Mischwesen: Chimäre Mensch-Tier-Föten – Anmerkungen und Einschätzung zu aktuellen Forschungen
Seit den frühen 1980er-Jahren sind embryonale Stammzellen isolier- und im Labor handhabbar. Stammzellen zeichnen sich dadurch aus, dass sie in einem nicht spezialisierten, sondern toti- bzw. pluripotenten Zustand vorliegen. Das bedeutet, dass sie noch nicht differenziert sind, aber ein hohes Potential zur Differenzierung in sich tragen. Stammzellen können sich, bevor sie sich in spezielle Körperzellen differenzieren, prinzipiell unaufhörlich vermehren.
Inzwischen stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, um Stammzellen zu erzeugen. Menschliche Stammzellen, aber auch solche anderer Organismen werden häufig aus somatischen Zellen (Körperzellen) durch „Umprogrammierung“ hergestellt; man bezeichnet sie als „induzierte Stammzellen“. Dabei werden differenzierte Körperzellen durch Zugabe bestimmter Faktoren (Proteine) in den Status von Stammzellen zurückversetzt. Dadurch werden idealerweise sog. „pluripotente Stammzellen“ erhalten. Diese unterscheiden sich von totipotenten Stammzellen dadurch, dass aus ihnen zwar keine kompletten Organismen entstehen können, sehr wohl aber prinzipiell alle Zelltypen des Körpers, einschließlich Geschlechtszellen (dagegen kann aus totipotenten Stammzellen ein kompletter Organismus erzeugt werden, weil sie auch extraembryonales Gewebe produzieren können, z. B. die Plazenta).
Im Labor von J. C. I. Belmonte am Salk Institute in La Jolla, USA werden seit Jahren verschiedene Methoden zur Erzeugung von Stammzellen genutzt, u.a. auch in der Absicht, therapeutische Ziele in der Humanmedizin zu erreichen.
In einer aktuellen Arbeit wurde versucht, mit Hilfe von pluripotenten Stammzellen aus verschiedenen Organismen Chimären zu erzeugen, also Mischwesen aus verschiedenen Arten. So konnten Wu et al. (2017) zeigen, dass man Stammzellen von Ratten in Blastocysten1 von Mäusen einbringen kann und daraus chimäre Föten entstehen, also Mäuse, die auch Rattengewebe ausbilden. Dieses Verfahren wurde so entwickelt, dass die Forscher im Mäuseembryo die Entwicklung bestimmter Organe (z. B. der Bauchspeicheldrüse) genetisch ausgeschaltet haben und stattdessen in dem chimären Ratte-Maus-Embryo ein Rattenorgan in der Maus gebildet wurde. Dieses konnte dann operativ aus der Ratte-Maus-Chimäre entnommen und erfolgreich in entsprechend erkrankte Ratten transplantiert werden (wo die Bauchspeicheldrüse dann Insulin produzierte).
Es ist naheliegend, vergleichbare Konzepte zur Herstellung menschlicher Organe zu prüfen. Dazu haben die Wu et al. zunächst versucht, Ratten-Schwein-Chimären zu erzeugen. Diese Versuche waren bisher jedoch nicht erfolgreich, d. h. der Schweineembryo bildete keine Gewebe aus Rattenzellen. Das legt die Vermutung nahe, dass die Entwicklung dieser beiden Tiere solche Unterschiede aufweist, dass es keinen natürlichen Weg zur Bildung von Mischwesen gibt; sie scheinen zu unterschiedlich zu sein. Als die Autoren aber menschliche Stammzellen in Blastocysten von Schweinen einführten, konnten sie chimäre Föten nachweisen, die entwicklungsfähig waren (wenn auch nicht so gut wie die Ratte-Maus-Föten). Es ist nach diesen vorläufigen Erkenntnissen grundsätzlich möglich, in Schweinen menschliches Gewebe wachsen zu lassen. Der genaue Status dieser Chimären ist bisher nicht geklärt, aber die Aussicht, humane Transplantationsorgane auf diesem Wege zu gewinnen, erscheint als aussichtsreich (wenn auch das Ziel noch unabsehbar weit entfernt ist).
Solche Mischwesen sind durch klassische Kreuzung nicht zu gewinnen, die Keimzellen (Ei- und Samenzellen) sind nicht kompatibel. In den Chimären liegen in den verschiedenen Geweben auch entsprechend unterschiedliche Genome vor; es handelt sich also um Wesen mit uneinheitlichem Erbgut. Die bisher nicht erfolgreichen Versuche, Ratte-Schwein Chimären zu erzeugen, und auch die Beobachtung, dass die Mensch-Schwein-Chimären einen weniger starken Mischwesen-Charakter zeigten als die Ratte-Maus-Chimären, deuten an, dass es auch technisch nicht einfach ist, Artgrenzen bei dieser Art von Experimenten zu überschreiten. Die von Wu et al. beschriebenen Experimente bestätigen die bisherigen Erfahrungen von stabilen Grenzen zwischen „Arten“, die auch als Grundtypen beschrieben wurden.
