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Ulrich Kutschera: „Kreationismus in Deutschland“

Fakten und Analysen
Lit-Verlag Münster, 2007, Pb., 370 Seiten, 19,90 Euro.


Nachfolgend eine Rezension von Reinhard Junker und Henrik Ullrich:

 

Anlass und Zweck des Buches

Das 370 Seiten starke Buch erscheint laut Herausgeber zum „20. Jubiläum“ des von der Studiengemeinschaft Wort und Wissen herausgegebenen Buches „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“, das Ende 1986 erstmals unter dem Titel „Entstehung und Geschichte der Lebewesen“ erschien. Das Vorwort widmet sich hauptsächlich diesem Buch. „Kreationismus in Deutschland“ möchte u. a. „dunkle Hintergründe der Anti-Evolutionsbewegung erhellen“ und die „Unwissenschaftlichkeit“ kreationistischer Theorien verdeutlichen (S. 7). Außerdem soll gezeigt werden, dass der Naturalismus „für die Realwissenschaften unverzichtbar“ ist.1 Fast alle Autoren gehören der AG Evolutionsbiologie im Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin (www.evolutionsbiologen.de) an; einige von ihnen haben sich in zahlreichen Internetbeiträgen zum Thema zu Wort gemeldet.

Da sich die Medien in den letzten Jahren verstärkt der Debatte um Kreationismus und „Intelligent Design“ (ID) gewidmet haben, dürfte auch für sie die im Vorwort angekündigte Analyse des Phänomens „Kreationismus in Deutschland“ von Bedeutung sein. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Autoren versprechen, „Unterwanderungsstrategien einiger Medien“ in diesem Sammelband offenzulegen (S. 7).

 

Inhalt

Kutschera, U. (Hg.) Kreationismus in Deutschland. Fakten und Analysen. Lit-Verlag Münster, 2007, Pb., 370 Seiten, 19,90 Euro.

Das Buch bietet eine lose und insgesamt kaum zusammenhängende Sammlung von zehn Beiträgen von acht Autoren, die teilweise in ähnlicher Form schon an anderer Stelle erschienen sind:2

  1. Von Darwin zu Einstein: Der Evolutions- und Photonenglaube (U. Kutschera)
  2. Vom Christ zum Atheist: Der Kirchenaustritt Ernst Haeckels im Jahr 1910 (U. Hoßfeld)
  3. Schöpfung gegen Evolution – und kein Ende? Kardinal Schönborns Intelligent-Design-Kampagne und die Katholische Kirche (T. Junker)
  4. Was ist Wahrheit? Oder wie Kreationisten Fakten wahrnehmen und wiedergeben (A. Beyer)
  5. Wissenschaft und ontologischer Naturalismus. Eine Kritik antievolutionistischer Argumentation (M. Neukamm)
  6. Die Affäre Max Planck. Über die fragwürdigen Diskursmethoden eines Evolutionsgegners (M. Neukamm & A. Beyer)
  7. Der deutsche Kreationismus und seine Rahmenbedingungen aus der Sicht eines Paläontologen (R. Leinfelder)
  8. Intelligent Design ist eine pseudowissenschaftliche Mogelpackung (A. Meyer)
  9. Intelligent Design und der teleologische Gottesbeweis (M. Mahner)
  10. Epilog: Das Dobzhansky-Mayr-Prinzip und eine Analogiebetrachtung (U. Kutschera)

Die Inhaltsübersicht lässt bereits erkennen, dass ein inhaltlicher roter Faden fehlt; das Buch bietet keine systematische Auseinandersetzung mit Argumenten von Befürwortern der Schöpfungslehre oder Evolutionskritikern – trotz des beachtlichen Umfangs. Tatsächlich erfährt man über kreationistische Inhalte erstaunlich wenig; die Autoren verfolgen offenbar eine andere Zielsetzung. So gesehen ist der Titel nicht gerade treffend. Denn einige Beiträge bieten vielmehr eine eindrucksvolle Anschauung, wie man gegen Kreationismus und Evolutionskritik vorgeht. Tatsächlich wäre als Titel „Antikreationismus in Deutschland“ durchaus passender gewesen. So wird das „kuriose Phänomen“ Kreationismus als Gefahr angesehen, mit einem „unterirdischen Pilzgeflecht“ verglichen (S. 6); es ist von „dunklen Hintergründen“ die Rede und es wird von „Unterwanderungsstrategien einiger Medien“ gesprochen, die es offenzulegen gelte (S. 7). Nach Belegen dafür forscht man in diesem Buch nahezu vergeblich, am ehesten gibt der Beitrag des Biologiehistorikers T. Junker dazu fragwürdige Hinweise.3

