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Unintelligentes Design – Angebliche Evolutionsüberreste? (Auge, Rudimente…)

10.10.14 Abdominalknochen der Wale: Das Ende eines rudimentären Organs

Im Hinterleib der Wale und Delfine stecken paarige Knochen, die gewöhnlich als evolutionär bedingte Reste eines früheren Beckens von Landsäugetieren interpretiert werden. Beispiele wie diese werden oft auch als Argumente gegen Schöpfung verwendet. Dass diese Abdominalknochen nicht funktionslos sind, weil sie die Muskulatur der Geschlechtsorgane unterstützen, ist schon lange bekannt. Eine neue Studie offenbart darüber hinaus artspezifische Anpassungen, aus denen geschlossen werden kann, dass diese Knochen nicht als bloße Rückbildungen interpretiert werden können – erneut das Ende eines rudimentären Organs.

„Rudimentäre Organe“ spielen traditionell eine wichtige Rolle als Indizien für Evolution. Solche Organe gelten als rückentwickelt und funktionsschwach (oder sogar funktionslos) und werden einerseits als Belege für eine degenerative Evolution gewertet, andererseits vor allem als Argumente gegen eine planvolle Schöpfung ins Feld geführt: Ein Schöpfer würde keine unnützen Organe erschaffen; gibt es sie doch, spreche das gegen einen Schöpfer und damit für Evolution. Bereits Darwin hat auf diese Weise argumentiert.1 Dieses Argument ist aus mehreren Gründen fragwürdig (Junker 2002, Kapitel 6); es verliert aber besonders dann an Kraft, wenn eine für die vorhandene Struktur angemessene Funktion nachgewiesen werden kann. Denn spätestens dann ist die Behauptung hinfällig, es gebe „Pfusch am Bau“.

Ein Klassiker unter den rudimentären Organen sind die Abdominalknochen der Walartigen. Dabei handelt es sich um paarige Knochen, die sich ohne Verbindung zur Wirbelsäule im Hinterleib der Wale und Delfine befinden. Es wird gemeinhin argumentiert, dass auf dem evolutiven Weg vom Land ins Wasser die Knochen des ehemaligen Beckens und der Hinterbeine ihre Funktion verloren und sich zum heute noch vorhandenen Rest in Form der Abdominalknochen zurückgebildet hätten.

Dass die Abdominalknochen nicht funktionslos sind, ist schon länger bekannt (Yablokov 1974; Arvy 1976, Behrmann 1994). Sie unterstützen unter anderem die Muskeln, die den sehr beweglichen Walpenis kontrollieren, und sind daher überlebenswichtig. Entsprechend zeigen sie einen Sexualdimorphismus, d. h. sie sind bei Männchen und Weibchen unterschiedlich ausgebildet.

Abb. 1: Abdominalknochen des Skeletts eines Bartenwals. (nach Wikimedia: Meyers Konversionlexikon 1888, Gemeinfrei)

Eine neuere Untersuchung (Dines et al. 2014) unterstützt bisherige Befunde. Die Forscher untersuchten bei 130 Wal-Individuen aus 29 Arten Größe und Form der Abdominalknochen im Zusammenhang mit dem Paarungsverhalten.2 Dabei fanden sie heraus: 1. Männchen von Arten, bei denen es eine starke sexuelle Selektion gibt (die aus der relativen Größe der Hoden abgeleitet wird), besitzen einen relativ großen Penis und entsprechend einen relativ großen Abdominalknochen im Vergleich zur Körpergröße. 2. Die Form der Abdominalknochen zweier Arten ist umso verschiedener, je unterschiedlicher ihr Paarungsverhalten ist. Bei Rippenknochen, die als Referenz ebenfalls untersucht wurden, fanden sich diese Zusammenhänge nicht. Die Abdominalknochen können somit nicht als Reste bzw. Rudimente interpretiert werden, denn sie zeigen artspezifische Unterschiede und teilweise sogar eine relative Vergrößerung, was die Forscher evolutionär auf eine unterschiedlich stark ausgeprägte sexuelle Selektion zurückführen.3 Sie weisen am Ende ihres Artikels die Einstufung der Abdominalknochen der Wale als funktionslose Reste zurück; vielmehr seien sie eine kritische Komponente für die Fitness der Männchen und evtl. auch der Weibchen (Dines et al. 2014).4

Angesichts dieser Befunde macht es keinen Sinn mehr, die Abdominalknochen der Wale als Rudimente zu klassifizieren – es sei, denn man ändert die Definition für „rudimentäres Organ“: So schlägt Stephanie Keep vor, dann von Rudimentation zu sprechen, wenn die ursprüngliche Funktion verloren gegangen ist.5 Das aber führt zu einem inflationären Gebrauch des Begriffs „Rudiment“; selbst die Arme und Beine von Vierbeinern wären dann „rudimentär“. Vor allem aber ist die geänderte Definition nur anwendbar, wenn man Evolution und einen bestimmten Evolutionsverlauf voraussetzt; das Organ selber liefert keinen objektiven Anhaltspunkt für eine Rückbildung.

Das Beispiel der Abdominalknochen der Walartigen zeigt einmal mehr, dass zunehmende Kenntnisse über Form-/Funktions-Zusammenhänge die Liste mutmaßlicher rudimentärer Organe verkleinern. Aus dieser Liste musste kürzlich auch der Wurmfortsatz des Blinddarms endgültig gestrichen werden (vgl. Ullrich 2013).

Anmerkungen

1 „On the view of each organism with all its separate parts having been specially created, how utterly inexplicable is it that organs bearing the plain stamp of inutility… should so frequently occur“ (in: On the origin of species).

2 „Here we create a novel morphometric pipeline to analyze the size and shape evolution of pelvic bones from 130 individuals (29 species) in the context of inferred mating system“ (Abstract).

3 „This study provides evidence that sexual selection can affect internal anatomy that controls male genitalia“ (Abstract).

4 „Importantly, our study rejects a common assumption (mostly among non-cetacean biologists) that cetacean pelvic bones are “useless vestiges” (Curtis and Barnes 1989), and instead suggest they are a critical component of male, and possibly female, reproductive fitness.“

5 http://ncse.com/blog/2014/09/well-said-carl-zimmer-persistence-whale-hip-bones-0015864

Literatur

Arvy L (1976) Some critical remarks on the subject of the cetacean „girdles“. In: Pilleri G (ed) Investigations on Cetacea. Vol. VII. Bern.

Behrmann G (1994) Die Bewegungskoordination des Penis während der Kopulation beim Schweinswal Phocoena phocoena (Linné 1758). Säugetierkd. Inf. 3, 611-616.

Dines JP, Otárola-Castillo E, Ralph P, Alas J, Daley T, Smith AD & Dean MD (2014) Sexual selection targets cetacean pelvic bones. Evolution,doi: 10.1111/evo.12516

Junker R (2002) Ähnlichkeiten, Rudimente, Atavismen. Design-Fehler oder Design-Signale? Studium Integrale. Holzgerlingen.

Ullrich H (2013) Der Wurmfortsatz: Vom Nichtsnutz zum Mysterium. Stud. Integr. J. 20, 111-115.

Yablokov AV (1974) Variability of mammals. Amerind Publishing Co. Pvt. Ltd., New Delhi.

Autor dieser News: Reinhard Junker

© 2014, http://www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/n219.php

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14.07.14 Linsenaugen der Tintenfische und Wirbeltiere: Molekulare Konvergenzen

Die Linsenaugen von Tintenfischen und Wirbeltieren sind hinsichtlich ihres optischen Grundaufbaus erstaunlich ähnlich, aber aus evolutionsbiologischer Sicht sollen sie dennoch auf verschiedenen Wegen entstanden sein (Konvergenz). Vergleiche wichtiger Regulationsgene der Augenentwicklung zeigen ebenfalls große Ähnlichkeiten bei diesen Tiergruppen, so dass auch auf molekular-genetischer Ebene Konvergenzen angenommen werden müssen. Wie diese Ähnlichkeiten auf morphologischer und genetischer Ebene durch bekannte Mechanismen entstehen konnten, ist unklar. Unter Annahme von Evolution muss unerwartet gefolgert werden, dass die Entstehung der Linsenaugen in stammesgeschichtlich getrennten Linien auf zufällig identischen Bildungsprozessen beruht.

Das Linsenauge von Tintenfischen und Wirbeltieren ist ein Lehrbuchbeispiel für Konvergenz, das heißt für eine unabhängige Entstehung ähnlicher Konstruktionen in unterschiedlichen stammesgeschichtlichen Linien. In evolutionstheoretischer Interpretation heißt das: Ausgehend von Vorläuferformen, die kein Linsenauge besaßen, wurde auf getrennten Abstammungswegen aus einem einfachen Auge jeweils ein Linsenauge evolutiv entwickelt. Neben vielen Gemeinsamkeiten wie Augenlid, Hornhaut, Linse, Glaskörper, Iris oder Netzhaut weisen die beiden Linsenaugen-Typen bei Wirbeltieren und Tintenfischen aber auch einige deutliche Unterschiede auf. Beispielsweise entstehen die Augen in der Embryonalentwicklung auf verschiedene Weisen, die Netzhaut ist unterschiedlich konstruiert und die Versorgung und Entsorgung der Netzhautzellen ist unterschiedlich organisiert. Daher ist unstrittig, dass man beide Augen nicht als abstammungsverwandt (d. h. homolog) interpretieren kann, auch wenn die fertigen Konstruktionen insgesamt ähnlich sind.

