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Bereichert die Evolutionstheorie den Glauben?



Anmerkungen und Anfragen zu einem Artikel von Hansjörg Hemminger
von Reinhard Junker

Ende 2010 wurde auf der Internetseite „Dialog Theologie & Naturwissenschaften“ der Evangelischen Kirche in Rheinland (www.theologie-naturwissenschaften.de) ein Leitartikel von Hansjörg Hemminger veröffentlicht und zur Diskussion darüber eingeladen.1 Der Artikel unter der Überschrift „Und Gott schuf Darwins Welt. Schöpfung, Evolution und der Protest des Kreationismus“ wurde im April 2013 auf der facebook-Seite „Forum Naturwissenschaft Theologie“ (FNT) verlinkt, was als Hinweis auf die Position des FNT angesichts einer Reihe von „kreationistischen“ Beiträgen verstanden werden sollte.2

Hier soll in einem teilweise persönlich gehaltenen Statement auf die zwei abschließenden Sätze des Artikels von H. Hemminger und zwei weitere Punkte eingegangen werden. Auf der Diskussionsseite von „Dialog Theologie & Naturwissenschaft“ wird die Frage aufgeworfen: „Bereichert die Evolutionstheorie den Glauben?“ und es werden die beiden Schlusssätze des Artikels wiederholt und zur Diskussion gestellt.3 Ich habe damals eine Antwort veröffentlicht, die ich an dieser Stelle anlässlich der aktuellen Verlinkung geringfügig überarbeitet wiederholen möchte.

Die beiden Schlusssätze von H. Hemminger lauten:

„Christen, die sich gegen die Evolutionstheorie wenden, um ihren Glauben abzusichern, tun dies paradoxerweise unter dem Zwang von Denkweisen, die wir aus der Evolution mitbringen. Christen, die ihren Glauben durch die Evolutionstheorie – wie durch alles Naturwissen – bereichert wissen, leben ihren Glauben in einer größeren, weiteren und menschlicheren Wirklichkeit.“

Mein Kommentar

Ich bin mit 22 Jahren während meines Biologiestudiums Christ geworden, habe angefangen, die Bibel zu studieren und bald gemerkt, dass die Evolutionstheorie grundlegenden Inhalten des christlichen Glaubens widerspricht. In der darauf folgenden kritischen Auseinandersetzung mit Evolutionsvorstellungen ging es mir nie darum, meinen „Glauben abzusichern“. Das gilt auch für alle sogenannten „Kreationisten“, die ich persönlich kenne. Vielmehr hat der christliche Glaube eine Basis, ohne die er nichtig wäre, nämlich die Taten Gottes in der Schöpfung und Geschichte, von denen wir in der Bibel erfahren, und die im Glauben erfasst werden sollen. Und nach 2. Kor 10,3-5 ist es ein Auftrag der Christen, Gedankensysteme, die diese Basis zerstören, Christus zu unterwerfen. Niemals geht es um eine „Absicherung“ mit Mitteln von Verstand und Wissenschaft, sondern darum, sich nicht sehenden Auges und unnötigerweise das Fundament des Glaubens zerstören zu lassen. Deswegen trifft es auch nicht zu, dass Kreationisten und Befürworter von „Intelligent Design“ die biblischen Schöpfungsaussagen „beweisen“ wollen oder dass ein Gottesbeweis angestrebt werde. Sondern: Wenn Gott souverän, durch „Kraft“, „Weisheit“ und „Einsicht“ (Jer. 10,12), durch sein Wort (Hebr. 11,3 u. v. a.) erschafft, dann darf man erwarten, dass sich das an Indizien in der Schöpfung erkennen lässt (vgl. Röm. 1,20). Gott ist dann auch kein Lückenbüßer; er hat alles erschaffen. Dass es so ist, erschließt sich dem glaubensoffenen Auge auch an manchen Kennzeichen der Schöpfung, nicht als Beweise, sondern als Hinweise, die sich auch wegerklären lassen.

Zum zweiten Satz des Schlussabsatzes: „Christen, die ihren Glauben durch die Evolutionstheorie – wie durch alles Naturwissen – bereichert wissen, leben ihren Glauben in einer größeren, weiteren und menschlicheren Wirklichkeit“: Es wird im Artikel von H. Hemminger nicht erklärt, inwiefern die Evolutionstheorie den Glauben „bereichert“. Dass es so sei wird von vielen zwar immer wieder behauptet, meistens jedoch ohne Begründung. Wenn Evolution als rein natürlicher Prozess angesehen wird, alleine bedingt durch das Wechselspiel von Mutation und Selektion, ohne jede Steuerung (denn sonst wäre es eine Spielart von „Intelligent Design“), dann kann man diesen Prozess eben nicht „Schöpfung“ nennen. Das wäre ein klarer Fall von Etikettenschwindel – es sei denn, man interpretiert die Evolution als vorprogrammiert. Aber auch das wäre wiederum eine Spielart von „Intelligent Design“ (Michael Behe, Autor von „Darwin’s Black Box“, scheint dieser Idee nahe zu stehen, Mike Gene, Autor des sehr lesenswerten Buches „The Design Matrix“4 vertritt sie explizit). Wenn Gott nicht in irgendeiner Weise steuernd im Evolutionsprozess wirkt, ist der Begriff „Schöpfung“ entleert. „Schöpfung durch Evolution“ ist dann keine Bereicherung, sondern eine Entleerung.