Wie sieht nun die Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Positionen der Evolutionskritiker, der Kreationisten und „ID“-ler aus? So wie man sich mit Gefahren auseinandersetzt: durch Abspenstigmachen oder durch Leugnung. Gefahren muss man umgehen und Gefahrenherde ausschalten; dazu will dieses Buch helfen. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie sich in diesem Buch der „Antikreationismus“ in Deutschland zu den Sachfragen äußert.

 

Verneinen einer Kontroverse

Nach Auffassung der Autoren gibt es zum Thema „Evolution“ als wissenschaftlicher Tatsache und über ihren kausalen Mechanismus – von Detailfragen abgesehen – keine wissenschaftliche Kontroversen (vgl. T. Junker S. 85, 92-93, A. Beyer S. 109, R. Leinfelder S. 295, 303, A. Meyer 328). Solche Debatten zu führen sei nach Jakobsen „Zeitverschwendung“ (S. 360) oder trage nur dazu bei, Kreationisten zu einer zusätzlichen öffentlichen Plattform zu verhelfen. Damit wird quasi das Existenzrecht einer wissenschaftlich begründeten Evolutionskritik bestritten. Leinfelder betont zurecht in seinem Beitrag, dass viele Wissenschaftler Wissenschaft mit Wissenschaftsgläubigkeit verwechseln (S. 278) und damit deutlich über das Ziel hinausschießen. Leider wird der von ihm vorgeschlagene Weg zur Unterscheidung wissenschaftlicher Aussagen, die er in gesicherte wissenschaftliche Theorien, auf neuen Befunden basierende Hypothesen und in freie Spekulationen gliedert, nicht gegangen, um die entsprechenden Aussagen der wissenschaftlichen Evolutionskritik zu prüfen. Aufgrund der Auffassung, dass eine wissenschaftliche Kontroverse um Evolution unbegründet und unnötig sei, bleibt folgerichtig nur die Suche nach außerwissenschaftlichen Motiven.4 Damit aber wird das zentrale Feld der Auseinandersetzung gar nicht erst betreten.

 

Heraufbeschwören eines Gefahrenpotentials für Wissenschaft und Gesellschaft

„Kreationismus in Deutschland“ sieht im „Intelligent Design“-Ansatz und im Kreationismus ein Gefahrenpotential. Würden sich diese Denkrichtungen in der Gesellschaft ausbreiten, würde das Forschung hemmen und damit den wissenschaftlichen Fortschritt verhindern. Dies wiederum würde unsere Gesellschaft gefährden, die auf diesem Fortschritt beruht.5 Auf S. 297f. ist dazu zu lesen, es sei „… genau das Ziel der allermeisten Kreationisten, egal welcher Couleur, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben.“ Grundlage für diese Behauptung ist die – von Wort und Wissen übrigens nirgends begrüßte oder akzeptierte – „Wedge-“(Keil-)Strategie der ID-Bewegung in den USA. Ausgehend von diesem Ansatz fällt es dem Autor leicht, Extrempositionen unter den Christen (z.B. die Evolutionslehre sei satanisch) oder die Entscheidung des Hessischen Kultusministeriums, das dem von „ARTE“ angegriffenen Lehrer lehrplankonforme Lehrinhalte attestierte, als erste Anzeichen der von Kreationisten hervorgerufenen gesellschaftlichen Spaltung zu markieren. A. Meyer (S. 333) spricht in diesem Zusammenhang von einer unwissenschaftlichen Intention, die darauf ausgerichtet sind „Schulkindern religiös motivierte Zweifel an der Evolutionsbiologie einzutrichtern und damit das Rad der Zeit um 150 Jahre zurückzudrehen.“

 

