Zur Diskussion um Evolution und Schöpfung in ‚Idea Spektrum‘
In der Zeitschrift „Idea Spektrum“ wurden im Spätsommer dieses Jahres verschiedene Aufsätze und Leserbriefe zum Thema „Schöpfung / Evolution“ veröffentlicht. Dabei wurden sowohl von Befürwortern als auch Gegnern der Evolutionslehre eine Reihe von Behauptungen aufgestellt, die fragwürdig oder eindeutig falsch sind. Da es sich erfahrungsgemäß dabei nicht um Einzelstimmen handelt, veröffentlichen wir nachfolgend eine Stellungnahme von Siegfried Scherer. Damit soll eine Hilfestellung gegeben werden, richtige Sachverhalte auch mit zutreffenden Argumenten zu belegen, um sich nicht unnötig angreifbar zu machen.
Inhalt
- Beweise sind nicht möglich
- Das Alter der Erde
- Fossilien – versteinerte Lebewesen
- Mutation und Artbildung
- Menschliches Fehlverhalten
- Einfache Lösungen – Eine Sache des Glaubens?
Beweise sind nicht möglich
Sowohl Anhänger der Evolutionslehre als auch der Schöpfungslehre geben häufig vor, ihre Position sei wissenschaftlich „bewiesen“. Das ist nicht richtig. Theorien, die wie die Evolutionslehre oder Schöpfungslehre in den Bereich der Geschichts- und Ursprungswissenschaften gehören, sind grundsätzlich nicht beweisbar. Diese Tatsache gehört zum Grundwissen der Erkenntnistheorie. Es ist bestenfalls der Schluß möglich, daß eine bestimmte Theorie (zur Zeit?) besser begründet ist als die konkurrierenden Theorien. Die Komplexität der Fragestellungen, der Mangel an wissenschaftlichen Daten sowie die begrenzte Reichweite des menschlichen Verstandes sollten alle Diskussionspartner zur Bescheidenheit bei wissenschaftlich begründeten Aussagen ermutigen.
Das Alter der Erde
Mitunter wird die Frage nach Schöpfung und Evolution auf Datierungsfragen reduziert. Ein Blick in das Kapitel „Evolution“ eines beliebigen Biologielehrbuches für Gymnasien zeigt, daß ein Großteil der dort im Sinne von Evolution diskutierten Fakten mit dem Alter der Erde nichts zu tun hat. Das Argument: „Die Erdschichten haben sich langsam, über viele Jahrmilliarden hinweg gebildet deshalb ist Evolution unbestreitbar“, ist nicht schlüssig. Erstens gibt es seit einiger Zeit Trends in den Geowissenschaften, die katastrophische Ereignisse von teilweise weltumspannendem Maßstab in der Erdgeschichte annehmen. Das könnte Konsequenzen auf die Bildungsgeschwindigkeit von Erdschichten haben. Doch selbst wenn die hohen Alter der Erdschichten gut begründet (aber nicht bewiesen, s.o.) sind, wäre dies lediglich eine notwendige Voraussetzung für Evolution. Große Zeiträume würden weder eine evolutionäre Entstehung der Lebewesen, noch einen Abstammungszusammenhang der verschiedenen Lebensformen begründen. Grundsätzlich muß, wie auch bei jeder anderen wissenschaftlichen Erklärung, bedacht werden, daß eine überzeugende Theorie alternative, möglicherweise ebenfalls stimmige Theorien keineswegs ausschließt. An alternativen Deutungen der Erdgeschichte wird im Rahmen der wissenschaftlich orientierten Schöpfungslehre weltweit gearbeitet. Dabei sind allerdings noch viele Fragen offen.
Von einigen Anhängern der Schöpfungslehre werden immer wieder Datierungen genannt, die evolutionär „unpassende“ Alter ergeben. Solche Datierungen treten auf, allerdings muß man wissen, daß eine ganze Reihe dieser „Fehldatierungen“ schlüssig erklärt werden kann. Außerdem muß der gesamte Datensatz der Geochronologie zur Kenntnis genommen und erklärt werden. Dann zeigt sich, daß ein Großteil der verfügbaren Daten sich durchaus im Sinne hoher Alter interpretieren läßt (damit sind alternative Deutungen im Sinne einer jungen Schöpfung jedoch keineswegs ausgeschlossen). Dies muß gesagt werden, auch wenn man diese Altersangaben aus theologischen Gründen bezweifelt (was zu den Grundpositionen der Studiengemeinschaft Wort und Wissen gehört).
