Evolution der Vielzelligkeit (u. a. Endosymbionten-Theorie)
19.05.23 Capsaspora – ein Modell für die Entstehung der Vielzelligkeit?
Der Einzeller Capsaspora wird als Modell für die evolutive Entstehung von Mehrzelligkeit diskutiert. Oder verlief die Entwicklung andersherum? Ein Einzeller verlor seine Fähigkeit, vielzellige Stadien zu bilden?
Es wird allgemein angenommen, dass das erste einfache einzellige Leben vor etwa 3,5 bis 4 Milliarden radiometrischen Jahren entstanden ist. Komplexere Formen – mehrzellige Lebewesen – sollen sehr lange für ihre Entstehung gebraucht haben, wobei Tiere erst vor etwa 600 Millionen radiometrischen Jahren auftraten. Wie sich mehrzellige tierische Lebensformen entwickelt haben, ist nicht bekannt. Es bedurfte jedenfalls der Erfindung eines neuen Zelltyps, der eukaryotischen Zelle. Im Gegensatz zu den Prokaryoten wie Bakterien, aus denen sie entstanden sein sollen, haben eukaryotische Zellen mehrere membrangebundene Organellen. Sie besitzen einen Zellkern, der die DNA enthält und sozusagen als Betriebszentrum fungiert. Endoplasmatisches Retikulum und Golgi-Apparat sind an der Produktion, Reifung und dem Transport von Proteinen beteiligt. Und es gibt Mitochondrien, membrangebundene Organellen, die Energie (ATP) bereitstellen. Vakuolen als Speicherräume scheiden Abfallstoffe ab und erhalten den Wasserhaushalt aufrecht. Dennoch glauben Evolutionsforscher, dass Eukaryoten sich aus einfacheren, einzelligen Mikroben entwickelt haben, höchstwahrscheinlich durch Endosymbiose, d. h. durch die Verschmelzung mehrerer einzelliger Mikroben (Martin 2015; Borger 2020).
Nach evolutionstheoretischer Auffassung sollen sich die Tiere (Metazoa) aus einem eukaryotischen Einzeller entwickelt haben – denn alle Tiere sind vielzellige Gebilde aus eukaryotischen Zellen. Das ist jedoch nicht so einfach, denn in mehrzelligen Organismen müssen verschiedene Zellen unterschiedliche Aufgaben übernehmen; es gibt eine Aufgabenteilung. Die Zellen müssen daher kooperieren und zusammenarbeiten, damit der Organismus als Ganzes funktionieren kann. Dies erfordert unter anderem eine viel größere Steuerungs- und Organisationsleistung der DNA, da nicht alle genetischen Programme gleichzeitig in denselben Zellen aktiv sein müssen. Deshalb ist die Mehrzelligkeit im Vergleich zu Einzellern immer mit einer größeren regulatorischen Komplexität der DNA verbunden. So ist die DNA um Histon-Proteine gewickelt und es gibt einen Histon-Code, um die richtigen Programme in den jeweiligen unterschiedlichen Zellen zu aktivieren. Um mehrzellige Tiere bilden zu können, die aus funktionell unterschiedlichen Zellen bestehen, ist außerdem ein Kommunikationssystem zwischen den Zellen erforderlich. Neue Forschungsergebnisse, die in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) vorgestellt wurden, zeigen nun außerdem, dass es einer chemischen Sprache bedarf, um von einem einzelligen Organismus zu einem mehrzelligen Vorfahren der Tiere werden zu können (Ros-Rocher 2023).
