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Wie lang waren die Schöpfungstage?



Eine Untersuchung des hebr. jom („Tag“) in Gen 1,1-2,3

In der Debatte um die biblische Schöpfungs-geschichte (Gen 1-2) spielt die Länge der dort erwähnten „Tage“ immer wieder ein Rolle. Sind 24-Stunden-Tage oder lange Zeiträume von möglicherweise Millionen von Jahren gemeint? Im Folgenden soll keine naturwissenschaftliche Fragestellung diskutiert, sondern zunächst der diesbezügliche biblische Befund auf seine Bedeutung (Semantik) hin untersucht werden. Wie sind die Zeitangaben in Gen 1-2 zu verstehen?

Inhalt

1. Das Bedeutungsspektrum von „Tag“ (jom) im Alten Testament

Das hebräische Wort für „Tag“ (jom) begegnet ca. 2300-mal im Alten Testament und kann je nach Kontext verschiedene Aspekte haben, wie jedes hebräische Wörterbuch verdeutlicht. Im Wesentlichen hat das Wort „Tag“ demnach folgende Bedeutungen:

  1. „Tag“ als Gegensatz zu „Nacht“ (Gen 1,5a; 8,22; Ex 13,21; Lev 8,35 usw.)
  2. Gewöhnlicher 24-Stunden-Tag (auch ange-brochene 24-Stunden-Tage), bes. in Verbindung mit Zahlenangaben (Gen 1,5b.8.13 usw.; 40,12f; Ex 16,29; 21,21; Jos 2,16.22 usw., s. Belege unter 6. in Verbindung mit „sieben“)
  3. „Tagsüber“ (adverbial, oft mit Präpositionen: Gen 29,7; 31,40; Ps 88,2; Jes 27,3 usw.)
  4. „Heute“ (adverbial, mit Artikel oder Präposition: Gen 4,14; 22,14; 24,12; 30,32; 40,7 usw.)
  5. „Als, zu der Zeit, wann“ (adverbial, ohne Artikel und mit Präposition be: Gen 2,4b.17; 5,2; Ex 6,28; Num 3,1; 2Sam 21,12; Jes 11,16 usw.)
  6. „Tag“ mit Näherbestimmungen, besonders in Verbindung mit einem Genitiv („Tag der/des …“), ohne Festlegung auf 24 Stunden (z.B. „Erntetag“ Spr 25,13; „Unglückstag“ Pred 7,14; „Tag der Drangsal“ Gen 35,3; Ob 12; „Baalstag“ Hos 2,15; „Tag des Herrn“ Am 5,18.20; Jes 2,12; Hes 13,5 usw.).

Für die Ermittlung der jeweiligen Wortbedeutung an einer bestimmten Bibelstelle kommt dem Zusammenhang immer die entscheidende Bedeutung zu. Was ist in diesem Kontext genau gemeint? Man kann also nicht eine spezifische Wortbedeutung einer Bibelstelle nehmen und sie für alle anderen Stellen zugrunde legen, wenn der Zusammenhang nicht vergleichbar ist. Dass das Wort „Tag“ an anderen Stellen keinen gewöhnlichen Wochentag bezeichnet, sagt also noch nichts über die Bedeutung von „Tag“ in Gen 1 und 2. Immer entscheidet der unmittelbare Kontext über die jeweilige Bedeutung.

2. Die Zeitrechnung

Nach Gen 1 wird die Zeitzählung wesentlich durch das Tageslicht definiert. Die Scheidung Licht-Finsternis am ersten Tag setzt den Tag: Das Licht bezeichnet den hellen Tag, die Dunkelheit die Nacht (1,5). Von daher gehören Abend- und Morgendämmerung in Gen 1 noch zum vorangehenden Tag und schließen den jeweiligen Tag ab, weil die Schöpfung mit der Erschaffung des Lichts beginnt. Die anfängliche Finsternis auf der Erde wird anscheinend nicht mitgezählt, weil sie ein Zustand und kein Zeitraum ist. Der jüdische Exeget Benno JACOB umschreibt Gen 1,5b wie folgt:

„(nachdem Gott am Morgen sein Schöpfungswort gesprochen hatte, lief der Tag ab) »und es ward Abend« (darauf lief auch die Nacht ab) »und es ward Morgen« (also:) »Ein Tag«.“1