Abb. 1: Pinnoctopus cordiformis gehört zu den Echten Kraken und hat ein Linsenauge. (Wikimedia: Brian Gratwicke – https://www.flickr.com/photos/briangratwicke/4892304294/, CC BY 2.0)

Kürzlich wurde jedoch in einer Studie gezeigt, dass tiefgreifende Ähnlichkeiten zwischen Linsenaugen von Tintenfischen und Wirbeltieren auf genetischer Ebene vorliegen (Yoshida et al. 2014). Zum Verständnis dieser Untersuchungen muss etwas ausgeholt werden.

Regulation durch Genschalter und „Gen-Verschaltungen“. Interessanterweise werden sehr viele Augentypen – seien sie so verschieden wie ein einfaches Becherauge, ein Komplexauge von Insekten, ein Spiegelteleskopauge oder ein Linsenauge – in ihrer embryonalen Entwicklung auf überraschend ähnliche Weise genetisch gesteuert. Das heißt: An der Spitze der genetischen Kaskade für eine individuelle Augenentwicklung im Organismus stehen bei Augen verschiedenster Arten sehr ähnliche Gene. Berühmt ist das Masterkontrollgen Pax-6 (bzw. auch als eyeless bei Insekten bezeichnet). Ohne Pax-6 kein Auge – bei fast allen Augen im Tierreich: Wirbeltieren, Insekten, Tintenfischen u. v. m. Aber natürlich macht Pax-6 alleine noch kein Auge; beim Menschen werden bei der Bildung des Auges etwa 2500 nachgeschaltete Gene genutzt; diese Gene werden aber erst aktiviert, wenn Pax-6 „angeschaltet“ wird. Pax-6 aus Wirbeltieren bzw. eyeless bei Fliegen sind so ähnlich, dass sie auch im jeweils anderen Organismus nach dessen Umtausch funktionieren. Das wurde in einem berühmten Experiment gezeigt: Eine Fliege bildete Augenstrukturen, nachdem einer Taufliegenlarve das Pax-6 einer Maus eingepflanzt wurde (Halder et al. 1995). Natürlich war das entstandene Auge ein insektentypisches Komplexauge und kein Linsenauge, denn das Pax-6 ist sozusagen nur der „An-Aus-Schalter“, genau wie das Fliegengen eyeless. Außer Pax-6 sind bei verschiedenen Tiergruppen noch weitere ähnliche Gene am Beginn der Augenentwicklung aktiv (s. u.). Es gehört zu einer der faszinierendsten Entdeckungen der Biologie, dass hier und bei vielen anderen Organen auch quer durchs Tierreich mit sehr ähnlichen genetischen Schaltern gearbeitet wird.

Wichtig zum weiteren Verständnis ist auch die Beobachtung, dass ein und dasselbe Gen mehrfach genutzt werden kann. Das heißt: In Abhängigkeit von zeitlichen und räumlichen Rahmenbedingungen wird ein Gen anders eingesetzt. (Auch hier bieten die Augen ein berühmtes Beispiel. Die Proteine zum Aufbau der Augenlinse sind sonst „gewöhnliche“ Enzyme im Zellstoffwechsel.) Gene werden bekanntlich in Proteine „übersetzt“. Dabei gibt es den Zwischenschritt einer Umschreibung der DNA in messenger RNA (mRNA). Nach dieser Umschreibung (Transkription) wird die mRNA noch „überarbeitet“ (sog. „processing“), d. h. es werden noch einige Stücke (sog. Introns), die nicht für Protein codieren, herausgeschnitten. Die verbleibenden codierenden Stücke (sog. Exons) werden wieder verknüpft und damit die fertige mRNA gebildet. Dieser Vorgang wird als „Spleißen“ bezeichnet. Erst danach erfolgt die Übersetzung der auf der gereiften mRNA vorhandenen genetischen Informationen in Proteine (Translation). Das Spleißen kann nun bei einem Gen auf unterschiedliche Weisen erfolgen, so dass zum Beispiel bestimmte Exons einmal mit entfernt werden oder in der fertigen mRNA verbleiben. Somit ist dasselbe Gen eine Vorlage für mehrere Genprodukte (nach dem Spleißen). Man spricht von Spleißvarianten eines Gens, verschiedene codierende Genabschnitte wurden unterschiedlich verschaltet – hier zeigt sich ein ausgeklügeltes System zur Mehrfachnutzung von Genen, was als Design-Indiz interpretiert werden kann.

Was hat dies mit den Linsenaugen von Tintenfischen und Wirbeltieren zu tun? Es ist schon länger bekannt, dass bei der Ausbildung des Wirbeltierauges am Beginn der Entwicklungskaskade vier Pax-6-Spleißvarianten genutzt werden, durch die jeweils andere nachgeschaltete Gene während spezifischer Zeitpunkte reguliert werden. Die Spleißvariante Pax-6(5a) hat zum Beispiel eine besondere Rolle bei der Bildung der Iris nach der Geburt und ist auch unverzichtbar für die korrekte Ausbildung von Hornhaut, Linse und Netzhaut. Der Einsatz der verschiedenen Spleißvarianten ist, wie oben erwähnt, zeitlich und räumlich verschieden. Dagegen wird bei Insekten nicht ein Gen unterschiedlich gespleißt, sondern bei ihnen sind mehrere, leicht unterschiedliche Pax-6-Gene (Duplikate) im Einsatz. Die genetisch abgelegten Spleißvarianten bei Wirbeltieren sollen sich evolutiv aus nur einem Pax-6 entwickelt haben und durch Neuverschaltung mit den untergeordneten Genen jeweils neue und spezifische Aufgaben übernommen haben.

Yoshida et al. (2014) fanden nun heraus, dass bei den Linsenaugen der Tintenfische genau wie bei den Wirbeltieraugen verschiedene Spleißvarianten von Pax-6 genutzt werden, und zwar insgesamt fünf, jedoch keine Duplikate wie bei den Insekten. Da sich die Spleißvarianten von denen der Wirbeltiere unterscheiden, schließen die Forscher, dass sich die Pax-6-Spleißvarianten der Tintenfische evolutionär unabhängig entwickelt haben. Erstaunlich ist aber, dass die unterschiedlichen Pax-6 Varianten wie bei den Wirbeltieren erzeugt werden, nämlich durch Spleißen, und dass sie genau wie die vier Spleißvarianten der Wirbeltiere bei der Augenentwicklung genutzt werden.

Kommentar. In evolutionstheoretischer Deutung muss dieser Befund auf eine konvergente Entstehung auf molekular-genetischer Ebene zurückgeführt werden. Das ist eine erstaunliche und unerwartete Konstellation, auch wenn die jeweiligen Spleißvarianten verschieden sind. Denn die erstmalige Entstehung einer neuen funktionalen Spleißvariante und insbesondere ihre Neuverschaltung mit anderen, nachgeschalteten Genen – zudem in mehrfachem Kontext, wie das oben genannten Beispiel Pax-6(5a) zeigt – ist schon an sich bei einmaliger Entstehung keine Kleinigkeit und dürfte viele Teilschritte erfordern, die aufeinander abgestimmt sein müssten. Wie das über bekannte Variationsprozesse möglich sein könnte, ist kein Gegenstand des Artikels von Yoshida et al. (2014) und mit gegenwärtigem Wissen vermutlich auch nicht beantwortbar.

Darüber hinaus sollen evolutionär sowohl bei den Wirbeltieren als auch bei den Tintenfischen mehrere Spleißvarianten entstanden und in die Gesamtregulation der frühen Augenentwicklung eingebunden worden sein. Diese evolutionären Entwicklungsschritte müssten mehrfach konvergent bei Tintenfischen und Wirbeltieren abgelaufen sein.

Yoshida et al. (2014) schildern in ihrem Artikel ihre Befunde in einer Weise, als sei die Entstehung und Einbindung der Spleißvarianten ein selbstverständlicher evolutionärer Prozess. Das hat sich zwar allgemein eingebürgert, dennoch muss in solchen Fällen immer wieder auf zwei Dinge hingewiesen werden: 1. Vergleichend-biologische Analysen – wie die von Yoshida et al. (2014) durchgeführten vergleichend-molekularen Untersuchungen – ermöglichen keine Aussage über die Mechanismen, die zu den beobachteten Ähnlichkeiten und Unterschieden geführt haben. Man kann an dieser Stelle höchstens mehr oder weniger gut begründbare und damit immer hypothetische Mechanismen vorschlagen. 2. Unter der Voraussetzung von Evolution kann gefolgert werden, dass es einen evolutiven Weg gab; ob er aber mechanistisch plausibel ist oder gar experimentell nachvollzogen werden kann, muss eigens untersucht werden. Das experimentell belegte Wissen über Neuverschaltung von Genen ist bislang – gemessen am Erklärungsziel – kaum vorhanden (vgl. Rebeiz et al. [2011] und die Zusammenfassung ihrer Ergebnisse bei Junker [2012]). Wie also Neuverschaltungen von Spleißvarianten des Pax-6-Gens bei Tintenfischen und Wirbeltieren zustande kamen (so sie denn überhaupt evolutionär entstanden sind), bleibt ungeklärt.