Verwechslung einer Fachdisziplin mit einer ihrer Theorien

Eine weitere Strategie des Antikreationismus besteht darin, den Kontrahenten die Ernsthaftigkeit des wissenschaftlichen Arbeitens in Abrede zu stellen. So vergleicht Ulrich Kutschera in seinem Beitrag „Von Darwin zu Einstein: Der Evolutions- und Photonenglaube“ Biologen, die die Evolutionstheorie nicht für zutreffend halten, mit einem Fleischer, der überzeugter Vegetarier ist.6 Kutschera begeht hier einen Fehler, den er in vielen Interviews in vielen Varianten wiederholt hat (und den leider viele – gedankenlos? – wiederholt haben): Er identifiziert eine ganz Fachdisziplin (die Biologie) mit einer Theorie dieser Disziplin (Evolutionstheorie). Biologe zu sein heißt für ihn die Evolutionstheorie zu befürworten. Wer das nicht tue, gleiche eben einem Fleischer, der gar kein Fleisch verkaufen will. Diese Gleichsetzung von (biologischer) Wissenschaft und Evolutionstheorie ist methodisch falsch. Evolutionstheorien sind wie alle Theorien mit wissenschaftlichem Anspruch vorläufig, revidierbar und ggf. auch ersetzbar. Wäre es nicht so, handelte es sich um weltanschauliche Lehren. Ein Hinterfragen bestimmter Theorien einzelner Fachdisziplinen (hier von Evolutionstheorien) bedeutet selbstverständlich nicht, Wissenschaft an sich in Frage zu stellen! Im Gegenteil: Kritik und Revidierbarkeit ist gerade ein Kennzeichen von Wissenschaft. Der Schutz der Evolutionsanschauung als Gesamtbild des Werdens der Natur vor wissenschaftlicher Kritik offenbart dagegen eine weltanschauliche Intention.

 

Falsche und irreführende Behauptungen

Eine zweite Strategie des Antikreationismus ist die Verbreitung unwahrer und irreführender Behauptungen. Besonders konzentriert, aber nicht nur dort, finden sich solche Behauptungen im Vorwort und im Eingangsbeitrag von Kutschera. Um einen Eindruck davon zu vermitteln, seien einige Aussagen aus diesen Abschnitten zusammengestellt und in Klammern kurz kommentiert.

  • Der Schlüsselbegriff „Evolutionsbiologie“ sei in den Schriften von Wort und Wissen nicht zu finden (S. 24). (Abgesehen davon, dass es synonyme Begriffe gibt, kommt dieser Begriff im Vorwort des evolutionskritischen Lehrbuchs, also an prominenter Stelle, vor.)
  • Bei W+W werde so getan, als sei die „Evolutionslehre“ willkürlich gewählt (S. 24). (Das ist falsch und durch keine Aussage zu belegen.)
  • Siegfried Scherer sei aus dem Vorstand von W+W ausgeschieden (S. 25). (Tatsächlich hat er nur den Vorsitz abgegeben, verbleibt aber nach wie vor im Leitungskreis; dies wurde auch im „W+W-Info“ publik gemacht, siehe Info 1/06: Stabübergabe bei Wort und Wissen)
  • Von W+W werde immer wieder geleugnet, dass man den Junge-Erde-Kreationismus vertrete (S. 27). (Das ist falsch und wird von Kutschera auch nicht belegt. Die Überzeugung eines jungen Alters bei W+W erwächst aus dem Verständnis der biblischen Texte und stellt eine Glaubensaussage dar, die eine entsprechende alternative und ergebnisoffene Deutung vorliegender wissenschaftlicher Daten motiviert. Wort und Wissen hat aber verschiedentlich darauf hingewiesen, dass trotz einzelner interessanter Indizien ein Gesamtmodell einer jungen Erde wissenschaftlich derzeit kaum belegt werden kann.)
  • Das Motto von W+W laute: „Ich glaube an die Schöpfungsmythen der Bibel – also müssen die Prinzipien der naturwissenschaftlichen Arbeitsweise … [und vieles andere mehr, ergänzt] falsch sein“ (S. 39). (Diese Aussage ist eine Erfindung von Kutschera.)
  • Es wird ein „pro-W+W-Politiker“ erwähnt (ohne Namensnennung, S. 39; vermutlich ist Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus gemeint). (Uns ist ein solcher Politiker leider nicht bekannt; Althaus gehört sicher nicht zu „pro-W+W-Politikern“.)
  • Das evolutionskritische Lehrbuch werde zum Herstellungspreis verkauft (S. 5). (Tatsächlich wurde der Kaufpreis nach kaufmännischen Gesichtspunkten vom Weyel-Verlag festgesetzt, der sich eine andere Vorgehensweise finanziell gar nicht leisten könnte.)
  • Die Herausgabe des Lehrbuchs habe die beruflichen Karrieren der beiden Hauptautoren gefördert: Reinhard Junker sei bei W+W angestellt worden (S. 5). (Es war umgekehrt. Erst die Anstellung, dann die Koordination der Herausgabe des Lehrbuchs. Inwiefern das Lehrbuch die Karriere von Siegfried Scherer gefördert haben soll, wird wohl Kutscheras Geheimnis bleiben.)
  • Es konnte verhindert werden, dass das evolutionskritische Lehrbuch in offizielle Schulbuchlisten aufgenommen wurde (S. 6). (Tatsächlich wurde für „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ nie ein Antrag auf Zulassung gestellt.)