Warum in diesem Fall die Wirklichkeit „menschlicher“ werden soll, muss der Leser wohl selber herausfinden. Aus einem Evolutionsprozess, der viele Hunderte von Millionen Jahren buchstäblich schier endlos über Leichen geht, lässt sich sicher keine Menschlichkeit ableiten. Ich unterstelle niemandem, dass er aus dem unbarmherzigen evolutionären Wechselspiel von Mutation und Auslese ethische Maßstäbe ableiten will, aber es stellt sich doch die Frage, woher diese „menschlichen“ Maßstäbe kommen, wenn Gott nicht gezielt und eingreifend wirkt. Aus der Evolution heraus kommen sie sicher nicht, woher dann?

Hemminger zitiert Wolfgang Huber, dass Kreationismus eine „Verkehrung des Glaubens“ sei. Leider sagt Huber sehr wenig über den Inhalt des Schöpfungsglaubens, auch hier werden die Leser alleine gelassen. Im Kapitel über Schöpfung in Hubers Buch „Der christliche Glaube“ gibt es vor allem Abgrenzung: gegen Kreationismus, gegen „Intelligent Design“, gegen den neuen Atheismus. Was dazwischen noch übrig bleibt, sind Aussagen ohne Fundament, der Spitzensatz im Schöpfungskapitel in Hubers Buch lautet: „Der Glaube an Gott als den Schöpfer vermittelt die Gewissheit, dass diese Welt die Möglichkeit zum Guten in sich enthält; er erschließt einen Zugang zur Welt, der sich auf diese Güte verlässt und zu ihr beizutragen bereit ist. Dass Gott es mit der Welt im Ganzen ebenso wie mit meinem persönlichen Leben gut meint, ist der Grundsinn des Schöpfungsglaubens“ (Wolfgang Huber: Der christliche Glaube. Gütersloh, 2008, S. 37). Woher kommt diese Gewissheit? Aus den Taten Gottes? Was tut Gott überhaupt als Schöpfer? In welchem Bezug stehen diese Aussagen zur gegenständlichen Wirklichkeit?5 Ein so charakterisierter Schöpfungsglaube ist in Wirklichkeit leer. Hubers Behauptung erscheint ohne Basis in der gegenständlichen Welt willkürlich, wenn nicht widersprüchlich zu einer Welt, die ihre Entstehung alleine natürlichen Prozessen und Gesetzmäßigkeiten zu verdanken hat.

Ich schließe mit der nicht rhetorisch gemeinten Frage: Was ist der Inhalt des Schöpfungsglaubens, wenn Evolution vollständig durch Naturgesetze und zufällige Randbedingungen erklärt werden kann, wenn Gott nie eingreift, und wenn die Evolution auch nicht auf ein Ziel vorprogrammiert ist? Ich habe viele theologische Aufsätze dazu gelesen, aber eine klare positive Bestimmung von Schöpfungsglauben unter den in dieser Frage formulierten Vorgaben nicht gefunden. Stattdessen werden inhaltliche Bestimmungen des Schöpfungsglaubens geboten, die diesen auf Innerliches und Subjektives oder auf völlig vage Aussagen reduzieren.6

Anmerkungen

  1. www.theologie-naturwissenschaften.de/startseite/leitartikelarchiv/evolution-und-schoepfung.html
  2. www.facebook.com/Forum.Naturwissenschaft.Theologie/posts/562541680453117
  3. www.theologie-naturwissenschaften.de/diskussion/blog/einzelansicht/datum/2010/12/02/zum-artikel-und-gott-schuf-darwins-welt-von-hansjoerg-hemminger.html
  4. Buchbesprechung hier: www.si-journal.de/jg15/heft1/sij151-r2.html
  5. siehe dazu: B. Kaiser: Die EKD und die Abschaffung der Schöpfung. Eine Stellungnahme zur aktuellen Kreationismusdebatte aus theologischer Sicht
  6. vgl. meine Rezension des Buches: Hans Kessler, „Hans Kessler: Evolution und Schöpfung in neuer Sicht“ (Kevelaer 2009)