Literatur

Halder H, Callaerts P & Gehring WJ (1995) Induction of ectopic eyes by targeted expression of the eyeless gene in Drosophila. Science 267, 1788-1792.

Junker R (2012) Wieviel Evolution ist durch Kooption möglich? Genesisnet-News, http://www.genesisnet.info/index.php?News=189

Rebeiz M, Jikomes N, Kassner VA & Carroll SB (2011) Evolutionary origin of a novel gene expression pattern through co-option of the latent activities of existing regulatory sequences. Proc. Natl. Scad. Sci. 108, 10036-10043.

Yoshida M, Yura K & Ogura A (2014) Cephalopod eye evolution was modulated by the acquisition of Pax-6 splicing variants. Sci. Rep. 4:4256, doi: 10.1038/srep04256

Autor dieser News: Reinhard Junker

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27.05.10 Fehler im menschlichen Erbgut?

Das menschliche Genom: bewusst geschaffen oder Produkt natürlicher Prozesse – Bemerkungen zu einer Diskussion

Im Zusammenhang mit den Diskussionen um „Intelligent Design“ (ID) wurden in einer Veröffentlichung genetische Ursachen für Krankheitserscheinungen beim Menschen als Argument für eine natürliche ungeplante Entstehung des menschlichen Genoms vorgetragen. Die Publikation hat in Journalen und im Internet Resonanz hervorgerufen. In diesem Beitrag werden Argumente kritisch geprüft und abschließend ein Vorschlag für naturwissenschaftliche Beiträge zur Diskussion um ID unterbreitet.

Die Diskussionen um „Intelligent Design“ (ID) laufen nun bereits seit einigen Jahren und je nachdem, was man der ID-Bewegung zurechnet, auch bereits Jahrzehnte. Dabei können diese Diskussionen als Beispiel dafür gelten, wie schnell ideologische, weltanschauliche Aspekte den Umgang von Naturwissenschaftlern prägen, die unterschiedliche Positionen vertreten. Bei allen Beteiligten kann man häufig feststellen, dass die Argumente der anderen Partei nur selektiv wahrgenommen werden und wenig Interesse besteht, deren Potential zu erfassen. Die Grenzen zwischen Naturwissenschaft, Philosophie und Religion werden oft nicht beachtet und ignoriert, mit der Folge, dass diese Bereiche unsensibel und mit weitreichenden Konsequenzen miteinander vermischt werden.

Ein aktuelles Beispiel liefert die Veröffentlichung des Genetikers John C. Avise über Befunde aus dem menschlichen Genom (Ergbut), die er als starke Hinweise für natürliche Entstehung (evolutive Prozesse, v. a. ungerichtete, zufällige Änderungen im Genom und der natürlichen Selektion) interpretiert. Die Argumentation von Avise beruht auf der mutmaßlichen Unvollkommenheit des menschlichen Genoms, dessen Mängel und der dadurch verursachten gesundheitlichen Probleme für Menschen. Wenn Avise die Entdeckungen von kausalen Zusammenhängen von angeborenen Krankheitsbildern als aufgeklärte Erfolgsgeschichte der Medizin darstellt, die traditionelle religiöse Erklärungen ersetzten und so medizinischen Fortschritt ermöglichten, dann erscheint dies ziemlich einseitig. Er weiß, dass in der Medizingeschichte auch Personen beteiligt waren, die die Zusammenhänge zwischen mikrobiellen Infektionen oder molekularbiologischen Besonderheiten und entsprechenden Krankheitsbildern erforscht haben und für die das kein Widerspruch dazu war, dass sie an einen Gott glaubten, der Himmel und Erde geschaffen hat (z. B. Francis Collins, Leiter des Humangenomprojekts, derzeit Direktor des NIH, USA). Zudem bedeuten wachsende Einsichten in funktionelle Zusammenhänge (z. B. zwischen Genom und Dispositionen für Krankheiten) noch nicht weitere Erkenntnisse über die Entstehung des menschlichen Erbguts.

Mängel des Erbguts? Avise listet Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem menschlichen Genom auf: Es sind Mutationen in vermutlich allen ca. 24 000 Genen bekannt, die für Proteine codieren und die negative Auswirkungen auf die Entwicklung und Gesundheit des Menschen haben. Er erwähnt weiter die Probleme, die durch das sogenannten Spleißen, also das Zerstückeln und erneute Zusammensetzen von DNA-Abschnitten (Exons und Introns) verursacht werden. Außerdem führt er komplizierte Mechanismen der Regulation von Genen an, mitochondriale DNA, Genduplikation und Pseudogene, mobile DNA-Elemente im menschlichen Genom, die beim Auftreten von Fehlern verheerende Auswirkungen für den Menschen haben können.

Avise sieht in der Struktur des menschlichen Genoms und dessen Regulation in manchen Bereichen eine unnötige und überflüssige Komplexität und fehleranfällige Konstellationen. Nach seiner Ansicht handelt es sich dabei um fehlerhaftes Design und dies ist für ihn nicht mit verträglich mit seiner Vorstellung eines Schöpfergottes. Der Autor führt tabellarisch einige Gründe an, warum und wie evolutionäre Veränderungen zu suboptimalen Ergebnissen führen können. Darin sieht er natürliche, evolutionäre Erklärungsversuche denjenigen überlegen, die von einem bewussten Erschaffen ausgehen. Dabei unterschlägt Avise jedoch, dass eigentlich das Zustandekommen des komplexen Systems des menschlichen Genoms zu erklären ist und nicht vor allem die heute darin bekannten Defekte. Mit einem rationalen Verständnis der Entstehungsweise von genetischen Dysfunktionen sind weder das Erbgut des Menschen noch dessen mögliche Entstehung auch nur annähernd erklärt. Wenn Avise schreibt, dass es Spleiß-Prozesse gibt, die auch zu fatalen Schädigungen für die betroffenen Menschen führen können, dann verschweigt er, dass genau diese Vorgänge auch zu einem Phänomen gehören, das wir als „überlappende Gene“ kennen (wenn auch bei weitem noch nicht verstanden haben). Dieses verbreitete Phänomen stellt natürliche Erklärungsversuche einerseits vor große Herausforderungen stellt und legt andererseits den Gedanken an Planung nahe.

Theologie in einem Naturwissenschafts-Journal. Man kann nur darüber spekulieren, was den Autor und auch die Gutachter dazu bewogen hat, in einer naturwissenschaftlichen Zeitschrift (bzw. auf dem vorgängigen A. M. Sackler-Colloquium „Iin the Light of Evolution IV: The Human Condition“) einen Beitrag aufzunehmen, in dem naturwissenschaftliche und theologische Aspekte derart eng (und oft ziemlich undifferenziert) miteinander verwoben sind. So skizziert Avise das Thema „Theodizee“ (die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts der Ungerechtigkeit und des Leids in der Welt) und gibt vor, dass mit einer natürlichen Erklärung der Krankheiten und körperlichen Defekte des Menschen diese Frage sich gar nicht mehr stelle, weil man keinen Schöpfergott mehr dafür verantwortlich machen müsste.

Was den Autor dazu veranlasst, abschließend für eine Verbindung zwischen den etablierten Religionen („mainstream religions“) und Evolutionsforschung („evolution sciences“) und gegen Vorstellungen von einem Schöpfergott („creationism“ und „intelligent design“) zu werben, bleibt sein Geheimnis. Es bleibt aber zu hoffen, dass die oft und mit guten Gründen geforderte methodische Trennung und Unterscheidung zwischen metaphysischen Aussagen und naturwissenschaftlichen Daten und Argumentationen nicht einäugig beurteilt und eingefordert wird.

David Tyler (2010) schreibt in einer Reaktion auf den Artikel von Avise, dass dieser behauptet, dass das menschliche Genom Merkmale aufweise, die auf einen unbewussten (also rein natürlichen) Ursprung hinweisen und dass die bekannten evolutionären Mechanismen diese perfekt erklären könnten. Das hat Avise in seinem Beitrag an keiner Stelle explizit so behauptet und sollte ihm auch nicht unterstellt werden. Richtig bemerkt Tyler aber, dass nicht vor allem die Fehler erklärt werden müssen, sondern das vorhandene komplexe System des menschlichen Genoms, d. h. die Diskussion sollten nicht auf Nebenschauplätzen geführt, sondern auf die relevanten Aspekte fokussiert werden. Ihm ist auch darin Recht zu geben, dass Avise im Blick auf die kritisierte ID-Position nicht naturwissenschaftlich, sondern theologisch argumentiert (nämlich mit seinen Vorstellungen im Zusammenhang der Möglichkeiten und Grenzen eines allmächtigen und gerechten Schöpfergottes).

  1. Ball (2010), der den Beitrag von Avise in einer Kolumne von Nature aufnimmt, ist sicher zuzustimmen, wenn er schreibt, dass man – und das sollte für alle an der Diskussion Beteiligten gelten – darauf achten sollte, dass derzeit noch unverstandene und unerklärte Phänomene nicht vorschnell als Argument für die eigene und gegen alternative Positionen interpretiert und verwendet werden sollten. Man könnte sonst wie z. B. im Zusammenhang mit der zunächst so genannten „Junk-DNA“ allzu schnell in Schwierigkeiten geraten und zum unrühmlichen Rückzug gezwungen sein.