Ein heller Tag und die anschließende Nacht machen zusammen den ersten Schöpfungstag aus. Dies gilt auch für die ersten drei Schöpfungstage, an denen die Gestirne noch nicht existierten. Tag/Licht und Nacht/Finsternis bilden also einen Schöpfungstag, wobei die dunkle Phase, die von Abend- und Morgendämmerung umschlossen wird, den Tag beschließt („und es wurde Abend und es wurde Morgen“).2 Die weiteren Schöpfungstage folgen diesem Muster.3 Es geht in Gen 1 also nicht um eine Regelung, wann ein Tag beginnen soll. Im Übrigen ist die Zeitrechnung in AT und NT nicht einheitlich:

  1. Für die Ordnung des Gottesdienstes und des übrigen Kultus des Alten und Neuen Testaments beginnt der Tag im Allgemeinen mit dem vorangehenden Abend (Lev 11,24.25.27.28.31; 15,5 „bis zum Abend“; 23,32 „vom Abend bis zum Abend“; Ex 12,6 „zwischen den Abenden“; Neh 13,19; Ps 55,18; Dan 8,14; Lk 23,54 usw.; vgl. hingegen Lev 7,15; 22,30).4
  2. In der Alltagssprache beginnt der Tag aber mit dem Morgen (Dtn 21,23; Jos 1,8; Ps 90,6; 104,22f; Pred 11,6; Jes 5,11; Lk 18,7; 21,37; Joh 20,19), also morgens mit Tagesanbruch. Zur Bezeichnung eines gewöhnlichen Wochentages wird deshalb auch häufig von „Tag und Nacht“ gesprochen (Gen 8,22; Ex 13,21; Lev 8,35; Ps 1,2; Jes 28,19; Jer 33,20 usw.), seltener ist von „Nacht und Tag“ die Rede (Dtn 28,66; 1Sam 25,16; Est 4,16; 1Kön 8,29; Jes 27,3). In der Nacht wird die folgende helle Tageszeit als ein „morgen“ bezeichnet (Ri 19,4-9; 21,2-4; 1Sam 19,11; 28,19) und am Morgen der Abend als „gestern“ (Gen 19,34; vgl. 31,29.42: „gestern Nacht“), während am Nachmittag der Abend nicht als ein „morgen“ gilt.
  3. Nach römischer Zeitrechnung reicht der Tag von Mitternacht bis Mitternacht, was die Angabe Joh 19,14 erklären würde, der zufolge Jesus um 6:00 Uhr morgens verurteilt wurde. Die römischen Nachtwachen setzen mit Einbruch der Dunkelheit um ca. 18:00 Uhr ein und werden in vier Phasen eingeteilt: erste Nachtwache 18:00-21:00 Uhr, zweite Nachtwache 21:00-24:00 Uhr usw. Die „vierte Nachtwache“ ist demnach die letzte von 3:00-6:00 Uhr nachts, in der Jesus z.B. auf dem See wandelte (Mt 14,25/Mk 6,48).

3. Die Aussagen von Psalm 90,4 und 2. Petrus 3,8

In Psalm 90,4 heißt es: „Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.“ Der direkte Zusammenhang (Ps 90,1-6) beschreibt den Kontrast zwischen der menschlichen Vergänglichkeit (V.3+5-6) und Gottes Ewigkeit (V.1-2). Gott ist ein ewiger Gott, der in ganz anderen Dimensionen lebt, der schon vor der Schöpfung existierte und durch alle menschlichen Generationen hindurch unveränderlich bleibt und seinem Volk eine „Zuflucht“ war, ist und immer sein wird. Damit verglichen ist der Mensch kurzlebig und schnell vergänglich. Der Mensch ist sterblich und vergeht „wie Schlaf“ oder „wie Gras“ in der Sonnenglut. Göttliche und menschliche Zeiterfahrung unterscheiden sich also fundamental: Gott ist präexistenter Schöpfer und ewiger Schutz und Zufluchtsort für sein Volk. Nach biblischer Aussage ist der älteste Mensch (Metuschelach) 969 Jahre alt geworden (Gen 5,27). Aber selbst diese menschlich gesehen lange Zeit ist für Gott nur soviel wie „eine Nachtwache“, also wie nur wenige Stunden, oder wie der gestrige Tag, an den man sich zurückerinnern muss. Auf keinen Fall darf Ps 90,4 rationalistisch als Gleichung ausgelegt werden, dass ein Tag Gottes prinzipiell 1000 Jahren entspricht. Hier handelt es sich um Stilfiguren, wobei das „wie“ einen Vergleich (ein „Simile“) anzeigt. Es wäre abwegig, aufgrund von Ps 90,4 jedes Vorkommen von „Tag“ mit 1000 Jahren gleichzusetzen.5 Der Schöpfungsbericht macht keine Aussage zur Ewigkeit Gottes.

