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Evangelische Kirche: Schulterschluss mit der AG Evolutionsbiologie?



Die AG Evolutionsbiologie versucht die Arbeit der Studiengemeinschaft Wort und Wissen zu diskreditieren. Neuerdings erhält sie dafür auch Unterstützung durch den Weltanschauungsbeauftragten der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, den Biologen Dr. Hansjörg Hemminger. (Von der AG Evolutionsbiologie wird er als „Sektenbeauftragter“ bezeichnet.)

Begleittext der AG Evolutionsbiologie

Ein Beitrag Hemmingers auf der Website der AG Evolutionsbiologie wird wie folgt angekündigt:

„Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen zählt zu den entschiedensten Kritikern der Evolutionswissenschaften im deutschsprachigen Raum. Das Bild, das sie nach Außen hin abgibt, ist heterogen und spiegelt z.T. auch widersprüchliche Positionen wider. Auf der einen Seite gelangt z.B. S. Scherer als Mitglied im Leitungsgremium zu der bemerkenswerten Einsicht, ‚dass ein junges Alter … des Universums und der Erde nur entgegen der meisten derzeit akzeptierten astronomischen und geophysikalischen Daten geglaubt werden kann.’ … Im Gegensatz dazu kommt im evangelikalen Unterstützerkreis die Botschaft an, die zeitliche Zuordnung der geologischen Systeme sei aufgrund empirischer Daten ‚begründet infragezustellen’ (so z.B. H. Binder, ähnlich R. Wiskin oder W. Gitt).“ (http://www.evolutionsbiologen.de/news.html; Newsbeitrag vom 24. 11. 2007, offline bei Überprüfung am 8.10.2019).

Zunächst sei angemerkt, dass es in der Studiengemeinschaft Wort und Wissen weder Denk- noch Glaubenszwang gibt. Selbstverständlich sind die Mitglieder nicht völlig homogen, sondern diskutieren sowohl theologische als auch naturwissenschaftliche Fragestellungen, mitunter auch kontrovers. Das ist ein Zeichen für eine reife und wissenschaftliche Diskussion. Abgesehen davon hat die SG Wort und Wissen bereits 1996 einen Diskussionsbeitrag veröffentlicht („Die naturwissenschaftliche Forschung von “Wort und Wissen” – eine Bilanz“), in dem festgehalten wird: „Es ist unklar, wie die gewaltigen geologischen Prozesse wie etwa die Plattentektonik (Kontinentaldrift) oder die Abkühlung riesiger Magmamassen im biblischen Kurzzeitrahmen erklärt werden sollen. … Wir müssen passen, wenn wir erklären sollen, wie die radiometrischen Daten alternativ in einem sehr engen Kurzzeitrahmen gedeutet werden sollen (die Langzeitdeutungen sind zwar kritisierbar, aber damit haben wir nicht automatisch Argumente für den biblisch begründeten Kurzzeitrahmen).“

Also: Eine junge Erde können wir naturwissenschaftlich derzeit nicht begründet vertreten; es gibt unseres Erachtens aber auch ernsthafte Einwände gegen eine alte Erde. Daher stellen wir die zeitliche Zuordnung der geologischen Systeme in Frage, wohl wissend, dass es dennoch viele Befunde gibt, die sich nach gegenwärtiger Kenntnislage gegen die Sicht von einer jungen Schöpfung sperren. Ist es so ungewöhnlich, dass man seine eigene Position auch selbstkritisch beurteilt?

In dem Newsbeitrag wird weiter behauptet: „Von führenden W+W-Vertretern wird betont, man beabsichtige nicht, Gott als erklärendes Element in die Wissenschaft zu integrieren – Glaube und Wissenschaft werde strikt getrennt. Auf der anderen Seite reden etliche W+W-Texte, oft im Deckmantel des Intelligent Design, eben diesem Erklärungsanspruch das Wort. In einem Text, der sich eher an die Evangelikalen richtet, heißt es, zum Begreifen der Herkunft, Beschaffenheit und Zukunft der Schöpfung, reichten ‚wissenschaftliche Erkenntnisse nicht aus, sondern es bedarf der Integration (sic!) im Wort Gottes geoffenbarter Wahrheiten’.“ Anders als hier behauptet wird von Wort und Wissen „Gott als erklärendes Element“ nicht in die in die Wissenschaft integriert. In unserem Text ist vom Wort Gottes die Rede, das man zum Begreifen der Herkunft, Beschaffenheit und Zukunft der Schöpfung benötigt. Das würde so vermutlich auch Dr. Hemminger sagen, auch wenn er diesen Satz mit einem anderen Inhalt füllt als wir. Selbstverständlich integrieren wir zu diesem Zweck „im Wort Gottes geoffenbarte Wahrheiten“ in unser Denken und Glauben. Genauso selbstverständlich taucht Gott damit nicht in naturwissenschaftlichen Theorien auf. Wir machen in Wirklichkeit sehr genau klar, wo eine naturwissenschaftliche Argumentation an ihre Grenzen kommt, über die hinaus wir biblisch begründete Glaubensaussagen machen. Jeder Leser unserer Texte kann sich davon leicht selber überzeugen.