Die Studie befasste sich mich Capsaspora owczarzaki, einem einzelligen Eukaryoten (einen so genannten Protisten). Es handelt sich um eine winzige Amöbe von etwa 3 bis 5 Mikrometern Länge mit Zellfortsätzen, den so genannten Filopodien, mit denen sie sich am Substrat festhält. Ursprünglich wurde der als Symbiont bekannte Einzeller aus der Hämolymphe („Blut“) einer Süßwasserschnecke in Puerto Rico isoliert. Evolutionstheoretiker betrachten Capsaspora als einen engen einzelligen Verwandten der Tiere, da diese Gattung sehr ähnliche Merkmale im Erbgut aufweist – einschließlich Histon-assoziierter DNA in einem Zellkern. Außerdem kann Capsaspora mehrzellige Aggregate bilden – Zellen, die sich zusammenballen und aneinanderhaften, ähnlich wie bei Schwämmen oder Süßwasserpolypen (Hydra). Da Capsaspora im Labor leicht gedeiht und als aneinanderheftende Kette schnell in die Länge wächst, ist dieser Einzeller zu einem Modell geworden, um den Ursprung der Mehrzelligkeit zu untersuchen (Ferrer-Bonet 2017).
In der in PNAS vorgestellten Studie wurden chemische Methoden wie Massenspektrometrie und Kernspinresonanzspektroskopie eingesetzt, um zu entschlüsseln, welche Moleküle kooperative bzw. konkurrierende Reaktionen zwischen einzelnen Capsaspora auslösen. Für ihre Studie fügten die Forscher systematisch Komponenten eines flüssigen Wachstumsmediums zu Capsaspora hinzu und entfernten sie wieder, um festzustellen, welche Komponenten das Zusammenhaften der Zellen regulierten. Es zeigte sich, dass die vielzellige Aggregation von Capsaspora durch Kalzium-Ionen und Lipide in Lipoproteinen angeregt wird. Sie entdeckten auch, dass die Capsaspora-Aggregation ein reversibler Prozess ist, der von der Konzentration dieser Faktoren abhängt (Ros-Rocher 2023).
Einer der führenden Forscher, J. P. Gerdt, Assistenzprofessor für Chemie am IU Bloomington College of Arts and Sciences, sagte: „Wir haben jetzt ein besseres Verständnis dafür, wie die Vorfahren der Tiere diese Veränderung mit Hilfe von chemischen Signalen vollzogen haben könnten.“ Roach (2023) kommentierte, die Studie zeige den ersten Schritt „zur Entdeckung der chemischen ‚Sprachen‘ von Mikroorganismen.“
Es ist schon länger bekannt, dass amöbenartige Eukaryoten mehrzellige Aggregate bilden können, insbesondere während der Phase der sexuellen Fortpflanzung. Dies erfordert eine Fülle neuer genetischer Information im Vergleich mit ausschließlich einzellig lebenden Protisten. Frühere Arbeiten an Capsaspora haben auch gezeigt, dass der einzellige Vorfahre der Tiere – evolutionstheoretisch gesehen – genetisch viel komplexer gewesen sein müsste als bisher angenommen. Er verfügte demnach vermeintlich nicht nur über viele Gene, die an der Anheftung von Zellen und Signalweitergabe beteiligt sind, sondern auch über eine komplexe und zelltypspezifische phosphatvermittelte Signalübertragung, die an der Regulierung der Genexpression beteiligt ist. So besitzt Capsaspora die typische Ausstattung mehrzelliger Organismen wie Integrine und Protein-Tyrosin-Kinasen, die für den Zellkontakt und die Signalübertragung verwendet werden (Ferrer-Bonet 2017).