Fossilien – versteinerte Lebewesen
Generell kann man schwerlich bezweifeln, daß ausgestorbene Lebewesen in einer klaren Ordnung in den Erdschichten vorkommen. Dies läßt sich durchaus im Rahmen einer Evolutionslehre deuten. Funde von Dinosaurierspuren zusammen mit Fußabdrücken von Menschen oder gar von Werkzeugen in Millionen Jahre alt datierten Schichten als Gegenargument sind in populären christlichen Schriften immer wieder veröffentlicht worden. Es gibt jedoch schwerwiegende Einwände gegen die Authentizität solcher Funde. Generell gilt, daß man immer den gesamten Datensatz im Auge haben muß und sich nicht vorschnell auf Einzelbefunde stützen darf. Doch selbst wenn man solche Einzelfunde gut begründen könnte, würde dadurch die Evolutionslehre keineswegs schon widerlegt, sondern nur entsprechend modifiziert werden, wie die bisherige Erfahrung deutlich zeigt. Die Evolutionslehre erweist sich aufgrund ihrer starken weltanschaulichen Komponenten als sehr widerstandsfähig gegenüber Widerlegungsversuchen – das gilt im übrigen auch für Schöpfungslehren.
Immer wieder wird in christlichen Schriften behauptet, daß Mischformen (z.B. wie der „Urvogel“ Archaeopteryx) außerordentlich selten seien, und wenn sie gefunden würden, dann handelte es sich um Fehlentwicklungen. Das ist nicht richtig. Mischformen sind weder selten (Hunderte davon sind bekannt!), noch handelt es sich dabei um Fehlentwicklungen. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob es solche Formen gibt sondern, ob sie als evolutionäre Übergangsformen widerspruchslos in Stammbäume eingeordnet werden können. Letzteres ist in der Regel gerade nicht der Fall, sondern die gefundenen Mischformen erschweren meist eine evolutionstheoretische Deutung der Fossilien – darin liegt ein starkes Argument gegen Evolution.
Mutation und Artbildung
Nicht selten wird behauptet, daß es keine positiven Mutationen gäbe. Diese sind aber in größerer Zahl bekannt und werden genauso vererbt wie die zahlenmäßig allerdings weit überwiegenden negativen oder neutralen Mutationen. Viele biologische Beobachtungen zeigen, daß sich positive Mutationen durch Selektion und andere Faktoren auch tatsächlich durchsetzen können. Die entscheidende Frage ist auch hier nicht die nach der Existenz, sondern vielmehr, ob durch positive Mutationen neue Konstruktionen entstehen können (wie z.B. das menschliche Auge oder eine Pfauenfeder). Die biologischen Realitäten sprechen deutlich dagegen. Es sieht sogar so aus, als ob mit fortschreitender Kenntnis genetischer Vorgänge immer unklarer wird, wie man sich eine evolutionäre Höherentwicklung überhaupt vorstellen könnte.
Sowohl von Anhängern der Schöpfungslehre als auch der Evolutionslehre wird die Bildung von Arten oft generell mit Evolution gleichgesetzt. Daher wird Artbildung von manchen Christen heftig bestritten, von manchen Evolutionsanhängern dagegen mit dem Evolutionsbeweis schlechthin gleichgesetzt. Beide Standpunkte sind eindeutig falsch. Die evolutionsbiologische Forschung hat einerseits klar gezeigt, daß Artbildung durch evolutionäre Prozesse möglich ist. Sie kommt auch heute noch in der Natur vor und kann beobachtet werden. Allerdings ist mit Artbildung der Verlust genetischer Information und keine Höherentwicklung verbunden – und gerade Höherentwicklung müßte durch eine Evolutionstheorie erklärt werden. Es ist deshalb notwendig, zwischen Mikroevolution und Makroevolution zu unterschieden. Mikroevolution unter Einschluß der Bildung neuer Arten innerhalb von (geschaffenen?) Grundtypen wie etwa den Hundeartigen oder den Pferdeartigen ist möglich. Für Höherentwicklung („von der Amöbe zu Goethe“) gibt es dagegen bisher keine wissenschaftlichen Indizien aus der experimentellen Biologie – entgegen den einstimmigen Aussagen von Schulbüchern.
