Ulrich Kutschera: „Kreationismus in Deutschland“
Fakten und AnalysenLit-Verlag Münster, 2007, Pb., 370 Seiten, 19,90 Euro.
Nachfolgend eine Rezension von Reinhard Junker und Henrik Ullrich:
Inhalt
- Anlass und Zweck des Buches
- Inhalt
- Verneinen einer Kontroverse
- Heraufbeschwören eines Gefahrenpotentials für Wissenschaft und Gesellschaft
- Verwechslung einer Fachdisziplin mit einer ihrer Theorien
- Falsche und irreführende Behauptungen
- Diffamierung
- Vermeidung von Sachauseinandersetzung
- Ignoranz der wissenschaftlichen Arbeit Schöpfungsgläubiger
- Zur Kritik an „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“
- Unterstellung verwerflicher Strategien
- Fazit
- Schluss
- Anmerkungen
Anlass und Zweck des BuchesDas 370 Seiten starke Buch erscheint laut Herausgeber zum „20. Jubiläum“ des von der Studiengemeinschaft Wort und Wissen herausgegebenen Buches „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“, das Ende 1986 erstmals unter dem Titel „Entstehung und Geschichte der Lebewesen“ erschien. Das Vorwort widmet sich hauptsächlich diesem Buch. „Kreationismus in Deutschland“ möchte u. a. „dunkle Hintergründe der Anti-Evolutionsbewegung erhellen“ und die „Unwissenschaftlichkeit“ kreationistischer Theorien verdeutlichen (S. 7). Außerdem soll gezeigt werden, dass der Naturalismus „für die Realwissenschaften unverzichtbar“ ist.1 Fast alle Autoren gehören der AG Evolutionsbiologie im Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin (www.evolutionsbiologen.de) an; einige von ihnen haben sich in zahlreichen Internetbeiträgen zum Thema zu Wort gemeldet. Da sich die Medien in den letzten Jahren verstärkt der Debatte um Kreationismus und „Intelligent Design“ (ID) gewidmet haben, dürfte auch für sie die im Vorwort angekündigte Analyse des Phänomens „Kreationismus in Deutschland“ von Bedeutung sein. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Autoren versprechen, „Unterwanderungsstrategien einiger Medien“ in diesem Sammelband offenzulegen (S. 7). |
Inhalt
Das Buch bietet eine lose und insgesamt kaum zusammenhängende Sammlung von zehn Beiträgen von acht Autoren, die teilweise in ähnlicher Form schon an anderer Stelle erschienen sind:2
Die Inhaltsübersicht lässt bereits erkennen, dass ein inhaltlicher roter Faden fehlt; das Buch bietet keine systematische Auseinandersetzung mit Argumenten von Befürwortern der Schöpfungslehre oder Evolutionskritikern – trotz des beachtlichen Umfangs. Tatsächlich erfährt man über kreationistische Inhalte erstaunlich wenig; die Autoren verfolgen offenbar eine andere Zielsetzung. So gesehen ist der Titel nicht gerade treffend. Denn einige Beiträge bieten vielmehr eine eindrucksvolle Anschauung, wie man gegen Kreationismus und Evolutionskritik vorgeht. Tatsächlich wäre als Titel „Antikreationismus in Deutschland“ durchaus passender gewesen. So wird das „kuriose Phänomen“ Kreationismus als Gefahr angesehen, mit einem „unterirdischen Pilzgeflecht“ verglichen (S. 6); es ist von „dunklen Hintergründen“ die Rede und es wird von „Unterwanderungsstrategien einiger Medien“ gesprochen, die es offenzulegen gelte (S. 7). Nach Belegen dafür forscht man in diesem Buch nahezu vergeblich, am ehesten gibt der Beitrag des Biologiehistorikers T. Junker dazu fragwürdige Hinweise.3 Wie sieht nun die Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Positionen der Evolutionskritiker, der Kreationisten und „ID“-ler aus? So wie man sich mit Gefahren auseinandersetzt: durch Abspenstigmachen oder durch Leugnung. Gefahren muss man umgehen und Gefahrenherde ausschalten; dazu will dieses Buch helfen. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie sich in diesem Buch der „Antikreationismus“ in Deutschland zu den Sachfragen äußert. |