Ein entscheidendes Merkmal mehrzelliger Tiere ist ihre Fähigkeit, durch zeitlich und räumlich regulierte Entwicklungsprogramme mehrere spezialisierte Zelltypen hervorzubringen. Der Einzeller Capsaspora verfügt über ein komplexes Repertoire an Genen, welche mit vielzelligen Prozessen verbunden sind. Dazu gehören auch Histone, die den für die zelluläre Differenzierung und die Mehrzelligkeit erforderlichen Histon-Code bereitstellen. Histone bilden die so genannten Nukleosomen (d. h. Proteinkomplexe, um die die DNA gewickelt wird) und bestehen aus 8 Histon-Proteinen (2xH2a, 2xH2b, 2xH3 und 2xH4). Die jeweiligen Histone können chemisch modifiziert werden, so dass sie wie ein Code funktionieren, der die Zugänglichkeit der DNA regelt (eine lockere Verpackung der DNA ermöglicht das Ablesen der Gene). Offensichtlich ist der Histon-Code, insbesondere der von H3 und H4, zwischen Capsaspora und allen anderen Eukaryoten in hohem Maße konserviert (Sebé-Pedrós 2016), also sehr ähnlich. Diesen Befund kann man auch so deuten, dass der Histon-Code nicht evolvierte, sondern einfach von Beginn des eukaryotischen Lebens an vorhanden war. In der Tat tauchen („emerge“) spezifische Enhancer- und Promotor-Merkmale gemäß phylogenetischer Analysen an der Basis der Metazoa auf, zusammen mit der Expansion und Umgestaltung von Transkriptionsnetzwerken und nicht-kodierenden RNA-Systemen, die eine fein abgestimmte räumlich-zeitliche Kontrolle der Genexpression ermöglichen. All dies ist bei dem einzelligen Symbiont Capsaspora vorhanden. Dies lässt sich aus Schöpfungsperspektive so deuten, dass Capsaspora gar kein Modell für die Evolution der Vielzelligkeit ist, sondern dass es sich um einen degenerierten Organismus handelt, der gerade dabei ist, Information zu verlieren, die er möglicherweise einst für mehrzellige Stadien genutzt hat. Die symbiotische Lebensweise von Capsaspora könnte tatsächlich darauf hindeuten, dass die Evolutionsbiologen die Reihenfolge der Ereignisse verkehrt herum interpretieren. Die Fähigkeit, Aggregate (mit unbekannter Funktion) zu bilden, könnte das letzte Überbleibsel der sich sexuell fortpflanzenden Stadien sein. Ein Relikt aus einer einst guten Schöpfung.
Quellen
Borger P (2020) Rezension: Der Funke des Lebens, Nick Lane. https://www.wort-und-wissen.org/wp-content/uploads/Rezension_Lane-1.pdf.
Ferrer-Bonet M & Ruiz-Trillo I (2017) Quick Guide: Capsaspora owczarzaki. Current Biology 27, R825–R832. https://www.cell.com/current-biology/pdf/S0960-9822(17)30640-1.pdf.
Martin WF et al. (2015) Endosymbiotic theories for eukaryote origin. Philos. Trans. R Soc. Lond. B Biol. Sci. 370, 20140330.
Ros-Rocher N et al. (2023) Chemical factors induce aggregative multicellularity in a close unicellular relative of animals, Proc. Natl. Acad. Sci. USA 120, e2216668120, https://dx.doi.org/10.1073/pnas.2216668120.
Roach A (2023) Earliest animal likely used chemical signaling to evolve into multicellular organism. Phys.org, 25.04.2023, https://phys.org/news/2023-04-earliest-animal-chemical-evolve-multicellular.html.
Sebé-Pedrós A et al. (2016) The Dynamic Regulatory Genome of Capsaspora and the Origin of Animal Multicellularity. Cell 165(5):1224-1237. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4877666/.
Autor dieser News: Peter Borger
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09.02.09 Der einfachste Vielzeller kommt groß heraus
Besondere Aufmerksamkeit erhielt Anfang des Jahres der sehr einfach gebaute Vielzeller Trichoplax adhaerens (Abb. siehe https://idw-online.de/de/news297821). Der zu den Placozoa („Plattentiere“) gehörende Organismus (der einzige Vertreter dieses Stammes) soll der „Urvater“ der Tiere sein. Das nur wenige Millimeter große Geschöpf ist in allen warmen Meeren zu Hause. Ungewöhnlich einfach gebaut ist Trichoplax insofern, als nur vier somatische Zelltypen vorkommen (der Mensch besitzt über 200) und es das kleinste Vielzeller-Erbgut besitzt. Das Tier besitzt keine Körperachse, keinen Kopf, keinen Fuß und keine Organe. Daher nimmt Trichoplax eine isolierte Stellung im Vergleich zu allen anderen Vielzeller-Stämmen ein (Schierwater et al. 2009, 0036). Aufgrund des überaus einfachen Baus war Trichoplax natürlich schon zuvor ein Kandidat für die evolutionäre Position als Urahn der heute lebenden Vielzeller.