Wie kann weiter geforscht werden? Könnte man die hier angesprochenen Befunde aus der Perspektive unterschiedlicher Standpunkte auch methodisch geordnet naturwissenschaftlich weiterführen? Hier soll abschließend ein Vorschlag skizziert werden: im Blick auf menschliche – aber auch andere – Genome erleben wir gegenwärtig eine erstaunliche Dynamik und einen dramatischen Zuwachs an Daten. Naturalistische, bzw. evolutionäre Erklärungsansätze würden erwarten lassen, dass sich die gegenwärtig wahrnehmbare und dokumentierte Komplexität von Genomen, deren Funktion und Regulation durch ungerichtete Prozesse entstanden sind und damit den Eindruck eines „Zusammengebasteltseins“ (tinkering) erwecken. Von einem Standpunkt, der von einer effektiven Art von Schöpfung ausgeht (mit sekundären Zerfallserscheinungen) würde man in den genetischen Systemen bei aller Fehlerhaftigkeit Spuren eines zugrunde liegenden „genialen“ Gesamtkonzeptes erwarten. Wer redlich an einer Diskussion und Klärung unterschiedlicher metaphysischer Positionen und deren Auswirkung in die Naturwissenschaft hinein interessiert ist, findet hier ein reiches Betätigungs- und Forschungsfeld.

Was die redlichen Diskussionen betrifft, so können wir auch heute – wie Avise das (in anderer Absicht) in seinem Beitrag andeutet – von einflussreichen Philosophen (wie beispielsweise Sokrates und Hume) lernen. Sie haben sehr sorgfältig Dialoge konstruiert, in denen sie Vertreter der verschiedenen Schulen und Standpunkte auftreten und mit den jeweils besten Argumenten ins Gespräch kommen ließen. Wer wirklich am Gewinnen neuer Erkenntnisse interessiert ist, findet in diesen historischen Personen nachahmenswerte Beispiele.

Quellen

Avise JC (2010) Footprints of nonsentient design inside the human genome. Proc. Nat. Acad. Sci. USA 107, 8969-8976.

Ball P (2010) What a shoddy piece of work is man. Nature doi:10.1038/news.2010.215.

Tyler D (2010) Does the human genome have “serious molecular shortcomings”? http://www.arn.org/blogs/index.php/literature/2010/05/07/.

Zum Design-Argument siehe: Einführung in „Intelligent-Design“, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=1621&Sprache=de&l=1.

Zum Theodizee-Problem siehe: Das Theodizee-Problem, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=2044&Sprache=de&l=1.

Autor dieser News: Harald Binder

© 2010, http://www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/n150.php

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08.01.08 „Augenblicke“ – raffiniertes Design der Linsenaugen

Die Herausbildung des Wirbeltierauges während der Ontogenese (= individuelle Entwicklung) ist wie jedes andere Detail der Individualentwicklung ein atemberaubender Prozess. Vielschichtig vernetzte Interaktionen auf molekulargenetischer, zellulärer, histologischer und organischer Ebene tragen dazu bei, dass dieses funktionell und anatomisch beeindruckende Sinnesorgan entsteht. Hemminger geht relativ ausführlich in seiner Schrift „Mit der Bibel gegen die Evolution“ (EZW-Text 195, veröffentlicht im Dezember 2007) auf die Entwicklung und den Aufbau des Wirbeltierauges ein, und kommt dabei zu einer in den letzten Jahren wiederholt vorgetragenen Ansicht: „Im Falle des Wirbeltierauges ist dieser Entwicklungsweg alles Andere als ‚intelligent’, denn er führt dazu, dass die lichtempfindliche Zellschicht im Augapfel hinten liegt, …, was die Bildschärfe verringert“ (S. 12). Diese wenig sinnvoll erscheinende, inverse (= umgedrehte) Konstruktion der Netzhaut bestätigt für Hemminger zweierlei: die Richtigkeit der Abstammungslehre und die Nichtexistenz von gezielter intelligenter Planung in der Natur. Dass diese Art von Schlussfolgerungen wissenschaftstheoretisch schlichte Kategoriefehler darstellen und aus wissenschaftlicher Sicht nicht belegbar sind, macht eine aktuelle Entdeckung des zellulären Feinaufbaus der Netzhaut erneut deutlich.

Alles klar?

Während Charles Darwin vor knapp 150 Jahren einerseits zuversichtlich, aber doch mit der ihm eigenen Zurückhaltung über die Möglichkeit der Evolution des Auges schrieb, wird heute vielfach die Evolution der Augen als geklärt und in Einzelschritten belegbar präsentiert. So schreibt zum Beispiel Kutschera (2006, S. 231): „Durch vergleichende anatomische Studien der Augen-Varianten innerhalb rezenter Populationen (Tierarten) und systematische Homologisierung dieser Strukturen konnte die Evolution der Augen Schritt für Schritt rekonstruiert werden (z. B. bei Weichtieren, Stamm Mollusca).“

Eine evolutionäre Rekonstruktion kann jedoch nicht allein durch das Aufstellen von Ähnlichkeitsreihen begründet werden. Vielmehr müssen auch die für den Wandel verantwortlichen Mechanismen offengelegt werden (vgl. Gutmann 1996, 2005). Das wird häufig ausgeblendet. Evolutionäre Rekonstruktionen, die nur auf vergleichend-anatomisch bzw. molekulargenetischen Daten beruhen und in die Evolution als bereits vorausgesetzter Tatbestand eingehen, repräsentieren nach Gutmann einen der zentralen methodischen Grundwidersprüche (1996, 81) der Synthetischen Theorie der Evolution: ihre nicht zu durchbrechende argumentative Zirkularität! Außer diesen wissenschaftstheoretischen Schwächen sind auch bereits diskutierten inhaltliche Anfragen an bisher vorgetragene Argumente für eine Evolution der Augen unverändert brisant (Winkler & Ullrich 2000, Ullrich et al. 2006).

Nicht verstandene biologische Strukturen – kein Argument für Evolution!

Ein häufig genutztes Argument, um Evolution als Naturtatsache plausibel zu machen, basiert auf dem Nachweis von stammesgeschichtlichen „Altlasten” in biologischen Strukturen, wie z. B. im Wirbeltierauge. Diese „Spuren der Evolution” seien u.a. an einer suboptimalen funktionellen anatomischen Lösung oder durch „Funktionslosigkeit” vorhandener anatomischer Strukturen erkennbar. „Das menschliche Sehen…”, so behauptet Hemminger, „…ist deshalb ein geradezu klassisches Beispiel für ein (in der Summe erfolgreiches) ‚Herumbasteln’ der Evolution an unserem wichtigsten Sinnesorgan“ (S. 13). Ähnlich argumentiert auch Neukamm (2006): „Evolution ist eine Serie erfolgreicher Kompromisse, auch wenn allzu oft nur irreparabel verbaute Anpassungen zustande kommen.” Unter Bezugnahme auf die inverse Lage der Sinneszellen in der Netzhaut bei Wirbeltieraugen liest man weiter: „Nun weisen Ullrich et al. darauf hin, dass die räumliche Nähe bestimmter Zellschichten zum Außensegment der Fotorezeptoren für die Regeneration und Funktion der Netzhaut ‚unerlässlich’ sei. Dies klingt, als wüssten die Autoren über alle hypothetisch denkbaren und undenkbaren Konstruktionen genauestens Bescheid. Selbst wenn wir einmal annehmen, dass ihre Behauptung stimmt, erklärt sich dadurch aber nicht, warum die Sehzellen dem Licht abgewandt sind.“

Zwei Ebenen wissenschaftlicher Beschreibungsdiskurse werden hier argumentativ vermengt. Das Gelingen oder das Scheitern von funktionellen Erklärungen biologischer Strukturen, in unserem Beispiel also der invers aufgebauten Netzhaut, trägt nichts dazu bei, eine bestimmte Entstehungstheorie (die das „wie des woher” erklären möchte) zu favorisieren. Das große Potential der funktionell orientiert arbeitenden Biologie liegt ja gerade darin, dass biochemische und physiologische Aussagen prinzipiell formulierbar sind, ohne auf eine einzige evolutionsbiologische zurückgreifen zu müssen (Gutmann 2005, 259; Entsprechendes gilt auch für eine Bezugnahme auf „Schöpfung“). Erst das durch die biologische Grundlagenforschung gewonnene Beschreibungswissen von Strukturen, Organen oder Organismen liefert das Material für die methodologisch immer nachgeordneten hypothetischen Rekonstruktionen ihrer Entstehung. Die zunehmende Kenntnis biologischer Sachverhalte, die wir „unter Nutzung nicht evolutionären Wissens“ erwerben, wird zur ständigen Herausforderung für evolutionsbiologische Deutungen. Und das gilt umso mehr, wenn bislang scheinbar nur evolutionsbiologisch verständlich zu machende „Altlasten” eine solide funktionelle Erklärung gefunden haben. (Gutmann [2005, 260] versteht unter nicht evolutionärem Wissen alle genetischen, embryologischen, cytologischen, biochemischen, physiologischen, taxonomischen Beschreibungen des Lebens.)
Zellfortsätze dienen als perfekte Lichtleiter

Biologische Zellen sind meist transparent, aber Licht, welches durch sie hindurch tritt, wird gebrochen, reflektiert oder gestreut. Die Lichtsinneszellen bei Wirbeltieraugen liegen an der dem Licht abgewandten Seite des Schichtpaketes der Netzhaut (inverse Lage), was zu einer Streuung, Schwächung und Verzerrung des eintretenden Lichtes führen müsste (vgl. Abb. 1). Erstaunlicherweise beträgt der tatsächlich hervorgerufene Verlustanteil aber nur 1-5% des auf die Netzhaut auftreffenden Lichtes (Franzke 2007).