Die auf Ps 90,4 anspielende Aussage von 2Petr 3,8 lässt ebenfalls die menschliche Zeiterfahrung mit der göttlichen Zeitrechung kontrastieren: Spötter glauben nicht an die Wiederkunft Jesu oder gehen von einer Verzögerung aus (2Petr 3,3f.9), während Gott geduldig ist und das Heil aller möchte. In seinen Augen ist deshalb „ein Tag wie 1000 Jahre und 1000 Jahre wie ein Tag“, weil er nicht der Zeit unterworfen ist.

4. Die Argumentation von Hebräer 4, 1-11

Nach Hebr 4 gehen die an Jesus Christus Glaubenden in die endzeitliche Ruhe ein (4,2-3). Diese Sabbatruhe ist die zukünftige, ewige Gemeinschaft mit Gott und bedeutet Ruhe von den eigenen Werken (vgl. Offb 14,13), so wie Gott am 7. Tag von seinen Schöpfungswerken ruhte (4,10). Die Israeliten haben einst zwar das verheißene Land eingenommen, aber aufgrund ihres Ungehorsams diese besondere „Ruhe“ nicht erlangt (4,2.3b.5-6). Die Ungläubigen trifft daher das Unheilswort aus Ps 95,11: „Sie sollen nicht in meine Ruhe eingehen“ (4,3b.5). Anders jedoch die Gläubigen; für sie steht die Ruhe noch in Aussicht und wartet als Gottes Verheißung auf seine Erfüllung (4,1.3a.7-10); Gott schenkt einen neuen „Heilstag“. Im Gegensatz zur Generation in der Wüste sollen sich die Gläubigen am „Tage (also in der heutigen Zeit) der Versuchung“ im Glauben bewähren (3,8-10) und eifrig sein, in die verheißene endzeitliche „Ruhe“ einzugehen (4,11a).

Diese theologische Argumentation darf nun nicht in Gen 2,2, wo vom Abschluss der Schöpfungswoche die Rede ist, hineingelesen werden (s. zum siebten Schöpfungstag unter 6.). Dem Schreiber des Hebräerbriefs zufolge hat die Ruhe Gottes am siebten Tag Zeichencharakter und ist ein Bild für die ewige „Sabbatruhe des Volkes Gottes“ (4,9).

5. Die Länge der Schöpfungstage (Gen 1)

Manchmal wird argumentiert, dass die Schöpfungstage längere Zeitperioden bezeichnen oder unterschiedlich lang gewesen seien, da erst am vierten Tag die Gestirne und somit Zeitmesser erschaffen worden sind. Dies findet aber keinen Anhaltspunkt in Gen 1. Zumindest für den Verfasser des Schöpfungsberichts scheint dies kein Problem darzustellen.6 Die sechsmalige Formel „es wurde Abend, es wurde Morgen“ am Ende jedes Schöpfungstages mit der entsprechenden Zählung (Gen 1,5.8.13.19.23.31) spricht sowohl gegen die Annahme unterschiedlicher Tageslängen als auch langer Zeitperioden. Weil keine entsprechende sprachliche Markierung vorliegt, die auf eine andere Bedeutung von „Tag“ hinweist, ist vom nahe liegenden Verständnis auszugehen, dass es sich um gewöhnliche Kalendertage handelt; zudem reicht die Zeitangabe „Abend und Morgen“ zur Kennzeichnung eines vollen Tages völlig aus. Die Zählung der einzelnen Tage schließt die Annahme langer Zeitperioden aus; außerdem wird für alle sechs Schöpfungstage dieselbe Formel verwendet.7 Ein prophetischer „Tag des Herrn“ wird nie dichotomisch in „Tag und Nacht“ o.ä. aufgeteilt. Auch im akkadischen Weltschöpfungsepos Enuma Elisch ist von „Tag“ und „Nacht“ die Rede (Tafel I,38: „Am Tag habe ich nicht Ruhe, nachts schlafe ich nicht.“), bevor die Gestirne erschaffen wurden (Tafel V).

