Reinhard Haupt, Werner Lachmann & Stephan Schmitz (Hg.): „Die Energiewende“
Zwischen Vision und WirklichkeitSCM Hänssler, Holzgerlingen 2015, 132 S., zahlr. Abb.
Nachfolgend eine Rezension von Dr. Hans Christoph von Rohr (ehem. Vorstandsvorsitzender Klöckner-Werke AG):
Energiewende – Deutschlands unsanfte Landung auf dem Boden der Realität
Als Angela Merkel kurz nach Fukushima die „Energiewende“ ausrief, gelang ihr, die noch wenige Monate zuvor die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängert hatte, ein politisches Meisterwerk: Die ganze Republik, abgesehen von ein paar unverbesserlichen Nörglern, lag ihr zu Füßen und applaudierte ihrem Konzept, unser Land künftig ohne Atomenergie, mit immer weniger Öl und Gas und schließlich nur noch mit „erneuerbaren Energien“ zu versorgen. Sie hätte wie Kaiser Wilhelm II. rufen können „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Energiewender.“ Endlich hatte sich Deutschland auf den Weg zum Guten und Schönen begeben, im harmonischen Einklang mit der Natur und als leuchtendes Vorbild für den Rest der Welt.
Mit dieser Wendeseligkeit ist es inzwischen vorbei. Die Menschen reiben sich die Augen wegen der Kosten, fürchten um Versorgungssicherheit und Arbeitsplätze, bislang mag niemand in der Welt Deutschland auf seinem Sonderweg begleiten.
Und mitten hinein in diese Phase der Ausnüchterung meldet sich nun die Studiengemeinschaft Wort und Wissen, bekannt für ihre Orientierung am christlichen Menschenbild, mit einem Buch zur Energiewende. Man möchte es seufzend beiseitelegen: schon wieder ein herzlich gut gemeinter Versuch, energiewirtschaftliche Sachfragen mit religiösem Pathos auf eine Ebene zu heben, auf der es gar nicht mehr um das Zweckmäßige, sondern nur mehr um GUT oder BÖSE geht.
Eine komplette Fehleinschätzung! Reinhard Haupt, Werner Lachmann und Stephan Schmitz legen mit diesem schmalen Band eine Analyse unserer energiepolitischen Situation vor, wie sie so nüchtern, kompetent und kompakt bislang nicht verfügbar war. Sieben Experten beleuchten das Thema aus der Perspektive jeweils ihres Fachgebietes und liefern fast ausnahmslos nicht Thesen, sondern Fakten – so, wie man sie für eine fruchtbare Debatte braucht.
Es war eine kluge Entscheidung, gleich an den Anfang den Beitrag eines Unternehmers der Windkraft-Industrie zu setzen, dessen Begeisterung für die Energiewende und die damit verbundenen Geschäftsmöglichkeiten aus jeder Zeile hervorfunkelt. Und er hat ja Recht: Windräder und Solardächer sind auf dem Vormarsch, nicht nur in Deutschland, Sonne und Wind schreiben keine Rechnung, wer kann da grundsätzlich etwas gegen Windräder und Solarmodule haben? Die Wahrheit ist: Auch die profiliertesten Wende-Skeptiker im Autorenkreis tun das nicht, sie kritisieren allerdings den hektisch vollzogenen, in seinen Folgewirkungen nicht zu Ende gedachten Kursschwenk, dessen desaströse finanzielle und z. T. auch technische Folgen unser Land auf Jahrzehnte belasten werden. Dazu hätte man vom Autor gerne etwas mehr gehört.
Umso spannender sind dann die Folgebeiträge. Die rot-grüne Koalition hatte 2000 das EEG (Erneuerbare-Energie-Gesetz) ausdrücklich mit dem Ziel erlassen, durch Förderung der Erneuerbaren Energien den CO2-Ausstoß zu verringern. Gert Maichel erläutert, wie seither der Sinn dieses Gesetzes auf den Kopf gestellt wurde: Man hat beschlossen, dass im Jahre 2050 80% unseres Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen sollen – in der Hoffnung, dadurch den CO2-Ausstoß zu senken. Damit wurde das Mittel zum eigentlichen Zweck erhoben mit der Folge, dass wegen der in Europa gehandelten CO2-Zertifikate der CO2-Ausstoß in Deutschland zwar sinkt, die freiwerdenden Zertifikate aber anderswo zur Erzeugung von Kohlestrom verwendet werden können; ein klimatechnisches Nullsummenspiel also.
Ob und wieviel CO2 Deutschland ausstößt, ist für das Weltklima ziemlich belanglos, solange Regelungen fehlen, die den Ausstoß weltweit deckeln. Doch wie sie durchsetzen, wenn es sie tatsächlich einmal geben sollte? Was nützt es, wenn einige Staaten zur Rettung des Klimas ihre Industriestrukturen mit massiven Wohlstandsopfern reformieren, während andere sich als „klimapolitische Trittbrettfahrer“ aus der Sache heraushalten? Brauchen wir eine Welt-Klima-Behörde? Gäbe es auch marktwirtschaftliche Lösungen? Karl Farmer führt den Leser mit nüchterner Logik über dieses politisch verminte Gelände.
Für die gegenwärtig so aktuelle Debatte um die deutschen Kohlekraftwerke liefert Karl-Heinz Schmidt in großer Detaillierung die notwendigen Fakten. Man möchte Politikern und Journalisten den Text in die Hand drücken, um die gar zu oft „aus dem Bauch heraus“ geführte Diskussion zu versachlichen.
In der Tat, es geht um eine Versachlichung, um die Bereitschaft, sich mit allen kurz- und langfristigen Folgen einer Entscheidung nüchtern auseinanderzusetzen statt sie durch moralisierende Thesen zu verschleiern. Dazu leitet dieses Buch uns an.