 

Diffamierung

Eine weitere Strategie, die von den meisten Autoren im Sammelband praktiziert wird, ist die pauschale Diffamierung. (Der Beitrag von Leinfelder hebt sich diesbezüglich positiv ab!) So schreibt Kutschera über „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“: Das Buch sei zwar „didaktisch geschickt aufgemacht“ (S. 6); es habe aber „unzählige naturwissenschaftliche Laien in die Irre geführt“ (S. 7), Glaubensinhalte seien „zu einer Art ‘Theo-Biologie’ verwoben“ (S. 7); es sei ein „bunt bebildertes Propagandastück“ (S. 7), das „Propaganda-Instrument Nummer eins“ (S. 22). Eine Begründung für den häufigen Gebrauch der Kennzeichnung als „Propaganda“ sucht der Leser bei Kutschera vergeblich.

Zur Diffamierung gehört es auch, den kritisierten Autoren unglaubwürdige Aussagen zu unterstellen, die sie gar nicht machen. Ein Beispiel unter vielen: Es wird ein Diskussionsbeitrag zur Problematik des fernen Sternenlichts in einem jungen Kosmos erwähnt7 und fälschlicherweise behauptet: „Also wird dem Leser erklärt, Gott müsse wohl gleichzeitig mit den Sternen auch das Sternenlicht über kosmische Distanzen gleich mit erschaffen haben“. Genau dies wird in Wirklichkeit im genannten Diskussionsbeitrag kritisch diskutiert und sogar eingeräumt, dass es derzeit für diese Problematik keine befriedigende Lösung gebe. Beispiele dieser Art von Irreführung und Desinformation der Leser finden sich zahlreich im ganzen Buch.

 

Vermeidung von Sachauseinandersetzung

Wenn das evolutionskritische Lehrbuch schon als „Propaganda-Instrument Nummer eins“ bezeichnet wird8 , sollte man auch eine vorrangige Auseinandersetzung mit dessen Inhalten erwarten. Doch davon findet man auf den 370 Seiten des Buches fast nichts (s. u.). Stattdessen behauptet Kutschera, die deutschen „W+W-ID-Kreationisten“ würden die wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweise pervertieren, weil – wie er behauptet – unbeweisbare Glaubenssätze mit wissenschaftlichen Fakten verwoben würden (S. 25). Genau dies wird in „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ aber sorgfältig vermieden; darüber wurde an anderer Stelle schon vieles gesagt.9 Ebenso wird das von W+W verantwortete Internetportal „Genesisnet“ (www.genesisnet.info) als „propagandistischer ‘Ableger’ von W+W“ bezeichnet, ohne dass eine nennenswerte Auseinandersetzung mit Artikeln von Genesisnet erfolgen würde. Lediglich in einem Beitrag von Neukamm geschieht dies teilweise; es geht daraus aber auch nicht hervor, weshalb Genesisnet Propaganda beitreibe. Die Artikel der seit 1994 von W+W herausgegebenen Zeitschrift Studium Integrale Journal bleiben komplett unerwähnt, ebenso die Monographien der gleichnamigen Fachberichtsreihe. Dürfen wir daraus schließen, dass ihre wissenschaftliche Qualität außer Frage steht?