Neue umfangreiche Analyse. Nun hat eine umfangreiche Analyse von etwa 9400 genomischen, mitochondrialen, RNA-Struktur- und morphologischen Merkmalen zu neuen überraschenden Erkenntnissen geführt. Unter evolutionstheoretischen Voraussetzungen ist es nach diesen Daten nicht mehr möglich, eine evolutive Reihe von Trichoplax über die Nesseltiere (Cnidarier) und Rippenquallen (Ctenophoren) zu den Bilateriern (zweiseitig symmetrische Tiere) zu rekonstruieren, sondern beide Gruppen müssen als verschiedene Entwicklungsäste innerhalb der Vielzeller interpretiert werden, die sich sehr früh aufgespaltet haben (Abb. bei https://idw-online.de/de/news297821).
Entgegen mancher Behauptungen in der Presse, dass damit eine bisherige Lücke geschlossen würde, wird eine neue und größere Lücke aufgerissen: Denn nach den neuen Daten müssen zwei parallele Übergänge von einem Trichoplax-ähnlichen hypothetischen Vorfahren ausgehend erfolgt sein: Zum einen zu einer Gruppe bestehend aus den Schwämmen, Nesseltieren und Rippenquallen und zum anderen zu den Bilateriern, zu denen alle anderen Tiere gehören und die den Großteil aller vielzelligen Tiere ausmachen. Die Lücke zwischen den Placozoa und den Bilateriern ist dadurch größer geworden als zuvor, während die Lücke zu den anderen Gruppen geblieben ist.1
Die stammesgeschichtliche Position der basalen Vielzeller (Metazoa) (die einfacheren Bilateria, Nesseltiere, Rippenquallen, Schwämme und Placozoa) war bisher sehr kontrovers diskutiert worden, da es viele einander widersprechende Datensätze gibt (Schierwater et al. 2009, 0036 und dortige Fig. 1; vgl. Blackstone 2009). Die Mittlerrolle dieser Gruppen zu den Bilateriern war also bis zuletzt schon problematisch. Die Widersprüche werden durch die neue umfangreiche Analyse nicht aus der Welt geschafft. Der neue Gesamtbefund spricht nun aber für einen neuen, überraschenden Stammbaum mit zwei Hauptästen, die sich direkt an der Basis aufzweigen (s. Abb. bei http://idw-online.de/pages/de/news297821).
Parallelentwicklung. Warum hatte man bisher eine einzige Evolutionsreihe primitiver Vielzeller angenommen? Der Grund ist, dass eine frühe Trennung der beiden Gruppen eine unabhängige Parallelentwicklung der komplexen Baupläne in beiden Ästen des Baums erfordert. Die Körperachse, das Nervensystem, Sinnesorgane u. a. müssen also zweimal unabhängig (parallel) entstanden sein. Das hatte man nicht erwartet, es muss aber aufgrund der neuen Phylogenie so angenommen werden. Immerhin weisen die Organsysteme der Tiergruppen der beiden Hauptäste durchaus auch deutliche Unterschiede auf, was die Deutung als Parallelentwicklung etwas erleichtert.