Wie ist die Erzeugung solcher Mensch-Tier-Chimären ethisch zu bewerten?
Nach geltendem Recht (Embryonenschutzgesetz) ist die Erzeugung von Mensch-Tier-Chimären in Deutschland – zumindest derzeit – nicht legal. In einer Gesellschaft aber, in der die Gesundheit und Vitalität bis in ein immer höheres Alter als hochrangige Ziele erachtet werden und die bereit ist, dafür einen sehr hohen Preis zu bezahlen, muss man davon ausgehen, dass Forschung dieser Art – wenn auch von kontroversen Diskussionen begleitet – vorangetrieben werden wird. (Auch wenn derzeit nicht annähernd abgeschätzt werden kann, ob eine Anwendung z. B. zur Gewinnung menschlicher Organe zur Transplantation jemals möglich sein wird.)
Eine Verletzung der Würde des Menschen wird in den aktuellen Diskussionen angeführt. Dies trifft zwar die emotionale Befindlichkeit eines großen Teils der Öffentlichkeit, ist rational allerdings auf der Basis des vorherrschenden naturalistischen Weltbildes nur schwer zu begründen. Danach ist der Mensch aufgrund der natürlichen Gegebenheiten vollständig und umfassend zu verstehen und es gibt im Grunde keine wesentlichen Unterschiede zwischen Mensch und anderen Lebewesen. Bei Zugrundelegung dieses Menschenbildes ist es eigentlich konsequent, diese Forschung zu fördern und Funktionalität und Qualität menschlichen Lebens um (fast) jeden Preis zu erhalten und zu verbessern.
Bei Berücksichtigung biblischer Aussagen muss man dagegen zunächst festhalten, dass dort die Würde des Menschen an seiner Gottesebenbildlichkeit festgemacht wird. Der Mensch wird dort nicht als das am höchste entwickelte Lebewesen gezeichnet, sondern als besonderes Geschöpf Gottes, ihm ähnlich. Gott unterstellt die Tiere ausdrücklich dem Menschen. In der Thora, im Gesetz Moses, ist die Vermischung verschiedener Arten ausdrücklich untersagt.
In den Bemühungen zur (Bio-) Ethik zeigt sich, dass philosophische Überlegungen auf humanistischer Basis bisher wenig erfolgreich darin waren, klare Orientierung in drängenden Fragen zu liefern. Exemplarisch zeigen sich die Probleme in der Stellungnahme des Deutschen Ethikrats: „Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung“ (aus dem Jahr 2011). Die drei dort ausgewählten, exemplarischen Bereiche konnten von dem Gremium nur teilweise einhellig bewertet werden; es ist dort ein Sondervotum aufgeführt (S. 125 ff).
Aus der Sicht des Autors ist es zu wünschen, dass die verhältnismäßig restriktive Gesetzgebung in Deutschland in der Frage der Erzeugung von Mensch-Tier-Chimären nicht aufgeweicht, sondern – auch im Blick auf die Forschung – eine Grenzziehung beibehalten und dies verboten bleibt. Wir sollten als Gesellschaft in der Forschungspolitik andere, alternative Ansätze anregen und fördern.
Ein nüchterner Blick macht allerdings skeptisch, ob dies angesichts des Welt- und Menschenbildes in unserer Gesellschaft realistisch ist. Mit Mensch-Tier-Chimären sind große Hoffnungen zur Steigerung und Maximierung menschlicher Lebensqualität verknüpft. Die Vorstellung, dass menschliches Leben durch Tod begrenzt ist, ist ein Skandalon, das Menschen versuchen – auch unter Nutzung dieses Mittels – zu überwinden.
Anmerkungen
- Blastocysten stellen in der Embryonalentwicklung von Säugern das Stadium dar, das dem Morulastadium vorausgeht. In der humane Embryo nistet sich als Blastocyste in der Gebärmutter ein.
Quellen
- Deutscher Ethikrat (2011) Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung. www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-mensch-tier-mischwesen-in-der-Forschung.pdf (Zugriff 2. 2. 2017)
- Wu J. et al. (2017) Interspecies chimerism with mammalian pluripotent stem cells. Cell 168, 473-486.