6. Die Länge des Ruhetages (Gen 2,1-3)

An allen 147 Stellen in der Bibel, wo von „sieben Tagen“ oder dem „siebten Tag“ die Rede ist (also in Verbindung mit der Zahlenangabe „sieben“) ist ausnahmslos ein Verständnis im Sinne eines gewöhnlichen 24-Stunden-Tages gemeint. Dieser ist der Abschluss einer einwöchigen Periode.8 Der Zeitraum muss nicht mit einem bestimmten Wochentag beginnen, umfasst aber immer eine volle Woche. Aus dem Umstand, dass in Gen 2,3b die Formel „und es wurde Abend und es wurde Morgen“ fehlt, darf nicht geschlossen werden, dass der siebte Tag nicht abgeschlossen ist und als „ewige Sabbatruhe“ Gottes noch andauert.

Die Zahlenangabe beim Sabbattag in Gen 2,1-3 macht deutlich, dass es sich wie bei den sechs bisherigen Tagen um einen gewöhnlichen Tag handelt. Dies gilt für ausnahmslos alle Stellen, wo von „sechs Tagen“ plus einem weiteren die Rede ist.9 Zudem macht das Sabbatgebot gar keinen Sinn, wenn man den Ruhetag nicht nach einem Tag beendet.

Auch für alle sonstigen Verbindungen von „Tag“ (jom) mit einem Zahlwort kann gesagt werden, dass gewöhnliche Tage gemeint sind.10

7. Ursprung der Lehre langer Zeitalter11

Von Anfang an begegnet in der Auslegungsgeschichte neben dem wörtlichen Verständnis der Schöpfungstage als gewöhnliche Kalendertage eine übertragene Deutung. Von den betreffenden Auslegern selbst wird dies in der Regel nicht als eine Alternative verstanden; beide Auffassungen können gleichzeitig vertreten werden. In den Pseudepigraphen Jubiläen 2 und in 4Esra 6,38-54 finden sich Nacherzählungen des Sechs-Tage-Werkes, in denen die Reihenfolge der Schöpfungswerke aus Gen 1 im Rahmen einer Schöpfungswoche beibehalten wird. Frühjüdische und frühchristliche apokalyptische Schriften vertreten die Deutung, aus den sechs Schöpfungstagen könne man auf sechs bzw. sieben Perioden der Weltgeschichte bis zum Weltende schließen (slavisches Henochbuch 33,1-2; Brief des Barnabas 15,412 ; vgl. Jubiläen 4,30).

Der jüdische Religionsphilosoph PHILO VON ALEXANDRIEN (ca. 25 v. – 40 n.Chr.) interpretiert die Zahlen des Schöpfungsberichtes allegorisch und vertritt die Ansicht, dass Gen 2,4b („an dem Tag, als Gott der Herr Himmel und Erde machte“) die Erschaffung der ganzen Welt an einem einzigen Tag besage.13 Die sechs Tage bezeichnen keinen Zeitraum, sondern die Prinzipien der Ordnung und Ästhetik, die der Schöpfung zugrunde liegen.14

In Anschluss an PHILO interpretieren die Kirchenväter ORIGENES (ca. 185-254 n.Chr.) und AUGUS-TINUS (354-430 n.Chr.) ähnlich:15 Es seien nicht sechs aufeinander folgende Tage, sondern nach AUGUSTINUS Entwicklungsstadien in der Erkenntnis der Engel gemeint. Freilich vertreten beide keine evolutionäre Schöpfung, sondern gehen entsprechend ihrem philosophischen Gottesbild davon aus, dass Gott in einem Augenblick die ganze Welt geschaffen habe, was dann in sechs bzw. sieben Tagen beschrieben werde, weil Gott sich nicht an die menschliche Zeit binde. An anderer Stelle verteidigt AUGUSTINUS gegenüber heidnischen Kosmogonien, dass die Erde weniger als 6000 Jahre alt sei.16 Verschiedene Kirchenväter des 4.Jh.s vertreten hingegen eine wörtliche Auffassung der Tage (EPHRÄM DER SYRER, GREGOR VON NYSSA, AMBROSIUS), ebenso wie später M. LUTHER und J. CALVIN. Die Restitutions- oder Lückentheorie, die von langen Zeiträumen zwischen Gen 1,2 und 1,3 ausgeht, wird vom Remonstranten EPISCOPIUS (1650) entfaltet, der sich auf BASILIUS (4.Jh.) beruft.17

Mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften wurden aus geologischen Gründen die „Tage“ von Gen 1 in längere Zeiträume umgedeutet.18 T. BURNET (1681) und B. DE MAILLET (1748/49) begründen dies damit, dass die Sonne erst am 4. Tag erschaffen wurde. Nach W. WHISTON (1696) wurden die Gestirne, die schon vorher existierten, durch eine Aufhellung der Atmosphäre am 4. Tag auf der Urerde sichtbar. Da es zunächst keine Erdrotation gab, dauerte ein Schöpfungstag ein ganzes Jahr, sodass alle Ereignisse aus Gen 1-2 in relativ kurzer Zeit stattfinden konnten.19 A.L. MORO (1740), der von langen Zeiträumen ausgeht, beruft sich auf das allegorische Verständnis des AUGUSTINUS und J.G. LEHMANN (1756) auf 2Petr 3,8. Auch ein lutherisch-orthodoxer Exeget wie Franz DELITZSCH20 gelangt unter dem Eindruck des naturwissenschaftlichen Weltbilds zur Annahme der Restitutionstheorie mit der Annahme langer Schöpfungsperioden.

8. Heutige Auffassungen unter Exegeten

Interessanterweise herrscht ein weitgehender Konsens in der kritischen Forschung,21 dass in Gen 1 gewöhnliche Tage gemeint sind, während einige evangelikale und kirchlich-konservative Exegeten22 (gegen den Wortsinn) zu Schöpfungsperioden gelangen, weil sie die den Schöpfungsbericht mit langen geologischen Zeitaltern in Einklang bringen wollen, während die kritischen Forscher diese Zielsetzung nicht verfolgen.

In hebräischen Standardwörterbüchern wird Gen 1,5 als erstes Beispiel für einen gewöhnlichen Kalendertag angeführt: „als Zeitmaß von 24 Stunden Gn 1,5 u.ö.“.23 Dies gilt auch für die (kritischen) theologischen Wörterbücher.24

9. Schlussfolgerungen

Das hebräische Wort für „Tag“ (jom) weist ein breites Bedeutungsspektrum auf. In Gen 1,5a ist damit der helle Tag als Gegensatz zur Nacht gemeint. Die Zeitangabe in Gen 2,4b ist mit „zu der Zeit, als“ zu übersetzen.

Der Ruhetag in Gen 2,1-3 ist ein gewöhnlicher Tag und kein symbolischer Gottestag. Wie auch an allen anderen Stellen schließt „der siebte Tag“ einen einwöchigen Zeitraum ab. Der Sabbattag aus Gen 2,2f kann vom Kontext her nicht als unabgeschlossen gelten. Man darf die Argumentation aus Hebräer 4 („ewige Sabbatruhe“) und Ps 90 („1000 Jahre wie ein Tag“) nicht in Gen 2 hineinlesen.

Der exegetische Befund von Gen 1 spricht dafür, auch hier von normalen, kalendarischen Tagen auszugehen. Ein Schöpfungstag ist jeweils durch Licht und Finsternis definiert. Auf Gottes Schöpfungswirken am Tag folgt jeweils die Phase der Dunkelheit („Abend und Morgen“), die den jeweils vorangehenden Tag abschließt. Während die Zeitrechnung im Kultus (Gottesdienst) in der Regel vom Abend ausgeht, ist in der Alltagssprache Israels der Morgen der Beginn des neuen Tages. Dass der Schreiber des Schöpfungsberichtes das Sechstagewerk mit dem anschließenden Ruhetag im Rahmen einer gewöhnlichen Woche von sieben Kalendertagen versteht, ist exegetisch unbestritten, bes. in der kritischen Forschung.25 Dafür sprechen die Zählungen, die Angabe „Abend und Morgen“ und die Verbindung mit dem Ruhetag. Versuche, diese „Tage“ als lange Zeitperioden umzudeuten, verdanken sich in der Regel einem Interesse, den biblischen Bericht mit der geologischen Zeittafel zu harmonisieren.