Wie konnte es zu einer so weitreichenden Parallelentwicklung kommen? „Die auffallenden Ähnlichkeiten bei mehreren komplexen Merkmalen (wie den Augen) resultierten daraus, dass beide Linien denselben genetischen Baukasten nutzen, der bereits im gemeinsamen Vorfahren vorhanden war“ (Schierwater et al. 2009, 0037).2 Wird also das heute lebende Trichoplax als Modell für den hypothetischen gemeinsamen Vorfahren aus dem Stamm der Placozoa zugrundegelegt, bedeutet dies, dass die genetischen Grundlagen bereits vor der morphologischen Komplexität der anderen Vielzellergruppen vorhanden waren. Auf dieser Basis sei eine Parallelentwicklung der Organe und der Herausbildung der Körperachse nachvollziehbar.2
Ein genetisch komplexer Vorfahr wurde schon seit einiger Zeit angenommen, weil sich gezeigt hat, dass bei verschiedensten Tiergruppen die gleichen Regulationsgene, die für die Bildung von Organen erforderlich sind, aktiv sind (vgl. „Evo-Devo“, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41266&Sprache=de&l=2). Der neue Befund passt in diese Entwicklung, wirft aber wie zuvor schon die Frage auf, wie sich dieser genetisch komplexe Vorfahr entwickeln konnte und wofür er die überraschend reiche genetische Ausstattung überhaupt hat. In einer Pressemitteilung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover wird Schierwater zitiert: „Die zugrunde liegenden genetischen Anlagen sind bei allen Tieren sehr ähnlich. Placozoa haben alle Anlagen in ihrem Genom, um ein Nervensystem auszubilden, aber sie machen es nicht. Sie könnten, aber sie müssen nicht.“ Sind die Placozoa also genetisch komplexer als nötig? Kritisch anzumerken ist auch: Der schon in Trichoplax vorhandene (und entsprechend beim hypothetischen Placozoa-Vorfahr angenommene) genetische Baukasten ist nur eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende Voraussetzung für die (sogar parallele) Entwicklung eines Nervensystems.
Widerspruch zu evolutionärem Grundprinzip. Schierwater erklärt in der genannten Pressemitteilung außerdem: „Diese sehr überraschende Parallelentwicklung von niederen und höheren Tieren widerspricht einem bisherigen Grundprinzip evolutionsbiologischen Denkens, nämlich, dass sich komplexere Formen graduell aus einfacheren Formen ableiten. … Hier müssen wir wohl umdenken.“ Das Paradigma „von einfach nach komplex“ muss aus zwei Gründen überdacht werden: Zum einen muss der anzunehmende gemeinsame Vorfahre aller Vielzeller unerwartet komplex gewesen sein (s. o.). Zum anderen betrifft das Umdenken die Stellung der „niederen Tiere“ (Nesseltiere, Rippenquallen und Schwämme): Sie stehen nun nicht mehr an der Basis der Bilaterier. Die „höheren Tiere“ können auf der Basis der Ergebnisse von Schierwater und Mitarbeitern nicht mehr von diesen abgeleitet werden. Die oben erwähnten Unterschiede im Bau der Organe erscheinen unter dem Eindruck der neuen Befunde und des dadurch erforderlichen Umdenkens offenbar in einem neuen Licht.
Dieses Umdenken zeigt einmal mehr die Flexibilität von Evolutionstheorien, die sich hier darin zeigt, dass sogar ein „Grundprinzip evolutionsbiologischen Denkens“ (Schierwater) widerlegt werden kann, ohne dass der Theorie der geringste Schaden entsteht. Durch die neuen Erkenntnisse wird das Problem der Entstehung weiter zurückverlegt, doch dabei wird es immer schwerer, die erstmalige evolutive Entstehung der ursprünglich schon vorhandenen Komplexität nachzuvollziehen.
Man kann gespannt sein, wie die weitere Entwicklung der Forschung verlaufen wird. Zur Stammesgeschichte der Tiere ist sicher das letzte Wort noch lange nicht gesprochen.
Anmerkungen
1 Vergleiche dazu die Statements von Blackstone (2009): „Certainly, a broad literature supports the notion that there are enormous differences between bilaterians and these other early evolving animals. Considerations of regulatory gene evolution, the evolution of the germ line, and patterns of development and aging all suggest a wide gulf between bilaterians and other basal groups.“ Und: „While Schierwater and colleagues have set a new methodological standard for subsequent studies, their results also suggest a gap in our current knowledge: we need a clearer picture of the base of the bilaterian tree to fully understand animal evolution.“
2 „The striking similarities in several complex characters (such as the eyes) resulted from both lineages using the same basic genetic tool kit, which was already present in the common ancestor. The study identifies Placozoa as the most basal diploblast group and thus a living fossil genome that nicely demonstrates, not only that complex genetic tool kits arise before morphological complexity, but also that these kits may form similar morphological structures in parallel.“
Quellen
Blackstone NW (2009) A New Look at Some Old Animals. PLoS Biol 7(1):
http://dx.doi.org/10.1371/journal.pbio.1000007
Schierwater B, Eitel M, Jakob W, Osigus HJ, Hadrys H, Dellaporta SL, Kolokotronis SO, DeSalle R (2009) Concatenated Analysis Sheds Light on Early Metazoan Evolution and Fuels a Modern „Urmetazoon“ Hypothesis. PLoS Biol. 7(1): http://dx.doi.org/10.1371/journal.pbio.1000020
Von Brethorst S (2009) Unerwartete Evolution.