Abb. 1: Schematisches Diagramm einer Wirbeltier-Retina (Netzhaut). Der Pfeil zeigt die Richtung des einfallenden Lichts an. A Amakrine Zelle, B Biploar-Zelle, G Ganglienzelle, H Horizontalzelle, S Stäbchen, Z Zapfen. (Nach Adler & Farber 1986). Die Müller Zellen sind hier nicht mit dargestellt.

Sinnesphysiologische Untersuchungen belegen weiterhin eine hohe und präzise Sensibilität und Abbildungsschärfe des optischen Systems im Wirbeltierauge, die denen von digitalen Kameras weit überlegen ist. Der biochemische und elektrophysiologische Prozess zur Umwandlung von Lichtenergie in winzige Membranströme, die dann über die Nervenbahnen als entsprechend getriggerte Impulse an das Gehirn weitergereicht werden, dokumentiert eine bis auf die Mikroebenen nachweisbare hohe systemische Vernetzung und Feinjustierung des Sehvorganges. Die embryonale Entwicklung der Netzhaut im Wechselspiel mit der Herausbildung des Gehirns und des Gesichtes sowie die bereits angesprochenen ernährungsphysiologischen Aspekte stellen alles andere als eine Kompromisslösung dar (vgl. Ullrich et al. 2006). Wie gelingt es also dem Auge, trotz oder gerade mit dem vermeintlichen Konstruktionsfehler der inversen Netzhaut diese Leistungsfähigkeit zu garantieren?

Eine Arbeitsgruppe um K. Franzke vom Leipziger Institut für Hirnforschung konnte durch ausgeklügelte Messreihen mit phototechnischen Spezialinstrumenten an der Netzhaut von Schweinen klären, warum die Lichtstrahlen beim Durchtritt durch die Netzhaut bis zum Erreichen der Sinneszellen nicht die erwartete Abschwächung und Streuung erfahren. Den Schlüssel liefert eine besondere Zellgruppe des Nervensystems: die so genannten Glia-Zellen. Sie bilden mit den Neuronen (den eigentlichen Nervenzellen) das Hirngewebe bzw. das Gewebe des Rückenmarks. Ihr Anteil an der Gesamtzellmasse des Nervengewebes beim Menschen beträgt beachtliche 50%. Schätzungen gehen davon aus, dass ihre Anzahl ca. 10-50 mal höher ist als die der Neuronen. Glia-Zellen entpuppen sich mehr und mehr als Multifunktionstalente. Sie formen das strukturelle Stützgerüst für die Nervenzellen. Weiterhin sorgen Glia-Zellen für die gegenseitige elektrische Isolation und Abschirmung der Neuronen und Nervenfasern, ihre Versorgung mit Nährstoffen und den Abtransport von Stoffwechselendprodukten. Auch ihre Beteiligung an den Prozessen der Infektionsabwehr sowie der Informationsverarbeitung, -speicherung und -weiterleitung im Nervensystem konnte in den letzten Jahren bestätigt werden.

In der Netzhaut des Wirbeltierauges, die einer Art ausgestülptem Anteil des Gehirns entspricht, findet sich eine besondere Gruppe von Glia-Zellen. Diese sog. Müller-Zellen nehmen etwa 20% des Gesamtzellvolumens der Netzhaut ein (Abb. dazu siehe Franzke et al. 2007; Link am Ende des Artikels). Neben den o.g. Funktionen von Glia-Zellen dienen zusätzlich röhrenartig gestaltete Zellfortsätze der Müller-Zellen, wie Franzke et al. nachweisen konnten, als optische Lichtleiter. Die angesprochenen Fortsätze verlaufen senkrecht zur Oberfläche der Netzhaut und damit parallel zum Lichteinfall und zeigen eine in Richtung der Sinneszellen (Stäbchen, Zapfen) zunehmende trichterförmige Einengung. Die auf diese Weise erreichte Optimierung der Refraktion (Fähigkeit des scharfen Sehens) und der Vermeidung von Rückreflexion und Streuung des Lichtes verleiht diesen Zellen nach Ansicht der Autoren zu Recht den Titel von „ingeniously designed light collectors“ – geistreich designten Lichtsammlern. Im Durchschnitt ist jede Müller-Zelle bei Säugetieren auf diese Weise mit jeweils einer Zapfenzelle (verantwortlich für das Farbsehen und das scharfe Sehen unter Bedingungen bei Tageslicht) verbunden. Die Anzahl der mit den Müller-Zellen verbundenen Stäbchenzellen (verantwortlich für das Sehen unter Bedingungen bei Dämmerung und Dunkelheit) ist artspezifisch verschieden. Beim Menschen wie beim Schwein werden ca. 10 Stäbchenzellen über eine Müllerzelle effektiv mit Licht „versorgt“.

Mythos „Konstruktionsfehler“

Die durch Franzke et al. beschriebenen Funktionen der Müller-Zellen zeigen eindrucksvoll, dass auch die inverse Retina (Netzhaut) für sich selbst als ein optimiertes optisches System beurteilt werden muss. Die Retina ist darüber hinaus integraler Bestandteil in einem anatomisch und funktionell hochleistungsfähigen System.

Nicht nachvollziehbar ist es, dass Hemminger in dem o.g. Text einerseits auf diese Entdeckung von Franzke hinweist, aber dennoch beharrlich dabei bleibt, die Retina mit Struktur- und Funktionsmängeln behaftet zu präsentieren. Die jetzt bekannten empirischen Fakten entziehen einer solchen Argumentation die Grundlage. Der durch wissenschaftliche Erkenntnislücken bisher am Leben erhaltene Mythos vom „Konstruktionsfehler“ des Wirbeltierauges ist damit nicht mehr nötig, um die Funktion und den Aufbau der Netzhaut, die sich „ingeniously designed“ präsentiert, zu charakterisieren.

Die Evolutionsbiologie wird so ein weiteres Mal durch den Erkenntnisfortschritt herausgefordert, plausible Erklärungen ihrer Grundthese zu geben, dass biologische Strukturen wie die Netzhaut zwar „designt“ erscheinen, aber dennoch nicht designt seien. Die Inanspruchnahme von Nichtwissen funktioneller Zusammenhänge erweist sich dabei wohl als das schlechteste aller möglichen Argumente.

Literatur

Fernald RD (2006) Casting a Genetic Light on the Evolution of Eyes. Science 313, 1914-1918.

Franze K et. al. (2007) Müller cells are living optical fibers in the vertebrate retina. Proc. Natl. Acad. Sci. 104, 8287-8292. (online frei verfügbar: http://www.pnas.org/cgi/reprint/104/20/8287)

Gutmann M (1996) Die Evolutionstheorie und ihr Gegenstand. Berlin: Verlag für Wissenschaft und Bildung.

Gutmann M (2005) Begründungsstrukturen von Evolutionstheorien. In: Krohs U & Toepfer G (Hg) Philosophie der Biologie. Frankfurt/M, S. 249-266.

Hemminger H (2007) Mit der Bibel gegen die Evolution. EZW-Texte Nr. 195. Berlin.

Kutschera U (2006) Evolutionsbiologie. Stuttgart.

Neuhaus K & Ullrich H (2000) Das Wirbeltierauge – Ein Konstruktionsfehler ohne funktionellen Sinn? Studium Integrale Journal 7, 3-11. (http://www.si-journal.de/index2.php?artikel=jg7/heft1/sij71-1.html)

Neukamm M (2006) Das Auge und die inverse Lage der Netzhaut – ein Design-Signal? http://www.evolutionsbiologen.de/inversauge.html

Ullrich H, Winkler N & Junker R (2006) Zankapfel Auge. Ein Paradebeispiel für „Intelligent Design” in der Kritik. Studium Integrale Journal 13, 3-14. (http://www.si-journal.de/index2.php?artikel=jg13/heft1/sij131-1.html)

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17.12.07 Der Wurmfortsatz als Rettungsstation

Eines der schlagkräftigsten und meistgenannten Argumente gegen das Verständnis der belebten Welt als „Schöpfung“ ist die Existenz nutzloser oder gar schädlicher Organe, die als evolutionär rückgebildet (rudimentär) gedeutet werden (vgl. Rudimentäre Organe, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41303&Sprache=de&l=1). Solche vermeintlichen Konstruktionsfehler bei den Lebewesen besitzen eine starke Suggestivwirkung; das Argument ist leicht eingängig und oft nur mit großem Aufwand schlüssig zu widerlegen (vgl. Ullrich et al. 2006 zum Bau des Linsenauges der Wirbeltiere, online: https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41303&Sprache=de&l=1). Von den Texten auf Genesisnet ist der Artikel über „Rudimentäre Organe“ ( https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41303&Sprache=de&l=1) fast jeden Monat unter den Top Ten der am meisten aufgerufenen Artikel. Unter den rudimentären Organen dürfte der Wurmfortsatz (Appendix) des menschlichen Blinddarms das populärste Beispiel sein. Etwa 1/7 der Europäer bereitet dieses 5-10 cm lange und 0,5 -1 cm dicke Anhängsel des Blinddarms so ernsthafte Probleme, dass eine operative Entfernung notwendig ist. Ohne Einsatz von Antibiotika war früher ein durchbrochener entzündeter Wurmfortsatz akut lebensbedrohlich. Der Nutzen dieses Gebildes schien dagegen unerheblich zu sein, wenn überhaupt davon gesprochen werden konnte. Kein Wunder also, dass der Wurmfortsatz als Paradebeispiel gegen eine durchdachte, geplante Schöpfung galt.