Verneinen einer KontroverseNach Auffassung der Autoren gibt es zum Thema „Evolution“ als wissenschaftlicher Tatsache und über ihren kausalen Mechanismus – von Detailfragen abgesehen – keine wissenschaftliche Kontroversen (vgl. T. Junker S. 85, 92-93, A. Beyer S. 109, R. Leinfelder S. 295, 303, A. Meyer 328). Solche Debatten zu führen sei nach Jakobsen „Zeitverschwendung“ (S. 360) oder trage nur dazu bei, Kreationisten zu einer zusätzlichen öffentlichen Plattform zu verhelfen. Damit wird quasi das Existenzrecht einer wissenschaftlich begründeten Evolutionskritik bestritten. Leinfelder betont zurecht in seinem Beitrag, dass viele Wissenschaftler Wissenschaft mit Wissenschaftsgläubigkeit verwechseln (S. 278) und damit deutlich über das Ziel hinausschießen. Leider wird der von ihm vorgeschlagene Weg zur Unterscheidung wissenschaftlicher Aussagen, die er in gesicherte wissenschaftliche Theorien, auf neuen Befunden basierende Hypothesen und in freie Spekulationen gliedert, nicht gegangen, um die entsprechenden Aussagen der wissenschaftlichen Evolutionskritik zu prüfen. Aufgrund der Auffassung, dass eine wissenschaftliche Kontroverse um Evolution unbegründet und unnötig sei, bleibt folgerichtig nur die Suche nach außerwissenschaftlichen Motiven.4 Damit aber wird das zentrale Feld der Auseinandersetzung gar nicht erst betreten. |
Heraufbeschwören eines Gefahrenpotentials für Wissenschaft und Gesellschaft„Kreationismus in Deutschland“ sieht im „Intelligent Design“-Ansatz und im Kreationismus ein Gefahrenpotential. Würden sich diese Denkrichtungen in der Gesellschaft ausbreiten, würde das Forschung hemmen und damit den wissenschaftlichen Fortschritt verhindern. Dies wiederum würde unsere Gesellschaft gefährden, die auf diesem Fortschritt beruht.5 Auf S. 297f. ist dazu zu lesen, es sei „… genau das Ziel der allermeisten Kreationisten, egal welcher Couleur, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben.“ Grundlage für diese Behauptung ist die – von Wort und Wissen übrigens nirgends begrüßte oder akzeptierte – „Wedge-“(Keil-)Strategie der ID-Bewegung in den USA. Ausgehend von diesem Ansatz fällt es dem Autor leicht, Extrempositionen unter den Christen (z.B. die Evolutionslehre sei satanisch) oder die Entscheidung des Hessischen Kultusministeriums, das dem von „ARTE“ angegriffenen Lehrer lehrplankonforme Lehrinhalte attestierte, als erste Anzeichen der von Kreationisten hervorgerufenen gesellschaftlichen Spaltung zu markieren. A. Meyer (S. 333) spricht in diesem Zusammenhang von einer unwissenschaftlichen Intention, die darauf ausgerichtet sind „Schulkindern religiös motivierte Zweifel an der Evolutionsbiologie einzutrichtern und damit das Rad der Zeit um 150 Jahre zurückzudrehen.“ |
Verwechslung einer Fachdisziplin mit einer ihrer TheorienEine weitere Strategie des Antikreationismus besteht darin, den Kontrahenten die Ernsthaftigkeit des wissenschaftlichen Arbeitens in Abrede zu stellen. So vergleicht Ulrich Kutschera in seinem Beitrag „Von Darwin zu Einstein: Der Evolutions- und Photonenglaube“ Biologen, die die Evolutionstheorie nicht für zutreffend halten, mit einem Fleischer, der überzeugter Vegetarier ist.6 Kutschera begeht hier einen Fehler, den er in vielen Interviews in vielen Varianten wiederholt hat (und den leider viele – gedankenlos? – wiederholt haben): Er identifiziert eine ganz Fachdisziplin (die Biologie) mit einer Theorie dieser Disziplin (Evolutionstheorie). Biologe