Zum Text von Dr. Hemminger

Der Text von Dr. Hemminger hebt ebenfalls auf vermeintliche Widersprüche der Wort und Wissen-Arbeit ab (http://www.evolutionsbiologen.de/hemminger_w+w.html, offline bei Überprüfung am 8.10.2019). Dort zitiert er (nach dem oben bereits genannten Satz) aus Siegfried Scherers privater Homepage: „Auch die Annahme, dass die meisten geologischen Schichtfolgen in einem Jahr gebildet wurden, erscheint mir mit geologischen und paläontologischen Daten unvereinbar.“ Dies entspricht genau der Position der SG Wort und Wissen. Im oben erwähnten Diskussionsbeitrag heißt es auch: „Wir können nicht schlüssig aufweisen, wo Beginn und Ende der Sintflut in der geologischen Überlieferung liegen.“ Details werden im Buch „Sintflut und Geologie“ erläutert, und Wort und Wissen verfolgt aus genau diesem Grund eine biblisch-urgeschichtliche Geologie (siehe dazu „Entgegnung auf Kritik an der biblisch-urgeschichtlichen Geologie“ und „Warum vertritt WORT UND WISSEN eine biblische Kurzzeit-Erdgeschichte, aber kein geologisches Sintflut-Modell?“).

Auch die folgenden zitierten Sätze entsprechen im Wesentlichen der Position von Wort und Wissen: „Die unter Kreationisten hin und wieder erhobene Forderung, Evolutionsforschung nicht mit öffentlichen Mitteln zu fördern, halte ich für wissenschaftsfeindlich. Den Versuch, Schöpfungslehren im naturkundlichen Unterricht zu verankern, kann ich nicht nachvollziehen. Noch abwegiger wäre das Vorhaben, die Evolutionslehre aus dem Biologieunterricht zu entfernen“ (vgl. dazu „Evolution und Schöpfung in der Schule“).

Im Weiteren zitiert Hemminger aus einem persönlichen Schreiben von Reinhard Junker und Henrik Ullrich, und behauptet, für Wort und Wissen seien die „theologischen Auswirkungen (!) einer naturwissenschaftlichen Theorie … entscheidend für ihre Annahme oder Ablehnung.“ Das ist falsch, das haben die beiden Absender auch nicht geschrieben, wie Hemminger selbst zitiert: „Die Berechtigung für eine theologische Beurteilung von Evolutionslehren hängt nicht davon ab, wie gut oder schlecht diese naturwissenschaftlich begründet sind, sondern davon, welche Konsequenzen sich aus ihrer möglichen Wahrheit für das Gesamtverständnis der Heiligen Schrift und das christliche Glaubenszeugnis ergeben.“

Es geht also um die Berechtigung für eine theologische Beurteilung von Evolutionslehren („theologisch“ ist im Original kursiv gesetzt, diese wichtige Hervorhebung hat Hemminger leider nicht übernommen). Es ist schon dreist, daraus entnehmen zu wollen, dass für uns die theologischen Auswirkungen einer naturwissenschaftlichen Theorie entscheidend für ihre Annahme oder Ablehnung seien. Besonders befremdlich ist in diesem Zusammenhang, dass Hemminger aus einem persönlichen Schreiben zitiert, das seine Leser nicht einsehen und überprüfen können. Tatsächlich heißt es in diesem Schreiben weiter: „Die Auseinandersetzung mit den Evolutionstheorien und der Stichhaltigkeit der Evolutionsbeweise kann in einem naturwissenschaftlichen methodisch festgelegten Rahmen unabhängig von theologischen Argumenten und weltanschaulich begründenden Motivationshintergründen erfolgen. Naturwissenschaftliche Evolutionskritik ist unabhängig vom weltanschaulichen Hintergrund des Kritikers zulässig und notwendig“ (Hervorhebung hier hinzugefügt).

Interne Widersprüche?

Weiter schreibt Hemminger: „Die vermutlich rund 70 evangelischen Bekenntnisschulen, die das Buch von Junker und Scherer sowie das Lehrbuch ‚Creatio’ verwenden, tun dies, weil sie ihren Bibelfundamentalismus mit der naturwissenschaftlichen Autorität von Fachleuten begründen wollen. Deren Markenprodukt ist die Widerlegung der langen Erd- und Naturgeschichte zugunsten der sechs Kalendertage. Wenn nun Vorsitzender und Geschäftsführer sagen, dass dieses Produkt eigentlich nicht zu haben ist, setzen sie sich zu ihren eigenen Aktivitäten und deren Wirkungsgeschichte in Widerspruch.“