Allerdings gab es schon länger Zweifel daran, dass der Wurmfortsatz des Menschen rückgebildet sei. Der Grund: Der Bau der menschlichen Appendix ist einzigartig, und die meisten Säugetiere besitzen keinen Wurmfortsatz, auch nicht die als nächste Verwandte des Menschen geltenden Großaffen. Er ist sonst nur noch vom Kaninchen und zwei Beuteltierarten (Opossum und Wombat) bekannt (Bollinger et al. 2007). Wie kann er unter diesen Umständen rückgebildet sein? „Das sporadische Vorkommen der Appendix in der Stammesgeschichte dürfte nahelegen, dass diese Struktur eher evolutionär abgeleitet ist und einer spezifischen Funktion dient, als in ihr ein bloßes Überbleibsel eines vormals wichtigen Verdauungsorgans zu sehen“ (Bollinger et al. 2007, 827).

Aufgrund seiner Verbindung mit lymphatischem Gewebe wurde der Appendix eine Funktion in der Immunabwehr zugeschrieben, diesem Umstand verdankt dieses Gebilde seine gelegentliche Bezeichnung als „Dickdarmmandel“. Allerdings war die genaue Funktion bis vor kurzem unklar. Aus diesem Grund hat sich vermutlich die Idee gehalten, es handle sich beim Wurmfortsatz um eine Rückbildung; so Bollinger et al. (2007).

Eine Studie der amerikanischen Forscher William Parker und Mitarbeiter kam bezüglich der Funktion des Wurmfortsatzes nun zu interessanten Ergebnissen. Sie fanden heraus, dass die Appendix des Menschen eine Art Zufluchtsort („safe house“) und Rettungsstation für symbiotische Bakterien darstellt, die das Wachstum nützlicher Darmbakterien fördert und bei durchfallbedingten Darmentleerungen die Wiederbesiedlung mit diesen Bakterien ermöglicht bzw. erleichtert (Bollinger et al. 2007). Diesen Bakterien fällt die Aufgabe zu, die Ausbreitung gefährlicher Krankheitserreger im menschlichen Verdauungstrakt zu verhindern, was besonders nach Durchfallerkrankungen sehr wichtig ist.

Die Forscher entdeckten diese Zusammenhänge, als sie das Zusammenleben der verschiedenen Bakterien im Darm untersuchten. Der menschliche Darm trägt an der Innenseite eine Art Biofilm, der sich aus Bakterien, Schleim und Substanzen des Immunsystems zusammensetzt. Im Appendix ist er besonders stark ausgeprägt. Bei Durchfallerkrankungen geht dieser Biofilm großen Teilen des Verdauungstrakts verloren. Eine Zuflucht finden die nützlichen Bakterien jedoch im Wurmfortsatz und können so die Erkrankungen überstehen, um anschließend den Darm wieder zu besiedeln und ihre Schutzwirkung neu zu entfalten. Beispielsweise verhindern sie, dass sich gefährliche Bakterien niederlassen.

Angesichts der Tatsache, dass der Wurmfortsatz eine solch bedeutende Funktion besitzt, stellt sich die Frage, warum seine operative Entfernung keine nennenswerten Nachteile hat. Die Forscher erklären dies damit, dass in Ländern mit hohen hygienischen Standards der Schutz durch die gutartigen Bakterien des Wurmfortsatzes nicht mehr notwendig sei. Die nützlichen Bakterien des Wurmfortsatzes kommen dort kaum zum Einsatz. Daher werde auch das Immunsystem zu wenig stimuliert, so dass es zu Überreaktionen neige. Das verursache Entzündungen des Wurmfortsatzes, die allerdings auch durch bestimmte Essgewohnheiten gefördert werden.

Nach der Wissenschaftlergruppe legt der Funktionsnachweis der Appendix die Schlussfolgerung nahe, dass es sich nicht um ein rückgebildetes Organ handelt. Vielmehr ist der Wurmfortsatz für eine bedeutsame Funktion offensichtlich optimal eingerichtet. Der Wurmfortsatz hat damit eine eindrucksvolle Karriere vom nutzlosen, ja gefährlichen Überbleibsel zum optimal konstruierten Organ hinter sich.

Das steht auch in Übereinstimmung mit den (eingangs erwähnten) vergleichenden Befunden (seltenes Vorkommen der Appendix, dazu nur in Säugetiergruppen, die nicht als nahe Verwandte des Menschen gelten).

Eine von Anderson et al. bereits 2001 gemachte Beobachtung, dass Patienten mit einer immunologisch bedingten chronisch entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) von einer Appendektomie (Entfernung des Wurmfortsatzes) vor dem 20. Lebensjahr profitieren, unterstützt die hier von Parker belegte funktionelle Bedeutung der Appendix. Bei der genannten Erkrankung kommt es durch autoimmun bedingte Mechanismen zu einer Selbstzerstörung der Darmschleimhaut, die damit hochgradig anfällig für Entzündungen wird. In diesem Fall wirkt sich das Vorhandensein des Wurmfortsatzes mit seinem Arsenal an normalerweise nützlichen Bakterien zum Nachteil des Patienten aus, weil diese in dieser Situation für den Betroffenen zur ständigen Infektionsquelle werden und die krankhafte Immunmodulation des Darmes forcieren. Das Auftreten der Colitis ulcerosa, so schließt Anderson, kann zeitlich deutlich nach hinten verschoben und das Ausmaß der Erkrankungsstärke erheblich reduziert werden, wenn der Wurmfortsatz bei diesen Patienten zeitig entfernt wird.

Quellen

Andersson RE, Olaison G, Tysk C et al. (2001) Appendectomy and protection against ulcerative colitis. N. Engl. J. Med. 344, 808-814.

Bollinger RR, Barbas RS, Bush EL, Lin SS & Parker W (2007) Biofilms in the large bowel suggest an apparent function of the human vermiform appendix. J. Theor. Biol. 249, 826-831.

Ullrich H, Winkler N & Junker R (2006) Zankapfel Auge. Ein Paradebeispiel für „Intelligent Design” in der Kritik. Stud. Int J. 13, 3-14. http://www.si-journal.de/index2.php?artikel=jg13/heft1/sij131-1.html

Autor dieser News: Reinhard Junker

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21.02.07 Eine unendliche Geschichte: Haeckels Embryonendarstellungen und ihre Bedeutung für die Evolutionstheorie

Fälschung, erlaubte Schematisierung, bewusste Täuschung: Ja oder Nein? Für jeden wissenschaftshistorisch Interessierten bietet die vor 140 Jahren durch Ernst Haeckel ins Rollen gebrachte Diskussion über seine berühmten und andere nicht so bekannten Darstellungen sich entwickelnder Organismen eine nicht versiegende Quelle für spannende Fragen. Welchen Einfluss haben persönliche Standpunkte auf das, was man von der zugänglichen Datenvielfalt in der Natur sieht oder ausblendet? Welcher Stellenwert kommt der Motivation des Forschers bei der Darstellung der gewonnenen und gefilterten Erkenntnisse zu?

In der FAZ erschien am 3. Januar dazu ein interessanter Beitrag von Julia Voss („Biologie in schneidigem Kreuzritterton“), in welchem sie eine wissenschaftshistorische Analyse von Nick Hopwood vorstellt (veröffentlicht in Isis Bd. 97). Hopwood vertritt darin die These, Haeckel habe mit den schematischen Darstellungen seiner Embryonenbilder keine Täuschungsabsicht verfolgt. Der zu seinen Lebzeiten vorgebrachte Vorwurf einer Fälschung sei nicht gerechtfertigt.

Auch wenn die Autorin des FAZ-Beitrages glaubt, Hopwood hätte mit seiner Analyse die offene „Akte Haeckel“ erst einmal geschlossen, wird die Diskussion immer wieder neue Wellen schlagen. Den Grund dieser unendlichen Geschichte liefert Frau Voss mit brillanter Feder am Ende ihres Artikels selbst: Solange man den tatsächlichen Wert der Darstellungen und Aussagen Haeckels zur Embryologie mit dem Wahrheitsgehalt der Evolutionslehre und daraus entwickelter Weltanschauungen verknüpft – so wie es Haeckel beständig tat – werden Tolerante (Hopwood 2006) und Verteidiger (Kutschera 2006) Argumente für die Rechtfertigung des methodischen Vorgehens Haeckels finden. Kritiker wie His (1875), Richardson (1997) oder Gould (1977, 2002) hatten und haben es schwerer Gehör zu finden, weil ihr Negativurteil heute den ungeliebten Beigeschmack von Evolutionskritik bzw. kreationistischer Unterwanderung aufkommen lässt. Die genannten Autoren hatten aber gerade das nie in ihrer Perspektive! Sie zeigten vielmehr, dass die Evolutionstheorie wesentlich besser ohne das „Biogenetische Grundgesetz“ und die „Embryonentafeln“ Haeckels zurechtkommt.