zu sein heißt für ihn die Evolutionstheorie zu befürworten. Wer das nicht tue, gleiche eben einem Fleischer, der gar kein Fleisch verkaufen will. Diese Gleichsetzung von (biologischer) Wissenschaft und Evolutionstheorie ist methodisch falsch. Evolutionstheorien sind wie alle Theorien mit wissenschaftlichem Anspruch vorläufig, revidierbar und ggf. auch ersetzbar. Wäre es nicht so, handelte es sich um weltanschauliche Lehren. Ein Hinterfragen bestimmter Theorien einzelner Fachdisziplinen (hier von Evolutionstheorien) bedeutet selbstverständlich nicht, Wissenschaft an sich in Frage zu stellen! Im Gegenteil: Kritik und Revidierbarkeit ist gerade ein Kennzeichen von Wissenschaft. Der Schutz der Evolutionsanschauung als Gesamtbild des Werdens der Natur vor wissenschaftlicher Kritik offenbart dagegen eine weltanschauliche Intention. |
Falsche und irreführende BehauptungenEine zweite Strategie des Antikreationismus ist die Verbreitung unwahrer und irreführender Behauptungen. Besonders konzentriert, aber nicht nur dort, finden sich solche Behauptungen im Vorwort und im Eingangsbeitrag von Kutschera. Um einen Eindruck davon zu vermitteln, seien einige Aussagen aus diesen Abschnitten zusammengestellt und in Klammern kurz kommentiert.
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DiffamierungEine weitere Strategie, die von den meisten Autoren im Sammelband praktiziert wird, ist die pauschale Diffamierung. (Der Beitrag von Leinfelder hebt sich diesbezüglich positiv ab!) So schreibt Kutschera über „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“: Das Buch sei zwar „didaktisch geschickt aufgemacht“ (S. 6); es habe aber „unzählige naturwissenschaftliche Laien in die Irre geführt“ (S. 7), Glaubensinhalte seien „zu einer Art ‘Theo-Biologie’ verwoben“ (S. 7); es sei ein „bunt bebildertes Propagandastück“ (S. 7), das „Propaganda-Instrument Nummer eins“ (S. 22). Eine Begründung für den häufigen Gebrauch der Kennzeichnung als „Propaganda“ sucht der Leser bei Kutschera vergeblich. Zur Diffamierung gehört es auch, den kritisierten Autoren unglaubwürdige Aussagen zu unterstellen, die sie gar nicht machen. Ein Beispiel unter vielen: Es wird ein Diskussionsbeitrag zur Problematik des fernen Sternenlichts in einem jungen Kosmos erwähnt7 und fälschlicherweise behauptet: „Also wird dem Leser erklärt, Gott müsse wohl gleichzeitig mit den Sternen auch das Sternenlicht über kosmische Distanzen gleich mit erschaffen haben“. Genau dies wird in Wirklichkeit im genannten Diskussionsbeitrag kritisch diskutiert und sogar eingeräumt, dass es derzeit für diese Problematik keine befriedigende Lösung gebe. Beispiele dieser Art von Irreführung und Desinformation der Leser finden sich zahlreich im ganzen Buch. |
Vermeidung von SachauseinandersetzungWenn das evolutionskritische Lehrbuch schon als „Propaganda-Instrument Nummer eins“ bezeichnet wird8 , sollte man auch eine vorrangige Auseinandersetzung mit dessen Inhalten erwarten. Doch davon findet man auf den 370 Seiten des Buches fast nichts (s. u.). Stattdessen behauptet Kutschera, die deutschen „W+W-ID-Kreationisten“ würden die wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweise pervertieren, weil – wie er behauptet – unbeweisbare Glaubenssätze mit wissenschaftlichen Fakten verwoben würden (S. 25). Genau dies wird in „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ aber sorgfältig vermieden; darüber wurde an anderer Stelle schon vieles gesagt.9 Ebenso wird das von W+W verantwortete Internetportal „Genesisnet“ (www.genesisnet.info) als „propagandistischer ‘Ableger’ von W+W“ bezeichnet, ohne dass eine nennenswerte Auseinandersetzung mit Artikeln von Genesisnet erfolgen würde. Lediglich in einem Beitrag von Neukamm geschieht dies teilweise; es geht daraus aber auch nicht hervor, weshalb Genesisnet Propaganda beitreibe. Die Artikel der seit 1994 von W+W herausgegebenen Zeitschrift Studium Integrale Journal bleiben komplett unerwähnt, ebenso die Monographien der gleichnamigen Fachberichtsreihe. Dürfen wir daraus schließen, dass ihre wissenschaftliche Qualität außer Frage steht? Beispielsweise hätte man im Artikel „Der deutsche Kreationismus und seine Rahmenbedingungen aus der Sicht eines Paläontologen“ von Reinhold Leinfelder erwarten können, dass auf die von W+W herausgegebenen paläontologischen Fachpublikationen10 oder auf die paläontologischen Kapitel des Lehrbuchs wenigstens beispielhaft eingegangen wird – Fehlanzeige! Oder wenn Axel Meyer sich mit „Intelligent Design“ befasst, hätte man erwarten können, dass er mehr kennt (bzw. erwähnt) als das dem ID-Ansatz unterschobene Strohmann-Argument „‘Darwinistische Evolution kann dies oder das nicht erklären, deshalb muss Evolution als Ganzes falsch sein – ergo – unsere Ideen sind richtig’“. Wer so etwas schreibt, bezeugt Ignoranz oder eine erschreckende Unkenntnis von den Argumenten und ihrer Begründung, mit denen wissenschaftliche Evolutionskritik durch Wort und Wissen betrieben wird.11 Damit sind wir bei einem weiteren Punkt. |
Ignoranz der wissenschaftlichen Arbeit SchöpfungsgläubigerEinige Autoren des Buches interessieren sich offenbar nicht für die Argumentationen derer, die sie kritisieren. Hierzu noch einige weitere Beispiele: Leinfelder behauptet, Biologen könnten Bioapparate wie das Auge oder Flagellen „in der Regel ohne weiteres evolutionär erklären“ (S. 302). Für diese Aussage fehlt zum einen bei weitem eine ausreichende wissenschaftliche Begründung, zum anderen und vor allem aber fehlt jede Auseinandersetzung mit den Argumenten, die der „Kreationismus in Deutschland“ publiziert hat!12 Auch auf die Behauptung, es gebe unintelligentes Design bei Lebewesen (S. 302f.), wurde von W+W-Autoren und anderen Evolutionskritikern vielfach und detailliert eingegangen.13 Davon erfährt der Leser von „Kreationismus in Deutschland“ nichts. Axel Meyer versteigt sich in seinem Beitrag „Intelligent Design ist eine pseudowissenschaftliche Mogelpackung“ gar zur Aussage, es sei „ein typischer Ansatz der heutigen Evolutions-Kritiker“, „allein Darwin (1859) zu lesen bzw. zu zitieren und die Berge wissenschaftlicher Literatur der letzten anderthalb Jahrhunderte zu ignorieren.“ Wer hier ignorant ist, ist offenkundig, sobald man die Literaturverzeichnisse von Monographien und Artikeln von W+W-Autoren studiert.14 Ignoranz zeigt sich z. B. auch, wenn die Frage gestellt wird „Woher kommen komplexe Strukturen, die dem Töten von Beute oder Gegner dienen …?“, ohne auf die vielfach seit vielen Jahren veröffentlichten Texte einzugehen, die genau diese Frage thematisieren.15 Weitere Beispiele könnten hier seitenweise angefügt werden. Besonders befremdlich ist in diesem Zusammenhang ein Zitat von H.-J. Jacobsen im Epilog: Diskurse mit Anhängern des „Intelligent Design“ seien „Zeitverschwendung“ (S. 360). Warum wurde „Kreationismus in Deutschland“ dann überhaupt geschrieben? |