Hier ist fast alles falsch. Richtig ist: Die christlichen Bekenntnisschulen sind bezüglich der Ursprungsfrage recht heterogen. Wort und Wissen vermittelt in seinen Pädagogentagungen und in der populären Literatur auch die Schwierigkeiten einer naturwissenschaftlichen Begründung einer jungen Erde. In Fachliteratur und populärer Literatur sowie auf Tagungen wird also mit einer Zunge gesprochen. Auch das Buch „Creatio“ vermittelt diese Schwierigkeiten. So heißt es zum Beispiel in der Zusammenfassung des Kapitels über das Alter der Erde: „Auf die Frage, wie die hohen radiometrischen Alter für die Gesteine einer ‘jungen’ Schöpfung begründet werden können, steht eine schlüssige Antwort noch aus.“ Das deckt sich mit dem, was in „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ zu dieser Frage gesagt wird. (Wir geben allerdings die Suche nach Antworten nicht auf.) Vergleichbare kritische Sätze finden sich auch in anderen Kapiteln von „Creatio“. Hemminger ist offenbar schlecht informiert, und damit erübrigt sich seine nachfolgende Vermutung: „Aber dieser Widerspruch muss wohl sein, denn Zweifel am Kurzzeit-Kreationismus … würden der Studiengemeinschaft ihre Basis kosten. Dass die Leitung des Werks nicht so kann, wie sie will, ist eine Vermutung, aber sie liegt nahe.“ Es liegt nicht nahe – es ist falsch. Hemminger mutmaßt hier, statt sich der Fakten zu vergewissern.

Mit weiteren Unterstellungen dieser Art geht es weiter, die nicht alle kommentiert werden können. Die Ausführungen gipfeln in der abwegigen Behauptung: „Man will nicht wirklich wissen, was der Fall ist.“ Dazu hat Martin Neukamm, der Geschäftsführer der AG Evolutionsbiologie, in den Text Hemmingers folgende Anmerkung angefügt:

„Ein Biowissenschaftler, der das ‚evolutionskritische Lehrbuch’ von Junker/Scherer kürzlich erstmals las, schilderte (sic) mir einen ähnlichen Eindruck. In einer persönlichen eMail schrieb er: ‘… ich war schon etwas erstaunt, wie wirklich wenig interessiert diese Herren daran sind, mal die Gedanken spielen zu lassen, um mögliche Erklärungswege… [für das Entstehen der Bakterienflagellen] zu finden. Ich habe den Eindruck, das Motto ist: was nicht sein darf, das kann halt nicht sein, und darum bemühen wir uns auch nicht, Erklärungswege zu finden.’“ In Wirklichkeit werden gerade am Beispiel der Bakterienflagelle verschiedene hypothetische Entstehungswege ausführlich diskutiert. Der ungenannte Evolutionsbiologe könnte ja auch eine Erklärung vorschlagen. Es ist gerade nicht im Sinne der Naturwissenschaft, offene Mechanismenfragen mit ein paar flotten Sprüchen zu überspielen, sondern es geht darum, konkrete Entstehungshypothesen zu formulieren, die sich dann im naturwissenschaftlichen Test bewähren können. Genau dies geschieht hinsichtlich der Bakterienflagellen in unserem kritischen Lehrbuch, ist aber für den ungenannten Biologen wohl weniger interessant.

Wo steht die Evangelische Kirche?

Befremdlich ist bei alledem schließlich der Schulterschluss zwischen einem kirchlichen Weltanschauungsbeauftragten und einer Arbeitsgemeinschaft, die laut Linkliste der explizit atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung ähnliche Ziele wie diese verfolgt (http://www.giordano-bruno-stiftung.de/Verbindungen/andere.html, offline bei Überprüfung am 8.10.2019). Sollte es einen Kirchenmann nicht stutzig machen, dass die AG Evolutionsbiologie mit scheinbar wissenschaftlicher Begründung einen sogenannten ontologischen Naturalismus verfolgt? Über diese sehr deutlich sichtbaren Ziele der AG Evolutionsbiologie verliert Hemminger kein Wort. Man würde sich als Christ wünschen, dass diese offensichtliche Vermischung von Wissenschaft und Weltanschauung mit dem gleichen Eifer aufgearbeitet wird wie die scheinbar dem christlichen Glauben schadenden Aktivitäten von Evolutionskritikern. Dass dies auch eine wichtige Aufgabe für einen kirchlichen Weltanschauungsbeauftragten wäre, wird gerade unter dem Eindruck des Siegeszuges von Dawkins „Gotteswahn“ in der Öffentlichkeit deutlich. Hier sind alle Christen betroffen, auch diejenigen, welche die Evolutionslehre akzeptieren, wenn ihr Schöpfungsglaube überhaupt irgendeinen Inhalt haben und nicht in der Innerlichkeit der eigenen Psyche aufgehen soll. Hier werden alle Christen angefragt, die die Realität Gottes nicht nur als abstrakten Gedanken, sondern als existentielle Wirklichkeit bezeugen. Daher sei abschließend an die kirchlichen Weltanschauungsstellen der Wunsch gerichtet, diesen Part der Auseinandersetzung zu übernehmen.