jahrhundert einordnen. […] Es gibt natürlich einige Buchstaben, die denen aus dem dritten Jahrhundert ähneln (wie auch einige aus dem ersten Jahrhundert), aber die Buchstaben, die am meisten individualisiert werden, wie Alpha, My und sogar Sigma, scheinen aus dem zweiten Jahrhundert zu stammen.“
Andrews schließt sich der Kritik von Porter an und diskutiert in Kapitel 3 bis 10 detailliert die paläographischen Belege von Roberts (1935) bis Nongbri (2008). Er führt viele paläographische Parallelen von P52 zu besser datierbaren Dokumenten aus dem Ende des ersten und v. a. aus dem Anfang des zweiten Jahrhunderts an. Andrews (S. 57f) stellt z. B. eine „starke Ähnlichkeit“ zu folgendem Dokument fest: „Ich untersuchte die Handschrift P. Oxyrhynchus 2533 im Ashmolean Museum und war sofort von seiner Ähnlichkeit mit P52 beeindruckt.“ Weiter schreibt er (S. 59): „P. Oxyrhynchus 5178 lässt sich leicht auf 132 oder 133 n. Chr. datieren. […] Wir haben also eine Handschrift […], die uns sehr dabei hilft, P52 zumindest in das frühe zweite Jahrhundert zu datieren.“
Andrews (S. 89f, Hervorh. hinzugef.) übt deutliche Kritik an der Spätdatierung, wie sie von Nongbri und Hixson vertreten wird: „Die paläographischen Beweise der neuen Paläographen sind nicht so aussagekräftig, wie man annehmen könnte. Sie hängen weitgehend von Handschriften ab, die nicht datiert sind, und von dem Versuch, dokumentarische [d. h. Urkunden] mit literarischen oder semi-literarischen Handschriften zu vergleichen, obwohl sie eigentlich literarische Handschriften zum Vergleich mit literarischen Handschriften heranziehen sollten. Turner[8] erklärt: ‚Das Vertrauen ist am größten, wenn Gleiches mit Gleichem verglichen wird […]‘.“
Andrews (S. 89f) sieht bis auf einige wenige Zeichen im Gesamtwerk der Handschrift auch keine großen Ähnlichkeiten von P52 zu den angeführten späteren Werken. Dabei identifiziert Andrews (S. 96f) eine Reihe von Besonderheiten des Schriftbildes von P52 und betrachtet dann die Handschriften, die Nongbri mit P52 vergleicht.[9] Die Kritik von Nongbri, dass frühere Handschriften P52 nicht in jeder Hinsicht ähneln, weist Andrews mit dem Hinweis zurück, dass der Schreiber von P52 auf der Stufe „Reformed Documentary“, aber eben nicht als perfekter „Professional“ geschrieben hat, und man daher keine absolute Übereinstimmung erwarten dürfe (S. 97ff). Selbst innerhalb von P52 seien Buchstaben untereinander nicht immer absolut deckungsgleich geschrieben (S. 106). Insgesamt kommt Andrews (S. 111, Hervorh. hinzugef.) zu dem Ergebnis: „Was wir bei Nongbris vergleichbaren Handschriften entdecken, ist, dass diejenigen, die am ehesten vergleichbar sind – d. h. diejenigen, die am ähnlichsten sind – tatsächlich ein Datum von 94 bis 150 [n. Chr.] unterstützen, was mit Roberts‘ Bereich übereinstimmt; und dass diejenigen Handschriften, die weiter entfernt sind und einen späteren Datumsbereich aufweisen, P52 weit weniger ähnlich sind.“
Nongbri, der nach Andrews (S. 72, 112) als der härteste Gegner der Frühdatierung gilt, gibt selbst zu: „Ich habe die Arbeit von Roberts nicht grundlegend überarbeitet. Ich habe keine dokumentarischen Papyri aus dem dritten Jahrhundert vorgelegt, die absolute ‚Doppelgänger‘ [„dead ringers“] für die Handschrift von P52 sind, und selbst wenn ich das getan hätte, würde uns das nicht dazu zwingen, P52 auf einen genauen Zeitpunkt im dritten Jahrhundert zu datieren. […] Was ich getan habe, ist zu zeigen, dass jede ernsthafte Betrachtung des Zeitfensters möglicher Daten für P52 Daten im späteren zweiten und frühen dritten Jahrhundert einschließen muss.“ (zitiert nach S. 72, Hervorh. hinzugef.). Auch wenn diese breite Datierungsspanne vielleicht im Bereich des Möglichen liegen könnte, muss man nach Andrews – wie so oft in der Wissenschaft – aber zwischen eventuell möglichen und gut begründeten Einschätzungen unterscheiden (vgl. S. 92, 97, 142).