Zur Kritik an „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“Kommen wir zum Lehrbuch zurück. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten dieses Buches ist – obwohl es ein Anlass für „Kreationismus in Deutschland“ ist (s. o.) – so sparsam gehalten, dass hier auf alle (!) Stellen eingegangen werden soll, wo auf das Buch inhaltlich eingegangen wird. Die pauschalen Abqualifizierungen durch Kutschera wurden bereits genannt. Ab S. 101 befasst sich dann Andreas Beyer mit einigen Passagen des Lehrbuchs. Die von ihm behauptete „erhebliche Verzerrung bei Zitaten“ wurde im Wesentlichen bereits widerlegt.16 Ab S. 104 geht er auf das Thema „Alter der Erde“ ein (ein Randthema des Lehrbuchs) und unterstellt den Autoren Unaufrichtigkeit, weil sie auf eine Studie von amerikanischen Kreationisten verweisen (Vardiman et al. 2005) ohne zu sagen, dass es sich um Kreationisten handelt, und weil relevante Informationen selektiv vorenthalten würden. Das aber ist an dieser Stelle die Praxis von Beyer selbst. Denn derselbe Absatz des Lehrbuchs schließt mit dem Satz: „… es soll jedoch kein Zweifel daran gelassen werden, dass eine insgesamt befriedigende naturwissenschaftliche Lösung des Altersproblems für Kurzzeit-Schöpfungslehren derzeit nicht vorliegt.“ Ist diese Feststellung nicht klar genug? Beyer erwähnt auch eine Abbildung mit einem durch viele Feinsedimente hindurchreichenden Baumstamm und stellt fest, dass das dazu Gesagte korrekt sei. Im Folgenden unterstellt er dann aber den Autoren Behauptungen, die sie nicht machen, und übergeht die vielen W+W-Publikationen, in denen Fragen der Dauer von Sedimentation ausführlich behandelt werden.17 Im Weiteren befasst sich Beyer mit dem Abschnitt über Leserasterverschiebungen bei Genen und unterstellt den Autoren bewusste Täuschung der Leser. Die dabei von Beyer geäußerte sachliche Kritik ist nicht stichhaltig (darauf wird noch an anderer Stelle eingegangen); sein Vorwurf der Täuschung löst sich schon dadurch auf. Diesen Vorwurf basiert Beyer darauf, dass im Lehrbuch weitergehende und vermeintlich gegensätzliche Deutungen vorgenommen werden als dies in einem zitierten Fachartikel von Scherer und Mitarbeitern geschehen sei, auf den im Lehrbuch Bezug genommen wurde. In diesem experimentellen Fachartikel wurden nur die relevanten Fakten dargestellt, ohne sie evolutionär oder evolutionskritisch zu interpretieren. Beyer sollte als Biologe eigentlich selber wissen, dass dies in einem experimentellen mikrobiologischen Journal selbstverständliche Praxis ist. Im Lehrbuch wird eine weitergehende Deutung als „Design-Signal“ im Kapitel „Grenzüberschreitungen“ vorgenommen. In diesem Kapitel wird ausdrücklich gesagt, dass die vorgestellten Deutungen über das naturwissenschaftlich Begründbare hinausgehen und weltanschaulicher Art sind. Gegensätzliches zum Fachartikel wird nirgends behauptet. Beyer gibt hier zweifellos ein besonders krasses Beispiel einer weitgehenden persönlichen Diffamierung von andersdenkenden Personen. Zwei Bezüge auf das evolutionskritische Lehrbuch nimmt Martin Neukamm in seinem Artikel über „Wissenschaft und ontologischer Naturalismus“. Er behauptet (S. 183) ohne Begründung, auf S. 14 des Lehrbuchs finde sich eine falsche Definition (während sich dort gar keine Definition findet) und unterstellt den Autoren, sie würden die radiometrischen Datierungen als fehlerhaft ansehen, „weil sich die Daten nicht mit ihrer Version der Schöpfungsgeschichte vereinbaren lassen“. Das ist eine aus der Luft gegriffene falsche Behauptung (vgl. auch das o. g. Zitat zum Thema „Datierungen“). Auf S. 209 und 211 erwähnt Neukamm zwei im Lehrbuch genannte Wahrscheinlichkeiten der Entstehung funktionaler Proteine, ohne die jeweiligen Herleitungen zu schildern. Stattdessen stellt er diese Wahrscheinlichkeit in den Kontext einer völlig anderen Herleitung aus einer 1986 publizierten Veröffentlichung von W.-E. Lönnig, die mit der Argumentation im evolutionskritischen Lehrbuch nichts gemein hat. Neukamms Kritik trifft damit in keiner Weise die Argumentation im evolutionskritischen Lehrbuch. Er zieht es vor, auf die dort präsentierten Argumente gar nicht einzugehen.18 |