Beispielsweise hätte man im Artikel „Der deutsche Kreationismus und seine Rahmenbedingungen aus der Sicht eines Paläontologen“ von Reinhold Leinfelder erwarten können, dass auf die von W+W herausgegebenen paläontologischen Fachpublikationen10 oder auf die paläontologischen Kapitel des Lehrbuchs wenigstens beispielhaft eingegangen wird – Fehlanzeige! Oder wenn Axel Meyer sich mit „Intelligent Design“ befasst, hätte man erwarten können, dass er mehr kennt (bzw. erwähnt) als das dem ID-Ansatz unterschobene Strohmann-Argument „‘Darwinistische Evolution kann dies oder das nicht erklären, deshalb muss Evolution als Ganzes falsch sein – ergo – unsere Ideen sind richtig’“. Wer so etwas schreibt, bezeugt Ignoranz oder eine erschreckende Unkenntnis von den Argumenten und ihrer Begründung, mit denen wissenschaftliche Evolutionskritik durch Wort und Wissen betrieben wird.11 Damit sind wir bei einem weiteren Punkt.

 

Ignoranz der wissenschaftlichen Arbeit Schöpfungsgläubiger

Einige Autoren des Buches interessieren sich offenbar nicht für die Argumentationen derer, die sie kritisieren. Hierzu noch einige weitere Beispiele: Leinfelder behauptet, Biologen könnten Bioapparate wie das Auge oder Flagellen „in der Regel ohne weiteres evolutionär erklären“ (S. 302). Für diese Aussage fehlt zum einen bei weitem eine ausreichende wissenschaftliche Begründung, zum anderen und vor allem aber fehlt jede Auseinandersetzung mit den Argumenten, die der „Kreationismus in Deutschland“ publiziert hat!12 Auch auf die Behauptung, es gebe unintelligentes Design bei Lebewesen (S. 302f.), wurde von W+W-Autoren und anderen Evolutionskritikern vielfach und detailliert eingegangen.13 Davon erfährt der Leser von „Kreationismus in Deutschland“ nichts. Axel Meyer versteigt sich in seinem Beitrag „Intelligent Design ist eine pseudowissenschaftliche Mogelpackung“ gar zur Aussage, es sei „ein typischer Ansatz der heutigen Evolutions-Kritiker“, „allein Darwin (1859) zu lesen bzw. zu zitieren und die Berge wissenschaftlicher Literatur der letzten anderthalb Jahrhunderte zu ignorieren.“ Wer hier ignorant ist, ist offenkundig, sobald man die Literaturverzeichnisse von Monographien und Artikeln von W+W-Autoren studiert.14 Ignoranz zeigt sich z. B. auch, wenn die Frage gestellt wird „Woher kommen komplexe Strukturen, die dem Töten von Beute oder Gegner dienen …?“, ohne auf die vielfach seit vielen Jahren veröffentlichten Texte einzugehen, die genau diese Frage thematisieren.15 Weitere Beispiele könnten hier seitenweise angefügt werden. Besonders befremdlich ist in diesem Zusammenhang ein Zitat von H.-J. Jacobsen im Epilog: Diskurse mit Anhängern des „Intelligent Design“ seien „Zeitverschwendung“ (S. 360). Warum wurde „Kreationismus in Deutschland“ dann überhaupt geschrieben?