Andrews (S. 85) sieht ganz allgemein das Problem, dass in der modernen Paläographie wenige Argumente wie eine „Decke“ über den großen „Berg“ an vorgelegten Indizien für eine Frühdatierung gelegt werden. Daher könnte man Andrews (S. 71) generelle Perspektive so zusammenfassen: Wenn moderne Paläographen davon sprechen, Paläographie wäre „nicht die effektivste Methode“, dann entsteht der Eindruck, dass es dasselbe wie eine „ineffektive Methode“ wäre – was aber nicht der Fall ist. Dabei betont Andrews (S. 71, 79, 91) immer wieder, dass alle Paläographen um die Probleme ihrer Methode wissen. Trotzdem ist der Meinung, dass man in der Paläographie auch ohne direkte Datierung oder absolute Sicherheit doch ziemlich gute paläographische Argumente für eine wahrscheinliche Datierung im Bereich von Jahrzehnten – und nicht nur Jahrhunderten – anbringen kann.[10]
5. Fazit
Das folgende Zitat von Andrews (S. 71, Hervorh. hinzugef.) beschreibt sein Ergebnis über die paläographische Einordnung von P52 deutlich: „Wir sind auf der Suche nach einem allgemeinen Muster, nicht danach, dass jeder einzelne Buchstabe und jeder Stil oder jede Form in jedem Detail explizit mit den anderen übereinstimmen muss. Roberts und andere Paläographen haben bestimmte Handschriften vorgelegt, die eindeutig und überzeugend mit P52 übereinstimmen. Dies ist ein guter Beweis dafür, dass P52 aus den Jahren 100–150 n. Chr. stammt. Das bedeutet, dass wir keinen Grund haben, daran zu zweifeln; wir machen kein Fass auf [„we do not raise issues“], [nur] weil wir einige ähnliche Buchstaben aus dem späten zweiten oder frühen dritten Jahrhundert n. Chr. zusammenschustern können.“
Damit hat Andrews zwar keinen zwingenden Beweis für eine Datierung von P52 ins frühe oder wenigstens mittlere zweite Jahrhundert erbracht, aber dennoch gute Argumente vorgelegt. Seine Arbeit über die Datierung von P52 kann Lesern helfen, auch bei der Datierung anderer früher Handschriften[11] die neue skeptische – und nach Andrews (S. 79f, 87, 138) „postmoderne“ –Perspektive in der Paläographie in einem breiteren Kontext einzuordnen.
Benjamin Scholl (Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Wort und Wissen für Biologie & Pädagogik)
Literatur
Aland K & Aland B (1989) Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben und in Theorie wie Praxis der modernen Textkritik. 2. Aufl. Deutsche Bibelgesellschaft.
Andrews E (2020) THE P52 PROJECT: Is P52 Really the Earliest Greek New Testament Manuscript? Christian Publishing House. Kindle-Version.
Mazza R (2019) Dating Early Christian Papyri: Old and New Methods – Introduction. Journal for the Study of the New Testament, https://doi.org/10.1177/0142064X19855579.