Löst man nämlich Haeckels Darstellungen aus seinem schützenden evolutionstheoretischen und monistischen Elfenbeinturm und betrachtet sie unter streng wissenschaftlichen Normen, wie sie zum Beispiel für eine Publikation bei Nature und Science gefordert werden, dann bleibt nur ein Urteil. Stephen J. Gould hat es m. E. am besten auf den Punkt gebracht, als er 2002 („Der Anfang vom Ende der Naturgeschichte“) Haeckels Zeichnungen als „erfundene Strukturen von vollkommener geometrischer Regelmäßigkeit”, als „Idealisierungen“, „Auslassungen“ mit „Ungenauigkeiten und regelrechten Fälschungen“ kennzeichnete.

Die Auseinandersetzung mit Ernst Haeckels Darstellungen fordert heraus, beständig zu prüfen, welche Inhalte in den favorisierten wissenschaftlichen Erklärungen wie der Evolutionstheorie tatsächlich durch Fakten und Experimente bestätigt werden und welche bislang rein spekulativ aus weltanschaulich-babylonischen Türmen entsprungen sind. Dies ist ja an sich nichts Verwerfliches, wurde doch so manche Forschung erst über diesen Weg angeregt und hat erstaunliche Erkenntnisse geliefert. Aber weltanschaulich bedingte Spekulationen als bewiesene wissenschaftliche Tatsachen und gut begründete Theorien zu etikettieren, ist verwerflich.

Letzteres sollte auch in Lehrbüchern klarer herausgearbeitet werden, um solchen Fehlentwicklungen, wie Hopwood und Gould sie bei Haeckel sahen, zeitiger auf die Schliche zu kommen. „Wenn falsche Informationen erst einmal Eingang in die Lehrbücher gefunden haben, sind sie gewissermaßen eingemottet und nicht mehr auszurotten … Allerdings können wir meines Erachtens zurecht erstaunt und beschämt darüber sein, dass sie ein ganzes Jahrhundert lang geistlos wieder verwertet wurden …“ (Gould 2002, S. 390).

Literatur

His W (1875) Unsere Körperform. Leipzig.

Hopwood N (2006) Pictures of Evolution and Charges of Fraud. Ernst Haeckel’s Embryological Illustrations. Isis 97, 260-301.

Gould SJ (1977) Ontogeny and phylogeny. Cambridge.

Gould SJ (2002) Der Anfang vom Ende der Naturgeschichte.

Kutschera U (2006) Evolutionsbiologie. Stuttgart. 2. Auflage.

Richardson MK, Hanken J, Gonneratne ML, Pieau C, Raynaud A, Selwood L & Wright GM (1997) There is no highly conserved embryonic stage in the vertebrates. Anat. Embryol. 196, 91-106.

Autor dieser News: Henrik Ullrich

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20.10.06 Neue Texte zum „Biogenetischen Grundgesetz“

Das Biogenetische Grundgesetz (oft abgeschwächt als „Grundregel“ bezeichnet) spielt in der Diskussion um die Evolutionslehre eine bedeutende Rolle. Auf Genesisnet wurden in den letzten Monaten dazu fünf Texte veröffentlicht. Der Artikel „Biogenetisches Grundgesetz – Geschichte“ (https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41305&Sprache=de&l=1) führt in die Thematik ein: Die in der Ontogenese (individuelle Entwicklung ab Befruchtung der Eizelle) ablaufenden Prozesse wurden in der Geschichte der Biologie häufig mit der hypothetischen Stammesgeschichte (Phylogenese) verglichen. Der deutsche Zoologe Ernst Haeckel war auf diesem Gebiet sehr einflussreich. Es wird gezeigt, weshalb sein Versuch, eine quasi naturgesetzliche Beziehung zwischen Ontogenese und Phylogenese herzustellen, heute als gescheitert gelten muss. Diesen Artikel gibt es auch als Expertentext („Biogenetisches Grundgesetz – Geschichte“, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41305&Sprache=de&l=2).

Der zweite Artikel „Biogenetisches Grundgesetz – Aktuell“ (https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41306&Sprache=de&l=1)befasst sich mit neuen Konzepten, wie aus der Embryonalentwicklung Hinweise auf die Stammesgeschichte gewonnen werden können. Nachdem die klassischen Methoden der Embryologie keine sicheren Schlussfolgerungen über die Stammesgeschichte auf der Basis embryologischer Befunde erlauben, wird neuerdings versucht, die Probleme durch computergestützte vergleichende Analysen zu lösen. Große Hoffnungen auf ein Verständnis evolutionärer Prozesse hat auch die Entdeckung der Homeobox-Gene geweckt (vgl. dazu auch „Homeobox-Gene und Evolution“, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41265&Sprache=de&l=1). Es zeigt sich aber, dass die neuen Methoden mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie die klassischen Vorgehensweisen. Auch von diesem Artikel gibt es eine Expertenversion („Biogenetisches Grundgesetz – Aktuell“, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41306&Sprache=de&l=2).

Schließlich befasst sich der Artikel „Biogenetisches Grundgesetz – Beispiele“ (https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41307&Sprache=de&l=2) mit populären Anwendungsbeispielen des Biogenetischen Grundgesetzes wie „Kiemenspalten“, „Schwänzchen“, „Schwimmhäute“, „Fell“ usw. In der populärwissenschaftlichen Literatur werden nach wie vor einige Entwicklungsabläufe in der menschlichen Ontogenese als Indizien für die Abstammung des Menschen aus dem Tierreich betrachtet. Sie werden als Rekapitulationen früherer stammesgeschichtlicher Stadien oder als Anklänge daran interpretiert. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass diese Beispiele nicht geeignet sind, eine Abstammung des Menschen aus dem Tierreich zu belegen. Diesen Artikel gibt es bislang nur in der Expertenversion.

Einen aktuellen Gesamtüberblick über diese Thematik bietet auch die jüngst erschienene 6. Auflage von „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ (https://www.wort-und-wissen.org/publikationen/lehrbuch/), dort im 11. Kapitel.

Autor dieser News: Studiengemeinschaft Wort und Wissen

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14.06.06 Das Kreuz mit dem „Kreuz“ – Was man mit Evolution alles erklären kann!

In der ZDF-Fernsehsendung „Joachim Bublath“ am 7. 12. 2005 wurde der Traum kurz zur virtuellen Wirklichkeit. Der Mensch wurde in seinem Bauplan so „optimiert“, dass ein Großteil seiner körperlichen Mängel oder besser seiner „evolutionären Altlasten“ durch ein neues Design überwunden werden. Insbesondere unsere Wirbelsäule sei, so die Autoren, dafür ein lohnendes Objekt:

„Auch andere Bereiche des menschlichen Körpers sind in ihrer Vergänglichkeit voller Mängel. Am Computer ließe sich das Design des Menschen ohne Schwierigkeiten verbessern – unsere zahlreichen körperlichen Beschwerden könnten so gemildert werden. Denn viele Probleme kamen erst mit der Entwicklung des aufrechten Ganges. Die Kräfte der Evolution haben uns dabei radikal umgebaut: Unser Becken wurde zu einer Art Schüssel für die inneren Organe, unser Hängeschädel wurde zum erhobenen Haupt und thronte fortan auf senkrechten Halswirbeln. Am Ende waren wir bereit für den aufrechten Gang – allerdings zu einem hohen Preis. Unsere Bandscheiben zum Beispiel, die weichen Puffer zwischen unseren Wirbeln, rutschen oft heraus. Eine unausgereifte Körperhaltung hat so ihre schmerzhaften Folgen.“ (www.zdf.de/ZDFde/inhalt/19/0,1872,3019859,00.html)

Es wirkte schon etwas eigenartig, was durch Bublath als Alternative konstruiert wurde: Die Verlängerung der Wirbelsäule zu einem kräftigen Schwanz, eine nach vorn in der Beckenregion abgewinkelte Körperhaltung gepaart mit kräftiger geformten Beinen und einem verstärkten, nach vorn überstehenden Unterkiefer. Dieses Design hätte zumindest theoretisch die Chance, den Pfusch des „Intelligenten Designers” zu überwinden, erzählen die Macher der Sendung dem verdutzten Zuschauer. Evolution eignet sich als Erklärung also wesentlich besser als der Verweis auf einen Schöpfer bzw. auf einen Intelligenten Designer, warum wir als Menschen Mangelwesen sind.

Aber – und das dürfte sehr schmerzlich sein für das neu entworfene Rückgrat von Bublath – Reinhard Putz, Leiter am Anatomischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München, ist davon überzeugt, dass die Wirbelsäule keine Fehlentwicklung, sondern ein „Meisterstück“ der Evolution darstellt (FAZ 5. 4. 2006). Putz fällt dieses völlig anders lautende Urteil nach jahrzehntelanger Erforschung der Biomechanik des menschlichen Skeletts und räumt mit zahlreichen Irrtümern auf.