 

Zur Kritik an „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“

Kommen wir zum Lehrbuch zurück. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten dieses Buches ist – obwohl es ein Anlass für „Kreationismus in Deutschland“ ist (s. o.) – so sparsam gehalten, dass hier auf alle (!) Stellen eingegangen werden soll, wo auf das Buch inhaltlich eingegangen wird. Die pauschalen Abqualifizierungen durch Kutschera wurden bereits genannt. Ab S. 101 befasst sich dann Andreas Beyer mit einigen Passagen des Lehrbuchs. Die von ihm behauptete „erhebliche Verzerrung bei Zitaten“ wurde im Wesentlichen bereits widerlegt.16 Ab S. 104 geht er auf das Thema „Alter der Erde“ ein (ein Randthema des Lehrbuchs) und unterstellt den Autoren Unaufrichtigkeit, weil sie auf eine Studie von amerikanischen Kreationisten verweisen (Vardiman et al. 2005) ohne zu sagen, dass es sich um Kreationisten handelt, und weil relevante Informationen selektiv vorenthalten würden. Das aber ist an dieser Stelle die Praxis von Beyer selbst. Denn derselbe Absatz des Lehrbuchs schließt mit dem Satz: „… es soll jedoch kein Zweifel daran gelassen werden, dass eine insgesamt befriedigende naturwissenschaftliche Lösung des Altersproblems für Kurzzeit-Schöpfungslehren derzeit nicht vorliegt.“ Ist diese Feststellung nicht klar genug? Beyer erwähnt auch eine Abbildung mit einem durch viele Feinsedimente hindurchreichenden Baumstamm und stellt fest, dass das dazu Gesagte korrekt sei. Im Folgenden unterstellt er dann aber den Autoren Behauptungen, die sie nicht machen, und übergeht die vielen W+W-Publikationen, in denen Fragen der Dauer von Sedimentation ausführlich behandelt werden.17 Im Weiteren befasst sich Beyer mit dem Abschnitt über Leserasterverschiebungen bei Genen und unterstellt den Autoren bewusste Täuschung der Leser. Die dabei von Beyer geäußerte sachliche Kritik ist nicht stichhaltig (darauf wird noch an anderer Stelle eingegangen); sein Vorwurf der Täuschung löst sich schon dadurch auf. Diesen Vorwurf basiert Beyer darauf, dass im Lehrbuch weitergehende und vermeintlich gegensätzliche Deutungen vorgenommen werden als dies in einem zitierten Fachartikel von Scherer und Mitarbeitern geschehen sei, auf den im Lehrbuch Bezug genommen wurde. In diesem experimentellen Fachartikel wurden nur die relevanten Fakten dargestellt, ohne sie evolutionär oder evolutionskritisch zu interpretieren. Beyer sollte als Biologe eigentlich selber wissen, dass dies in einem experimentellen mikrobiologischen Journal selbstverständliche Praxis ist. Im Lehrbuch wird eine weitergehende Deutung als „Design-Signal“ im Kapitel „Grenzüberschreitungen“ vorgenommen. In diesem Kapitel wird ausdrücklich gesagt, dass die vorgestellten Deutungen über das naturwissenschaftlich Begründbare hinausgehen und weltanschaulicher Art sind. Gegensätzliches zum Fachartikel wird nirgends behauptet. Beyer gibt hier zweifellos ein besonders krasses Beispiel einer weitgehenden persönlichen Diffamierung von andersdenkenden Personen.

Zwei Bezüge auf das evolutionskritische Lehrbuch nimmt Martin Neukamm in seinem Artikel über „Wissenschaft und ontologischer Naturalismus“. Er behauptet (S. 183) ohne Begründung, auf S. 14 des Lehrbuchs finde sich eine falsche Definition (während sich dort gar keine Definition findet) und unterstellt den Autoren, sie würden die radiometrischen Datierungen als fehlerhaft ansehen, „weil sich die Daten nicht mit ihrer Version der Schöpfungsgeschichte vereinbaren lassen“. Das ist eine aus der Luft gegriffene falsche Behauptung (vgl. auch das o. g. Zitat zum Thema „Datierungen“). Auf S. 209 und 211 erwähnt Neukamm zwei im Lehrbuch genannte Wahrscheinlichkeiten der Entstehung funktionaler Proteine, ohne die jeweiligen Herleitungen zu schildern. Stattdessen stellt er diese Wahrscheinlichkeit in den Kontext einer völlig anderen Herleitung aus einer 1986 publizierten Veröffentlichung von W.-E. Lönnig, die mit der Argumentation im evolutionskritischen Lehrbuch nichts gemein hat. Neukamms Kritik trifft damit in keiner Weise die Argumentation im evolutionskritischen Lehrbuch. Er zieht es vor, auf die dort präsentierten Argumente gar nicht einzugehen.18