Herzlich danke ich Manfred Stephan für sein konstruktives Mitdenken.

Anmerkung

  1. B. JACOB, Das Buch Genesis (1934), Stuttgart 2000, 37.
  2. S.a. O.H. STECK, Der Schöpfungsbericht der Priester-schrift, FRLANT 115, 2.Aufl. Göttingen 1981, 174f.
  3. Vgl. GUNKEL, Genesis, HK, 3.Aufl. Göttingen 1910, 106: „Natürlich sind die »Tage« Tage und nichts anderes; der Erzähler will sagen: der regelmäßige Wechsel von Nacht und Tag, den wir gegenwärtig vor Augen haben, stammt vom ersten Tage her.“
  4. Einige jüdische Exegeten versuchen zu beweisen, dass im AT einheitlich der Morgen als Beginn des Tages gilt, s. z.B. U. CASSUTO, A Commentary on the Book of Genesis, Bd. 1 (hebr. 1944), Jerusalem 1961, 28-30, bei Festen sollte auch die Nacht des Vortages einbezogen werden (der sog. „Rüsttag“, vgl. Mk 15,24; Joh 19,14.31); vgl. JACOB (Anm. 1), 35-37, und unsere Bezeichnung „Sonnabend“ oder „Heiligabend“.
  5. Vgl. z.B. H. GUNKEL (Anm. 3), 106: „Die Beziehung der Schöpfungstage auf Perioden von 1000 Jahren oder dgl. ist also eine sehr willkürliche Eintragung aus allogenen [andersartigen] Gedankenkreisen.“ W.J. OUWENEEL, Gedanken zum Schöpfungsbericht in 1. Mose 1, 2. Aufl. Neustadt/Wein-straße 1975, 78, fragt: „Und warum sollte man dann diesen Vers nicht auch auf allerlei andere Tage in der Schrift anwenden? Gott brachte drei Tage Finsternis über Ägypten; vielleicht waren das dann auch dreitausend Jahre“.
  6. Zur Forschungsgeschichte und zu einer gründlichen exegetischen Diskussion s. G.F. HASEL, „The ,Days‘ of Creation in Genesis 1: Literal ,Days‘ or Figurative ,Periods / Epochs‘ of Time?“, Origins 21 (1994), 5-38 (auch online verfügbar, s. z.B. http://www.grisda.org/origins/21005.htm, Link am 8.10.2019 nicht mehr erreichbar); J.P. LEWIS, „The Days of Creation. An Historical Survey of Interpretation“, JETS 32 (1989), 433-455.
  7. Dass in Gen 1,5 die Kardinalzahl („Tag eins“) wie eine Ordinalzahl verwendet wird, ist nicht ungewöhnlich (s. 2,11.13; 4,19; 8,5.13; Ex 40,2.17; Lev 23,24 usw.) und begegnet auch im akkadischen Gilgameschepos, XI,142-145, 215-218.
  8. S. z.B. Gen 2,2 (2×); 2,3; 7,4.10.11; 8,4.12; 31,23; 50,10; Ex 7,25; 12,15 (2×); 12,16.19; 20,10.11; 22,29; 23,12; Apg 21,4.27; 28,14; Heb 4,4 (2×); 11,30.
  9. Ex 16,26; 20,9; 23,12; 24,16; 31,15; 34,21; 35,2; Lev 23,3; Dtn 5,13; 16,8; Jos 6,3.14f; Lk 13,14.
  10. Eine Ausnahme ist evtl. Sach 3,9, wo Gott eschatologische Versöhnung „an einem Tag“ verheißt. Möglicherweise ist dies auf den Großen Versöhnungstag zu beziehen (vgl. Lev 16); vgl. auch das Bild in Hos 6,2, wo ein schnelles Eingreifen Gottes erwartet wird.
  11. S. den Überblick bei LEWIS (Anm. 6), 433-455, und H. BAVINCK, Reformed Dogmatics 2. God and Creation (niederl. 4.Aufl. 1928), Grand Rapids 2004, 482f, 489-495; D.O. ZÖCKLER, Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, Bd. 1, Gütersloh 1877, 298f, 686f, 720-723, 762.