Anmerkungen
[1] Wikipedia gibt den Inhalt von P52 folgendermaßen auf Griechisch und Deutsch an (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Papyrus_52&oldid=211519611):
Johannes 18,31–33 (recto):
„ΕΙΠΟΝ ΑΥΤΩ ΟΙ ΙΟΥΔΑΙΟΙ ΗΜΕΙΝ ΟΥΚ ΕΞΕΣΤΙΝ
ΑΠΟΚΤΕΙΝΑΙ OYΔΕΝΑ ΙΝΑ Ο ΛΟΓΟΣ ΤΟΥ ΙΗΣΟΥ
ΠΛΗΡΩΘΗ ΟΝ ΕΙΠΕΝ ΣΗΜΑΙΝΩΝ ΠΟΙΩ ΘΑΝΑΤΩ
ΗΜΕΛΛΕΝ ΑΠΟΘΝΗΣΚΕΙΝ ΙΣΗΛΘΕΝ ΟΥΝ ΠΑΛΙΝ
ΕΙΣ ΤΟ ΠΡΑΙΤΩΡΙΟΝ Ο ΠΙΛΑΤΟΣ ΚΑΙ ΕΦΩΝΗΣΕΝ
ΤΟΝ ΙΗΣΟΥΝ ΚΑΙ ΕΙΠΕΝ ΑΥΤΩ ΣΥ ΕΙ ΒΑΣΙΛΕΥΣ
ΤΩΝ ΙΟΥΔΑΙΩN“
„[…] sprachen zu ihm die Juden, „Uns ist erlaubt zu töten niemanden,“ damit das Wort Jesu sich erfüllen sollte, das er gesagt hatte, um anzuzeigen welche Art des Todes er sollte sterben. Ging wieder in das Praetorium Pilatus und rief Jesus und sprach zu ihm, „Bist du der König der Juden?“ […]“
Johannes 18,37–38 (verso)
„ΒΑΣΙΛΕΥΣ ΕΙΜΙ ΕΓΩ ΕΙΣ
ΤΟΥΤΟ ΓΕΓΕΝΝΗΜΑΙ ΚΑΙ (ΕΙΣ ΤΟΥΤΟ) ΕΛΗΛΥΘΑ ΕΙΣ ΤΟΝ
ΚΟΣΜΟΝ ΙΝΑ ΜΑΡΤΥΡΗΣΩ ΤΗ ΑΛΗΘΕΙΑ ΠΑΣ Ο ΩΝ
ΕΚ ΤΗΣ ΑΛΗΘΕIΑΣ ΑΚΟΥΕΙ ΜΟΥ ΤΗΣ ΦΩΝΗΣ
ΛΕΓΕΙ ΑΥΤΩ Ο ΠΙΛΑΤΟΣ ΤΙ ΕΣΤΙΝ ΑΛΗΘΕΙΑ
ΚΑΙ ΤΟΥΤΟ ΕΙΠΩΝ ΠΑΛΙΝ ΕΞΗΛΘΕΝ
ΠΡΟΣ ΤΟΥΣ ΙΟΥΔΑΙΟΥΣ ΚΑΙ ΛΕΓΕΙ ΑΥΤΟΙΣ
ΕΓΩ ΟΥΔΕΜΙΑΝ ΕΥΡΙΣΚΩ ΕΝ ΑΥΤΩ ΑΙΤΙΑΝ“
„[…] ich ein König bin. Ich bin dazu geboren worden und (dazu) bin ich gekommen in die Welt, damit ich Zeugnis ablege für die Wahrheit. Jeder, der ist aus der Wahrheit, hört auf meine Stimme. Sprach zu ihm Pilatus, „Was ist Wahrheit?“ und nachdem er dies gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und sprach zu ihnen: „Ich keine finde bei ihm Schuld.“
[2] Z. B. Nestle–Aland 28. Aufl. oder The Greek New Testament, Produced at Tyndale House, Cambridge. Die Textkritik des Neuen Testaments beschäftigt sich mit der Rekonstruktion des ältesten erreichbaren Textes mittels der noch vorhandenen Textzeugen (Handschriften).
[3] Von Kleinasien, wo sich Johannes der Überlieferung nach aufhielt, bis nach Ägypten sind es über 800 km Luftlinie.
[4] P. Egerton 2 teilt das Schicksal einer umstrittenen Datierung aufgrund der Ähnlichkeiten mit P52. Er enthält einige Jesus-Aussprüche, die sich in den Evangelien finden, sowie eine unbekannte Passage über Jesus, die aber so „stark zerstört [ist], so dass der Text kaum rekonstruierbar ist“ Wikipedia (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Papyrus_Egerton_2&oldid=201154123). Der Text kann in englischer Übersetzung hier eingesehen werden: https://www.gospels.net/egerton.
[5] Übrigens datierte auch E. G. Turner die Handschrift P. Egerton 2 bis zu seinem Tod im Jahr 1983 auf die Mitte des 2. Jhd. (S. 74).