http://idw-online.de/pages/de/news297821 (Pressemitteilung)
Autor dieser News: Reinhard Junker
© 2009, http://www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/n122.php
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09.06.06 Die Endosymbiontenhypothese: Makroevolution oder Intelligent Design?
Nach der Endosymbionten-Hypothese (ESH) sind die Zellorganellen Mitochondrien und Plastiden durch die Aufnahme (Endosymbiose) eines zellkernlosen Einzellers in einen anderen Einzeller entstanden. Diese beiden Organismen sind demnach eine Partnerschaft eingegangen, die zur gegenseitigen Abhängigkeit führte. Die ESH wird vor allem durch vergleichende Studien begründet (zellulärer Aufbau, Biochemie, Erbgut von Wirt und Endosymbiont). Der hypothetische Vorgang der erstmaligen Aufnahme eines Endosymbionten wirft nach heutiger verbesserter Kenntnislage jedoch mehr Fragen auf als noch vor 20 Jahren. Als bewiesen kann die ESH derzeit nicht gelten und sie bietet auch keine Hinweise für die Mechanismen einer Makroevolution.
Zu dieser Einschätzung gelangt Genesisnet-Autor Gregor Wagner in einem ausführlichen Beitrag zur ESH (Experten-Text: Endosymbionten-Hypothese, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41308&Sprache=de&l=2), der seit kurzem online ist. Einen kurz gefassten Überblick bietet der ebenfalls mittlerweile verfügbare Interessierten-Text: Endosymbionten-Hypothese, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41308&Sprache=de&l=1. Die Schlussfolgerungen dieses kürzeren Textes seien hier wiedergegeben:
Morphologische und biochemische Merkmale sowie Sequenzvergleiche von Genen und Proteinen oder gesamten Genomen (= Erbgut) und Proteomen (= Gesamtheit aller Proteine eines Organismus) – und somit das Ähnlichkeitsargument (vgl. Ähnlichkeiten in der Morphologie und Anatomie, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41301&Sprache=de&l=1) – gelten als hauptsächliche Belege für die ESH. Eine zentrale Schwäche der ESH ist der Wegfall ihrer ursprünglichen Grundlage – der Vorteil der Symbiose eines Wirtes mit einem energieliefernden Endosymbionten. Mitochondrien unterscheiden sich von ihren mutmaßlichen Vorfahren, den Prokaryoten, in einem Großteil ihrer funktionellen Einheiten. Ein hochkomplexes und miteinander verwobenes System aus Expression (= Ausprägung des Erbguts), Translation (= Übersetzung Gene in Proteine), und Protein-Import benötigt neue Transporter, Translokasen und Proteasen, die selbst aus komplizierten Proteinkomplexen bestehen. Nach einem Transfer vom Endosymbionten in das Kerngenom müsste eine aufwändige Co-Evolution dieser sämtlichen Komponenten erfolgt sein. Deren Ablauf ist unbekannt. Aufgrund von Merkmalswidersprüchen sind bei den Mitochondrien sowohl die Identität des Wirtsorganismus als auch die des Endosymbionten unklar.
