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F.J. Tipler: „Die Physik der Unsterblichkeit“

München: Piper, 1994, 605 S.


Nachfolgend eine Rezension von Siegfried Scherer:

Kurz vor Ostern 1994 ist ein Buch erschienen, welches den Anspruch erhebt, eine “rein physikalische Theorie” der Auferstehung und Unsterblichkeit zu präsentieren. Sie soll mit allen Weltreligionen im wesentlichen übereinstimmen, doch erkennt der Autor immerhin, daß seine Theorie mit der christlichen Erlösungsbotschaft nicht leicht zu harmonisieren ist: “Gebet als Botschaft des Menschen zu Gott” ist und war schon immer sinnlos (S. 405), der “Körper Jesu ist im Grab verrottet” und die Zeugen seiner Auferstehung sind einer “kollektiven Halluzination” zum Opfer gefallen (S. 374).

Was ist dann nach Ansicht des amerikanischen Physikprofessors Frank J. Tipler Auferstehung? Am Ende der Evolution (dem sog. “Omegapunkt” = Paradies) wird es gigantische Super-Computer geben, in denen alle überhaupt möglichen Kombinationen von menschlichen Genen und Gehirnzellen samt Gedächtnis programmiert werden können. Dieser Supercomputer (= Gott?) wird am “Omegapunkt” alles in allem, also vollkommen sein und somit auch sämtliche vergangenen Lebensformen beinhalten müssen. Körperliche Auferstehung ist aber nach Tipler unmöglich, doch hier kann der Superrechner aushelfen. Die Programmierung (= “Emulation”) aller toten Menschen in den Computern der Zukunft ist der “physikalische Mechanismus der Auferstehung” (S. 273). Unter den unvorstellbar vielen möglichen Computersimulationen werden zwangsläufig auch Du und ich sein. Damit ist also nicht die leibliche Auferstehung des Neuen Testamentes gemeint – die Auferstehungswelt Tiplers ist eine virtuelle Realität, eine nur im Computer existierende Scheinwirklichkeit

Tipler setzt sich hochgesteckte Ziele: Er möchte die Begrifflichkeit der Religion in physikalische Konzepte fassen, damit am Ende die Wissenschaft die Religionen ablösen und angesichts des Todes den “gleichen Trost wie diese spenden kann” (S. 407). Wie das schon zuvor beispielsweise der Genetiker Carsten Bresch in seinem Buch “Zwischenstufe Leben” getan hat, setzt Tipler eine evolutionär geprägte Naturphilosophie ausdrücklich an die Stelle Gottes. Er vertritt einen extremen Reduktionismus, welcher besagt, daß der Mensch nichts anderes als ein intelligentes, hochentwickeltes Tier ist: “Die Seele ist ein spezielles Programm, das in einer Gehirn genannten Rechenmaschine abläuft” (S. 24/25). Obgleich vielfach vorgebracht, ist eine solche Anschauung empirisch nicht begründbar.

Die keineswegs “rein physikalische”, sondern in Wirklichkeit religiöse Anschauung Tiplers weist ein für den modernen Menschen wichtiges Merkmal auf. Man kann damit nämlich, so der Autor, die Zwangsläufigkeit einer Auferstehung am Ende der Zeit ohne Endgericht “beweisen”. Die Botschaft: Wir kommen alle, alle in den (Computer-) Himmel! Die solcherart Auferstandenen sind darüber hinaus unsterblich, weil man von ihnen auf Super-Disketten multiple Sicherheitskopien anlegen kann. Wie tröstlich.

aus “Wort und Wissen Info 27” (Juni 1994)