[6] Damit stellt sich Hixson zum Beispiel gegen die weltberühmtem Textforscher Kurt & Barbara Aland (1989, S. 97), die über P52 geschrieben haben: „Nun schließt [die Datierung] ‚um 125‘ zwar einen Spielraum von ca. 25 Jahren nach beiden Seiten ein, neuerdings scheint sich aber die Überzeugung durchzusetzen, daß das Jahr 125 die Endgrenze darstellt, so daß P52 ganz dicht an die wahrscheinliche Entstehung des Johannesevangelium um 90–95 n. Chr. heranrückt (kürzlich ist mit P90 ein anderes Fragment des Johannesevangeliums bekannt geworden), eine Bestätigung der Qualität der neutestamentlichen Textüberlieferung, die noch dadurch verstärkt wird, daß P52 absoluten ‚Normaltext‘ bietet, d. h. unseren heutigen Text (Nestle-Aland26, Greek New Testemant3) bestätigt.“ P52 und P90 werden von dem Ehepaar Aland auf S. 167 als einzige Handschriften aus dem 2. Jahrhundert aufgeführt, was die Bedeutung von P52 zu dieser Zeit demonstriert.
[7] Roberta Mazza (2019) teilt diese Kritik und verweist auch auf die möglicherweise lange Lebensdauer eines Schreibers, sowie weitere Unsicherheiten in der Datierung allgemein (z. B. kann die C14-Methode nur das Schreibmaterial, aber nicht die Tinte datieren und Raman-Spektroskopie zur Tintenanalyse sowie Paläographie wären mehr zum Aufdecken von Fälschungen als für sichere Datierungen geeignet).
[8] In Zitaten wurden Kapitälchen für den einheitlichen Lesefluss ergänzt.
[9] Andrews (S. 100–106) bespricht P. Berol. 685 aus dem frühen 2. Jhd. (bei dem sogar Nongbri „definitive Ähnlichkeiten“ erkennt, die aber ihm zufolge bis ins 3. Jh. fortbestehen), P. Egerton 2 (Ähnlichkeit sei offensichtlich), P. Lond. inv. 2078 (81–96 n. Chr. während Domitian: nach Nongbri am wenigsten überzeugend, da nur zwei gleiche Buchstaben), B.G.U. 1.22 (auf 114 n. Chr. datiert, Nongbri sieht kaum Ähnlichkeiten, Andrews schon), P. Mich. 5336 (152 n. Chr. datiert nach Andrews, S. 107; Nongbri sieht ähnlichen Gesamteindruck). Dann diskutiert Andrews (S. 108–112) Murabba’at 113 (datiert zwischen 126–175 n. Chr.; Ähnlichkeit sei offensichtlich), P. Oxyrhynchus 2533 (frühes bis mittleres 2. Jh.; Ähnlichkeit sei eindeutig) sowie P. Oxy.LI 3614 (mind. 200 n. Chr.: mehr Ligaturen, aber Einzelbuchstaben hätten Ähnlichkeiten), P. Oxy. 41.2968 (190 n. Chr.: weniger gut geformte und regelmäßige Schrift; Buchstaben beurteilen Nongbri und Andrews anders; Gesamtbuchstabenform und Abstände seien anders), P.Oxy. 52.3694 (Anfang/Ende 3. Jahrhundert: weniger gut geformte und regelmäßige Schrift).
[10] So beschreiben auch Philip W. Comfort bzw. Guglielmo Cavallo die Paläographie als einen Prozess, in dem man die undatierten Handschriften nach ihrem Gesamtschriftbildes mit den Handschriften vergleicht, die direkt oder indirekt (z. B. durch die Rückseite) datierbar sind (S. 95f).
[11] Andrews (S. 19) gibt als weitere frühe Handschriften des Neuen Testamentes an: P46 und P66: ca. 150 n. Chr.; P4, P64 und P67: 150–175 n. Chr.; P7: ca. 175 n. Chr.; sowie P32 und P90: 150–200 n. Chr. Andrews (S. 138) hält ebenso wie bei P52 auch bei P66 die Umdatierung von Nongbri von 150 n. Chr. auf 150 n. Chr. bis 300 / 350 n. Chr. für „ungerechtfertigt“.