Menschliches Fehlverhalten
Die persönlichen Erfahrungen mit unwissenschaftlich und dogmatisch argumentierenden „Kreationisten“, wie sie vom Evolutionsbefürworter Dr. Bretemitz in Idea-Spektrum 35/99 beschrieben wurden, machen mich traurig. Leider dürfte es sich dabei nicht um einen Einzelfall handeln. Es gehört zu den großen Herausforderungen der Schöpfungslehre, sich von unwissenschaftlichen oder gar fanatischen Ansätzen zu distanzieren und eine möglichst objektive Analyse der Daten anzustreben. Das wäre auch für so manchen prominenten Vertreter der Evolutionslehre zu wünschen. Kürzlich hat S. J. Gould, ein gefeierter Evolutionsbiologe aus den USA, in der Fachzeitschrift Science geschrieben: „Evolution ist die Wahrheit – und die Wahrheit kann uns nur freimachen“. Trotzdem sollte man die „Verschwörungstheorie“, wonach Atheisten mit böser Absicht die Evolutionstheorie verbreiten, mangels stichhaltiger Beweise schleunigst vergessen. Als Christen wissen wir aber, daß der „natürliche Mensch“ (1. Kor. 2,14) nichts vom Geist Gottes versteht und in seinem Denken die Möglichkeit von Gottes Handeln ausklammert (vgl. Röm. 1,19ff.).
Einfache Lösungen – Eine Sache des Glaubens?
Hypothesen über die Ursprünge der Welt berühren Grundfragen unseres Menschseins. Unsicherheit in diesem Bereich ist nur schwer zu ertragen. Der starke Wunsch nach einfachen und schnellen Lösungen, um sich mit einem „Befreiungsschlag“ ein für alle mal der Problematik zu entledigen, ist nachvollziehbar. So kann man nicht selten lesen, daß die Evolutionslehre den Ursprung des Lebens einfach und elegant erklärt hätte. Andererseits finden sich immer wieder Aussagen von Christen, daß die Bibel alle Ursprungsprobleme mühelos lösen würde. Beide Positionen sind falsch. Sowohl Evolutionslehren als auch Schöpfungslehren stehen vor gewaltigen, ungelösten wissenschaftlichen Problemen. Beide Weltanschauungen lassen sich durch einen wissenschaftlichen Ansatz nicht beweisen. In beiden Lagern gibt es trotzdem immer wieder Vertreter, die fälschlicherweise einen wissenschaftlichen Absolutheitsanspruch erheben und manchmal im gleichen Atemzug den Gegner lächerlich machen. Als Christen steht uns ein solches Verhalten schlecht an, ob wir nun eine junge Schöpfung vertreten oder eine „Schöpfung durch Evolution“ zu begründen versuchen. Dagegen stünde es uns als Biologen und als Christen gut an, zu gegebener Zeit ein einfaches Bekenntnis zu formulieren: „Für dieses oder jenes Problem kennen wir (derzeit?) keine Antwort.“
Idea-Spektrum“ hat auf dem Titel der Ausgabe 35/ 99 die Sachlage treffend erfaßt: „Schöpfung oder Evolution – eine Sache des Glaubens“, eine Fragestellung, bei welcher viele Entscheidungen letztendlich theologisch oder philosophisch motiviert sind.
Detaillierte Begründungen für die in der Stellungnahme von Prof. Scherer aufgestellten Behauptungen finden sich in: Junker, R. & Scherer, S. (1998): Evolution ein kritisches Lehrbuch. Weyel-Verlag, Gießen. 328 Seiten, 425 Abb., ausführliches Glossar, Stichwort- und Literaturverzeichnis, Großformat 19,5×26, Festeinband. DM/sfr 39,80; ÖS 295,-.