 

Unterstellung verwerflicher Strategien

Im Buch wimmelt es in einigen Passagen von Vorwürfen wie „Verschweigen“, „Unterschlagen“, „Vorenthalten“ (relevanter Informationen), Anwendung von „Tricks“, „die für Kreationisten geradezu typisch“ seien (S. 123), „führt … systematisch hinters Licht“, „doppelzüngig“, Kreationisten „versuchen …, Verwirrung zu stiften“, es gebe eine „hoch beliebte Taktik fast aller Kreationisten“, Kreationisten „lamentieren … gezielt vorbei“, „zieht alle polemischen Register“ usw. Verbunden mit aus dem Zusammenhang gerissenen inhaltlichen Aussagen der kritisierten Autoren kommt dadurch ein Mix zustande, der dem Leser suggeriert, dass (fast) alle Kreationisten nicht nur inkompetent seien, sondern regelmäßig moralisch verwerflich agieren würden. Die Autoren von „Kreationismus in Deutschland“ können nur hoffen, dass möglichst wenige Leser die kritisierten Inhalte in den Originalkontexten der kritisierten Autoren lesen und mit ihren Darstellungen direkt vergleichen.

Fazit

Die genannten Beispiele bilden nur die Spitze eines Eisbergs. Sich weitergehend mit den Aussagen von „Kreationismus in Deutschland“ zu beschäftigen würde zunächst erfordern, zahlreiche irreführende Behauptungen und verzerrte Darstellungen abzubauen – ein gleichermaßen mühsames und aufwändiges wie fruchtloses Geschäft. Über weite Strecken ist nicht die Sachauseinandersetzung schwerpunktmäßig der Gegenstand des Buches, sondern der Gegner als eine persönliche Zielscheibe. Als „Insider“ sind wir natürlich extrem voreingenommen – wir müssen ja so schreiben. Wer unsere Stellungnahme nicht glaubhaft findet, lese die in „Kreationismus in Deutschland“ zitierten und kritisierten Artikel und Bücher im Originalzusammenhang. Das wird nach unserer Überzeugung für sich sprechen.

 

Schluss

Christian Kummer, der sicher kein Anhänger der Studiengemeinschaft Wort und Wissen ist, schreibt über die Art und Weise der Auseinandersetzung, die Professor Kutschera in einem anderen Buch führt: „… Kulturkampfstimmung gegenüber der Kirche … Das jüngste Buch des Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera mit dem Titel Streitpunkt Evolution kann als Beispiel dafür stehen. Kutschera betreibt darin nicht nur seine persönliche Abrechnung mit dem deutschen Kreationismus, sondern auch eine massive Kampagne gegen – stets verzerrt dargestellte – christliche Glaubensinhalte. … Die Auseinandersetzung mit dem Naturalismus berührt unser Thema nur am Rande. Sie war nur nötig als Antwort auf die allzu unflätigen Vorwürfe Kutscheras und seinesgleichen, Glaube habe mit Rationalität nicht die Spur zu tun.“19 Dieses Klischee haben Kutschera und seine Mitstreiter in „Kreationismus in Deutschland“ gezielt und eindrucksvoll bedient.

Hinweis: Eine lesenswerte Analyse der von Ulrich Kutschera maßgeblich beeinflussten Medienkampagne zum Thema „Schöpfung/Evolution“ bietet der Artikel „’Götter und Designer bleiben draußen’ – eine kritische Diskursanalyse der Medienberichterstattung zu Intelligent Design im deutschsprachigen Raum“ von Robert Schmidt (In: Religion • Staat • Gesellschaft – Zeitschrift für Glaubensformen und Weltanschauungen. Berlin: Duncker & Humblot, S. 135-184). Eine zusammenfassende Darstellung dieses Artikels findet sich hier:
www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/n95.php