So besteht zum Beispiel kein wesentlicher Unterschied hinsichtlich der Beanspruchung der Wirbelkörper in der Längsachse bei einem Vierbeiner und dem aufrecht gehenden Menschen. Denn auch bei den vierbeinigen, auf dem Land lebenden Wirbeltieren ist der Körper so konstruiert, dass auf die Wirbelsäule entlang ihrer Längsachse Druck ausgeübt und sie gewissermaßen zusammengestaucht wird. An der Beanspruchung der Wirbelsäule vom Hals in Richtung Becken hat sich also vom Vierbeiner zum aufrecht schreitenden Zweibeiner nichts grundsätzlich geändert.

Ein besonderes Kennzeichen des Menschen liegt in der enormen Beweglichkeit der oberen Extremität, in der Wendigkeit der Arme, des Schultergürtels und des Rumpfes. Das ist nach Putz deshalb so bemerkenswert, da dies einen Kompromiss zwischen ausreichender Stabilität einerseits und größtmöglicher Mobilität andererseits erfordert. Und dieser Kompromiss gelingt durch ein ausgeklügeltes Zusammenspiel zwischen den Modulen unserer Wirbelsäule: den Wirbelkörpern, Bandscheiben, Wirbelgelenken und Bändern.

Jeder Wirbel kommuniziert über Gelenkfortsätze mit dem über und unter ihm gelegenen Nachbarwirbel. Diese sind anatomisch hochspezialisiert im Hinblick auf die jeweils individuelle Beanspruchung. Deutlich wird dies beim Vergleich mit der Situation beim Steinbock oder beim Wal. Beim Steinbock zum Beispiel sichern die umgreifend hakenförmig ausgebildeten Gelenke die impulsartigen Verbiegungen des Rumpfes bei den extremen Sprüngen im steilen Gelände. Wale dagegen benötigen derartige Gelenke überhaupt nicht, da bei ihnen ohnehin sämtliche Bewegungen durch das umgebende Wasser hinreichend abgebremst werden. Beim Menschen schränken die Gelenke vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule die Rotation um die Längsachse ein und beugen damit einem Überdrehen vor. Außerdem schützen sie die Bandscheibe vor zu großer Verschiebung.

Weiter konnte gezeigt werden, dass sich selbst im Mineralisierungsmuster des Knochens unmittelbar unter dem Knorpel der Wirbelgelenke die fein abgestimmte Anpassung an die auftretenden Schwerkräfte wiederfinden lässt.

Der Bandapparat der Wirbelsäule stellt keineswegs nur ein passives Gurtsystem dar, dessen Funktion sich darauf beschränkt, die Wirbelkörper durch Zug miteinander zu verbinden. Die meisten Anteile des Bandapparates sind so angebracht, dass sie bei Bewegungen allmählich immer mehr Widerstand entwickeln. Das garantiert, dass Belastungsspitzen vom Knochen abgewendet und Verletzungen vermieden werden. Dabei zeigen manche Bänder – so die Münchner Arbeitsgruppe um Putz – eine derart raffinierte Anordnung, dass sie diese Funktion sowohl beim Bücken nach vorne als auch beim Strecken nach hinten zu erfüllen vermögen. Stabilisierend unterstützt wird der Bandapparat zusätzlich durch die tiefen Rückenmuskeln.

Die Bandscheiben quellen bei der Ruhe in der Nacht auf und garantieren für die bewegungsintensivere Phase am Tag einen günstigen Ausgangszustand, weil dadurch unter anderem der Bänderapparat in eine Art Vorspannung versetzt wird. Zudem sind die Bandscheiben je nach Höhe der Wirbelsäule unterschiedlich gebaut. Auch dies belegt die optimale funktionelle Anpassung der Module der Wirbelsäule an ihre Beanspruchung.

Und wie schätzt Putz die allgegenwärtigen Rückenbeschwerden ein? Der Anatom vertritt die Ansicht, der evolutionäre Optimierungsprozess beschränke sich auf die Reproduktionsperiode. Demnach wären die Gewebe des Bewegungsapparates – Knochen, Knorpel, Bänder, Menisken – darauf ausgelegt, etwa dreißig bis vierzig Jahre lang die bestmögliche Leistung zu erbringen.

Aber selbst im Alter zeigt die Wirbelsäule noch erstaunlich angemessene Reaktionen auf die Erfordernisse eines Wirbelsäulenlebens zwischen Sicherung von Stabilität und Gewährung von Mobilität. Wenn allerdings der Alltag immer häufiger fast ausschließlich im Bürostuhl und Fernsehsessel stattfinde oder das Rückgrat infolge überzogener sportlicher Ambitionen übermäßig beansprucht würde, dann sei dem auch ein noch so „erstklassiges biomechanisches Fabrikat der Evolution“ nicht immer gewachsen.

Welche Schlüsse können aus dieser evolutionär dialektischen Darstellung von Sinn und Unsinn der Konstruktion unserer Wirbelsäule gezogen werden?

Mit dem Prinzip Evolution lässt sich erstens wirklich alles „erklären“. Die Wirbelsäule ist eine unausgereifte Konstruktion und gleichzeitig ein erstklassiges Meisterstück.

Zweitens ist das Naturphänomen Evolution in der Lage, für jeden Organismus eine den Umweltbedingungen und seinen funktionellen Erfordernissen entsprechende optimale Justierung und Ausformung der Module der Wirbelsäule zu liefern – rein zufällig und ohne Plan. Irgendetwas in der Evolution schafft es, den verschiedenen Erfordernissen durch einen optimalen Designkompromiss zu entsprechen.

Der Schöpfungslehre und dem „Intelligent Design” wird vorgeworfen, unwissenschaftlich zu sein, weil mit Zirkelschlüssen argumentiert werde und einem überirdischen Schöpfer Raum zum Eingreifen und Gestalten zugestanden wird. So war es in einer kürzlich ausgestrahlten Radiosendung des SWR2 („Der Versuch, Gott zu beweisen“ – Aus der Reihe: „Gottes Bilder – Warum wir glauben“ vom 27. 5. 2006) zu hören: „Das ist das Problem der Kreationisten. Sie können vorhandene Fakten nicht unvoreingenommen interpretieren. Die Ergebnisse ihrer Denkprozesse sind durch Texte der biblischen Genesis vorab festgelegt. Sie suchen einen haltbaren Argumentationsstrang hin zum ersten Buch Mose.“

Meines Erachtens ist es berechtigt, darauf folgendes zu antworten: „Das ist das Problem der Evolution. Sie kann vorhandene Fakten nicht unvoreingenommen interpretieren. Die Ergebnisse der von ihr bestimmten Denkprozesse sind vorab festgelegt. Sie sucht einen haltbaren Argumentationsstrang um sich stets selbst zu bestätigen, wie gegensätzlich die Wege dahin auch erscheinen mögen.“

Autor dieser News: Henrik Ullrich

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21.04.05 Neuer Artikel über Atavismen

Ein relativ bekanntes Argument für Evolution ist das Auftreten von so genannten Atavismen. Dabei handelt es sich um eine spezielle, sehr seltene Sorte von Missbildungen, die gewisse Ähnlichkeiten mit mutmaßlichen stammesgeschichtlichen Vorfahren aufweisen sollen. Solche Missbildungen werden daher evolutionstheoretisch als Rückschläge in frühere Evolutionsstadien interpretiert und dann als Atavismen bezeichnet. (Der Begriff „Atavismus” kommt vom lateinischen atavus = Urgroßvater, Urahn.) Somit sollen Atavismen Belege für andersartige Vorfahren liefern. Bekannte atavistisch gedeutete Missbildungen beim Menschen sind Halsfisteln, ein ungewöhnlich stark ausgebildetes Haarkleid, „Schwänzchen” in der Steißgegend und überzählige Brustwarzen.

Das evolutionstheoretische Atavismus-Argument ist jedoch aus verschiedenen Gründen nicht stichhaltig. Als Atavismen gedeutete Strukturen können nicht ohne vorgegebene Ursprungstheorie als solche erkannt werden. Das zu Beweisende wird also vorausgesetzt: Es muss ein konkreter Evolutionsverlauf vorgegeben werden, um die Deutung einer Missbildung als Atavismus vornehmen zu können. Einen unabhängigen Beleg für Evolution können Atavismen somit nicht liefern. Dieses und weitere kritische Argumente werden im neuen Artikel „Atavismen“ (https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41304&Sprache=de&l=1) erläutert und diskutiert. Es gibt sowohl einen Interessierten- als auch einen Experten-Text.

Ohne Rückgriff auf eine Ursprungstheorie liegt eine Deutung einer Struktur als Atavismus dann nahe, wenn bei Kreuzung zweier Arten A und B ein Merkmal auftritt, welches den Kreuzungspartnern nicht, jedoch einer dritten, ebenfalls mit A oder B kreuzbaren Art zukommt (wenn also verschiedenes Erbgut spezialisierter Arten zusammenkommt, dessen Kombination die Ausprägung ursprünglicher Merkmale wieder ermöglicht). Innerhalb von polyvalenten Grundtypen („Artbegriffe“, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=41224&Sprache=de&l=1; Heutige Grundtypen, https://www.genesisnet.info/index.php?Artikel=1241&Sprache=de&l=1) können Atavismen durch einzelne Mutationen in regulatorischen Genbezirken erklärt werden. Die atavistisch ausgebildete Struktur gehört in solchen Fällen zum ursprünglichen „Repertoire” des Grundtyps.

Autor dieser News: Reinhard Junker

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