Der Autor gelangt im Experten-Text „Endosymbionten-Hypothese“ (https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41308&Sprache=de&l=2) unter anderem zu folgenden Schlussfolgerungen, die im Einzelnen ausführlich begründet und mit zahlreichen aktuellen Literaturzitaten aus der evolutionstheoretischen Forschung belegt werden:
- Die Endosymbionten-Hypothese (ESH) erlebte im Laufe der vergangenen Jahrzehnte einen erheblichen Wandel in ihren stützenden Argumenten. Mechanismen, die lange Zeit plausibel erschienen, verloren durch fortlaufende Forschung ihre Aktualität. Der Wegfall der Bereitstellung von Energie als Initiator der Endosymbiose und ihrer Triebfeder stellt eine deutliche Schwächung der ESH dar. Die Hauptargumente für Verwandtschaft von Prokaryoten und Organellen basieren weiterhin auf Ähnlichkeit.
- Auf der Suche nach Vorläufer-Kandidaten für einen hypothetischen Wirt und einen Endosymbionten wurden kaum Fortschritte erzielt, obwohl in den letzten zwei Jahrzehnten zu den morphologischen und biochemischen Markern eine große Zahl vergleichender Genom- und Proteom-Daten hinzugekommen sind. Es muss weiterhin nach dem „mysterious symbiont“ gesucht werden.
- Der evolutionäre Graben zwischen Prokaryoten und Eukaryoten ist derzeit tiefer und die Beschaffenheit des Endosymbionten, der ein Mitochondrium aufgenommen hat, ist unklarer als je zuvor. Im Gegenzug etabliert sich zunehmend die Sicht, dass die Entstehung der Eukaryoten und das Auftreten von Mitochondrien als Organellen Teil desselben Ereignisses sind.
- Entgegen sämtlicher Erwartungen der ESH ergibt die aktuelle Menge an unterschiedlichen Daten keine genaueren Stammbäume als früher, und die Entstehung von Mitochondrien ist in ihren Details heute weitaus weniger verstanden als sie in den 1990er Jahren zu sein schien. Die unterschiedlichen Analyse-Methoden brachten keine übereinstimmenden Ergebnisse, weshalb die Verwandtschaft der eukaryotischen Hauptgruppen unklar bleibt.
- Gleichzeitig stellt sich jedoch auch immer mehr eine enorme Komplexität der physiologischen Zusammenhänge zwischen Eukaryoten-Zelle und Organellen heraus.
- Trotz der aktuellen Daten- und Ergebnis-Situation, trotz der Widersprüchlichkeit vieler Resultate und trotz der Verlustes wesentlicher Schlüssel-Argumente nehmen viele Autoren in Nebensätzen die ESH als grundsätzlich bewiesen an. Es scheint, als ob die hier zusammengestellten Ergebnisse der ESH-Literatur und deren Schlussfolgerungen nicht wahrgenommen werden. Vielmehr fungiert die Evolutionsanschauung offenbar als Voraussetzung für alle Deutungen, und ein kritisches Hinterfragen dieser Voraussetzung scheint nicht zulässig zu sein.
Schließlich stellt der Autor auch einige Überlegungen zu einer alternativen Interpretation der Datenlage im Rahmen der Schöpfungslehre an. Gerade eine Reihe neuerer Befunde legt Planung und durchdachte Konstruktionen und Mechanismen nahe. Diese Befunde widerlegen einen häufig vorgebrachten Kritikpunkt am Konzept des „Intelligent Design“ (ID), dass nämlich dieser Ansatz Forschung verhindere. Das Gegenteil ist der Fall: Der ID-Ansatz braucht und fördert Forschung, weil nur dadurch Indizien für Planung gefunden werden können – oder auch nicht: der Ausgang ist – wie bei jedem wissenschaftlichen Ansatz – offen; der ID-Ansatz kann scheitern.
Der Autor schließt seinen Artikel mit der Feststellung: „Auch wenn die ESH weiterhin in einigen Aspekten einen guten und interessanten Erklärungsansatz bietet, weist sie doch erhebliche Schwächen auf und ist nicht als die einzig denkbare Hypothese zu verstehen.“
Autor dieser News: Studiengemeinschaft Wort und Wissen
© 2006, http://www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/n66.php
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