Anmerkungen

1 In diesem Sinne verfolgt die AG Evolutionsbiologie im Verband deutscher Biologen unter anderem die Zielsetzung, „ideologisch begründete Strategien gegen die Evolutionsbiologie“ „öffentlichkeitswirksam“ abzuwehren. Die AG beschäftigt sich nach eigenen Angaben „in erster Linie mit religiös motivierter Evolutionskritik, die von ausgewiesenen Biologen stammt und/oder im Umfeld organisierter fundamental-christlicher Gruppierungen (wie z.B. der Studiengemeinschaft Wort und Wissen) präsentiert wird“ (www.evolutionsbiologen.de/ziele.html, Seite nicht mehr verfügbar, Stand: 31.10.2019).
2 Das ausführliche Inhaltsverzeichnis kann hier heruntergeladen werden: www.evolutionsbiologen.de/kreation_inhalt.pdf (Seite nicht mehr verfügbar, Stand: 31.10.2019); unter www.evolutionsbiologen.de/members.htm (Seite nicht mehr verfügbar, Stand: 31.10.2019) gibt es Links, über die Infos zu den meisten Autoren erhältlich sind.
3 Die TV-Diskussion, über deren Hintergründe T. Junker schreibt, ist frei verfügbar (mms://stream1.orf.at/religion/ph060117.wmv; Kurzüberblick: religion.orf.at/projekt03/tvradio/kreuz/ph060117_darwin_fr.htm), so dass man die Behauptungen des Autors selbst ein Stück weit überprüfen kann.
4 Die Suche nach vermeintlichen Motiven der Evolutionskritiker wurde von den Medien häufig praktiziert.
5 In erschreckender Deutlichkeit folgte eine Erklärung des Europarats vom 4. 10. 2007 diesem abwegigen Interpretationsmuster (assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/AdoptedText/ta07/ERES1580.htm (Seite nicht mehr verfügbar, Stand: 31.10.2019); vgl. dazu www.kath.net/detail.php?id=17913). Siehe dazu die Stellungnahme von Wort und Wissen zu einer früheren Version: Presse 07/5 „Europarat und Kreationismus“.
6 Auch ein ausgesprochener Kreationismusgegner, Michael Gudo, findet diese Analogie „so plump, dass man sich als Evolutionsforscher nur aufs heftigste dagegen wehren kann“ (GMIT Nr. 29, 2007, S. 57). In der dort veröffentlichten Rezension (S. 55-59) wendet sich Gudo recht deutlich auch gegen einige andere Inhalte und Strategien von „Kreationismus in Deutschland“, obwohl er sich genauso scharf gegen den Kreationismus wendet.
7 „Erwachsene Schöpfung im Kontext der Astronomie“
8 oder wie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 8. 10. 2006, Nr. 40, Seite 68 durch U. Kutschera als das „zentrale Propagandainstrument“
9 Informationen zu „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“
10 Siehe dazu http://www.wort-und-wissen.de/si/bio.html
11 Siehe z. B. das Buch „Nur eine Illusion. Biologie und Design“ von M. Rammerstorfer (siehe Rezension) oder den Beitrag über „Intelligent Design“ von Reinhard Junker auf „Genesisnet“ (www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/p1622.php)
12 Hier wäre zum einen das kritische Lehrbuch zu nennen (Bakterienmotor) und zum anderen ein Artikel in Studium Integrale journal (über das Auge: Zankapfel Auge)
13 Siehe z. B. www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/p1641.php
14 Siehe z. B. evolutionslehrbuch.wort-und-wissen.de/anhang/literatur.html
15 www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/u2040.php
16 Fehlerhafte Zitate in „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“?. Die nochmalige Replik von Beyer, Hoßfeld & Neukamm unter www.evolutionsbiologen.de/evozitate2.pdf ändert daran nichts, da es dort im Wesentlichen nicht mehr um korrektes Zitieren, sondern um inhaltliche Bewertungen geht.
17 Z. B. eine Reihe von Artikeln in Studium Integrale Journal.
18 Weitere Entgegnungen auf andernorts publizierte Kritik an „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ finden sich hier: „Punkt für Punkt widerlegt“? – Richtigstellungen von Behauptungen in Ulrich Kutscheras „Evolutionsbiologie“
19 In: Klinnert, L.: Zufall Mensch? Das Bild des Menschen im Spannungsfeld von Evolution und Schöpfung. Darmstadt 2007, S. 95 und 98.