  12. „Er vollendete sie in sechs Tagen. Das bedeutet, dass der Herr das All in 6000 Jahren vollenden wird. Denn der Tag bezeichnet bei ihm tausend Jahre.“ (unter Verweis auf 2Petr 3,8).
  13. Sprachlich gesehen liegt hier aber Kategorie 1. e) vor.
  14. PHILO, Über die Weltschöpfung 13-15, vgl. 26-29 (zu den Worten „am Anfang“ aus Gen 1,1), 89-128 (zur symbolischen Bedeutung der Zahl sieben).
  15. ORIGENES, Über die Prinzipien IV,3,1; AUGUSTINUS, Der Gottesstaat XI,4; 6-7; Über den Wortlaut der Genesis IV,1,1-2,6; 18,31-36; 25,42-27,44; 33,51-35,56. Vgl. JUSTIN, Dialog mit dem Juden Tryphon LXXXI,3; IRENÄUS, Gegen die Häresien V,23,2; 28,3.
  16. AUGUSTINUS, Der Gottesstaat XII,10-15.
  17. BASILIUS zufolge schuf Gott die ersten drei Tage durch Emission und Kontraktion des Lichts vom ersten Tag.
  18. S. hierzu die Übersicht bei W. BLEI, Erkenntniswege zur Erd- und Lebensgeschichte, Berlin 1981, 126-136; S.J. GOULD, Die Entdeckung der Tiefenzeit, München 1990, 62-65; vgl. BAVINCK (Anm. 11), 485-495.
  19. S.J. GOULD, Bravo, Brontosaurus, München 1994, 428-430.
  20. F. DELITZSCH, Commentar über die Genesis, 3.Aufl. Leipzig 1860, 101-106; 4.Aufl. 1872, 84-87. Sein Kompanion C.F. KEIL, Genesis und Exodus, BC (1878), 4.Aufl. Gießen, Basel 1983, 13f, und A. DILLMANN, Genesis, KEH, 6.Aufl. Leipzig 1892, 22f, widerlegen DELITZSCH’ Argumente im Einzelnen, ebenso K. BARTH, Die Kirchliche Dogmatik, III/1, 4.Aufl. Zürich 1970, 137f.
  21. S. z.B. explizit in den Genesiskommentaren von H. GUNKEL (HK), 106, A. DILLMANN (KEH), 22f, O. PROCKSCH (KAT), 443, E. KÖNIG, 146, J. SKINNER (ICC), 21, G. VON RAD (ATD), 51, W. ZIMMERLI (ZBK), 103f, SEEBASS (Bd. 1), 62, 67f, oder auch J. BARR, Fundamentalismus (engl. 1977), München 1981, 70-72, ein entschiedener Gegner des Fundamentalismus.
  22. Wie z.B. die Genesiskommentare von G.C. AALDERS (KVHS), 84, D. KIDNER (TOTC), 54-58, M.G. KLINE (Kommentar zur Bibel), 92, 94, J.C.L. GIBSON (Bd. 1), 53f, BRÄUMER (WStB), 44, sowie bereits DELITZSCH (Anm. 20), 3.Aufl., 101-106; BAVINCK (Anm. 11), 495-500, und E.J. YOUNG, Studies in Genesis 1, Grand Rapids 1964, 104.
  23. W. GESENIUS, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Lfg. 2, Hg. H. DONNER, 18.Aufl. Berlin 1995, 452; L. KOEHLER, W. BAUMGARTNER, Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament, Lfg. 2, 3.Aufl. Leiden 1974, 382: „Tag v. 24 Stunden: Gn 1,5“.
  24. Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament 1, 5.Aufl. Gütersloh 1994, 709f (E. JENNI), und Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament 3, Stuttgart u.a. 1982, 578-581 (M. SÆBØ).
  25. Vgl. z.B. W.H. SCHMIDT, Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift, WMANT 17, 3.Aufl. Neukirchen 1973, 68: „Damit ist zugleich gegeben, daß mit ,Abend und Morgen‘ ein wirklicher Tag (von 24 Stunden) umschrieben ist; andernfalls verlöre die Abfolge von sechs Tagen und dem Sabbat am Ende Sinn und Bedeutung.“