Unterstellung verwerflicher StrategienIm Buch wimmelt es in einigen Passagen von Vorwürfen wie „Verschweigen“, „Unterschlagen“, „Vorenthalten“ (relevanter Informationen), Anwendung von „Tricks“, „die für Kreationisten geradezu typisch“ seien (S. 123), „führt … systematisch hinters Licht“, „doppelzüngig“, Kreationisten „versuchen …, Verwirrung zu stiften“, es gebe eine „hoch beliebte Taktik fast aller Kreationisten“, Kreationisten „lamentieren … gezielt vorbei“, „zieht alle polemischen Register“ usw. Verbunden mit aus dem Zusammenhang gerissenen inhaltlichen Aussagen der kritisierten Autoren kommt dadurch ein Mix zustande, der dem Leser suggeriert, dass (fast) alle Kreationisten nicht nur inkompetent seien, sondern regelmäßig moralisch verwerflich agieren würden. Die Autoren von „Kreationismus in Deutschland“ können nur hoffen, dass möglichst wenige Leser die kritisierten Inhalte in den Originalkontexten der kritisierten Autoren lesen und mit ihren Darstellungen direkt vergleichen. |
FazitDie genannten Beispiele bilden nur die Spitze eines Eisbergs. Sich weitergehend mit den Aussagen von „Kreationismus in Deutschland“ zu beschäftigen würde zunächst erfordern, zahlreiche irreführende Behauptungen und verzerrte Darstellungen abzubauen – ein gleichermaßen mühsames und aufwändiges wie fruchtloses Geschäft. Über weite Strecken ist nicht die Sachauseinandersetzung schwerpunktmäßig der Gegenstand des Buches, sondern der Gegner als eine persönliche Zielscheibe. Als „Insider“ sind wir natürlich extrem voreingenommen – wir müssen ja so schreiben. Wer unsere Stellungnahme nicht glaubhaft findet, lese die in „Kreationismus in Deutschland“ zitierten und kritisierten Artikel und Bücher im Originalzusammenhang. Das wird nach unserer Überzeugung für sich sprechen. |
SchlussChristian Kummer, der sicher kein Anhänger der Studiengemeinschaft Wort und Wissen ist, schreibt über die Art und Weise der Auseinandersetzung, die Professor Kutschera in einem anderen Buch führt: „… Kulturkampfstimmung gegenüber der Kirche … Das jüngste Buch des Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera mit dem Titel Streitpunkt Evolution kann als Beispiel dafür stehen. Kutschera betreibt darin nicht nur seine persönliche Abrechnung mit dem deutschen Kreationismus, sondern auch eine massive Kampagne gegen – stets verzerrt dargestellte – christliche Glaubensinhalte. … Die Auseinandersetzung mit dem Naturalismus berührt unser Thema nur am Rande. Sie war nur nötig als Antwort auf die allzu unflätigen Vorwürfe Kutscheras und seinesgleichen, Glaube habe mit Rationalität nicht die Spur zu tun.“19 Dieses Klischee haben Kutschera und seine Mitstreiter in „Kreationismus in Deutschland“ gezielt und eindrucksvoll bedient. Hinweis: Eine lesenswerte Analyse der von Ulrich Kutschera maßgeblich beeinflussten Medienkampagne zum Thema „Schöpfung/Evolution“ bietet der Artikel „’Götter und Designer bleiben draußen’ – eine kritische Diskursanalyse der Medienberichterstattung zu Intelligent Design im deutschsprachigen Raum“ von Robert Schmidt (In: Religion • Staat • Gesellschaft – Zeitschrift für Glaubensformen und Weltanschauungen. Berlin: Duncker & Humblot, S. 135-184). Eine zusammenfassende Darstellung dieses Artikels findet sich hier: |
Anmerkungen
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