Skip to main content

Ein veraltetes Weltbild im biblischen Schöpfungsbericht?



Raqia im Alten Testament1

Eines der Argumente, mit denen dem biblischen Schöpfungsbericht ein veraltetes Weltbild unterstellt wird, bezieht sich auf den Begriff “Feste” oder “Firmament” in 1. Mose 1,6-8 (hebr. raqia). Mit diesem Begriff wird ein “Käseglocken- Weltbild” verbunden, das dem Autor vor Augen gestanden habe: Demnach sei die “Feste” als eine Art Dach aufgefasst worden, das über der Erde aufgespannt sei und an welchem die Himmelskörper angeheftet worden seien. Eine Wortstudie des Begriffs raqia zeigt jedoch, dass ihm die Vorstellung eines festen “Himmelszeltes” nicht entnommen werden kann.

Inhalt

  1. Wortfeld und Etymologie
  2. Einzeluntersuchungen
  3. Zusammenfassung und Schlussfolgerung

1. Wortfeld und Etymologie

Das hebräische Wort raqia wird gewöhnlich mit “Feste” oder “Firmament” übersetzt und häufig mit dem Bedeutungselement “Festigkeit” verknüpft. Aber gehört dieses Element tatsächlich zur beabsichtigten Bedeutung? Sagt das Wort etwas über ein (primitives) biblisches Weltbild aus, etwa in Form einer festen Kuppel, die über der Erde angebracht ist? Genannte Übersetzungen orientieren sich wohl primär am griechischen steréoma der Septuaginta2 (griech. Übersetzung des AT) und am lateinischen firmamentum der Vulgata (lat. Übersetzung).

Wie ist nun die Verwendung, der mit raqia verwandten Wörter im Alten Testament3? Das Substantiv riqua bezeichnet tatsächlich “Gehämmertes, platt Geschlagenes = Blech” (Num 17,3). Das Verb rq’ (11× AT) bedeutet “(mit den Füßen) stampfen, zertreten” (2Sa 22,43; Hes 6,11; 25,6) oder “breit hämmern, (mit Blech) überziehen” (Ex 39,3; Num 17,4; Jes 40,19; Jer 10,9), wenn es um Metallverarbeitung durch Kunsthandwerker geht. Hingegen liegt in Jes 42,5; 44,24; Hi 37,18 und Ps 136,6, wo Gottes Schöpfungstätigkeit beschrieben wird, die Bedeutung “ausbreiten” vor.4 Das Substantiv raqia selbst begegnet 17× im AT: Gen 1,6.7(3×).8.14.15.17.20; Hes 1,22.23.25.26; 10,1; Ps 19,2; 150,1; Dan 12,3. Im Folgenden steht als Rohübersetzung “Feste” oder einfach raqia, um keine bestimmte Vorgabe zu vermitteln. Methodisch ist es sinnvoll, zunächst die weniger umstrittenen Texte zu analysieren, um sich dann Hes 1 und Gen 1 zuzuwenden.

2. Einzeluntersuchungen

Psalm 19,2

(1) “Der Himmel (A) preist (B) die Herrlichkeit Gottes (C),

(2) und das Werk seiner Hände (C’) verkündet (B’) der raqia (A’).”

Es liegt ein chiastischer Parallelismus (ABC – C’B’A’) vor, in dem sich die Subjekte “Himmel” und raqia entsprechen und austauschbar sind. Das seltenere Wort steht meist in der zweiten Vershälfte. Der Psalmist staunt über den Himmel und erblickt darin Gottes Größe und Schöpfermacht. David wird die Ordnung und Bewegung der Himmelskörper vor Augen haben, die sich am Firmament befinden, da in V.5b-7 von der Bahn der Sonne am Himmel die Rede ist. In Ps 8,4 wird hingegen eher an den nächtlichen Himmel zu denken sein. Die Schönheit und Majestät des Himmels legt von Gottes Macht und Herrlichkeit Zeugnis ab.

Psalm 150,1

(1) “Halleluja! Lobt Gott in seinem Heiligtum!
(2) Lobt ihn in seinem mächtigen raqia!”

Das Halleluja findet sich in Ps 146-150 jeweils als Rahmung. In Ps 150 erscheint dann 10× der Imperativ halelu, 9× mit der Präposition b (lokal oder instrumental). “Heiligtum” (qodäsch) meint entweder den Tempel als Ort des Gottesdienstes und Gotteslobes, aufgrund des Parallelismus hier aber den himmlischen Palast (hekal). Gott thront in seinem himmlischen Heiligtum (1), das hier als “mächtige Festung” (reqia uso) bezeichnet wird (2). Die Genitiv-Konstruktion reqia uso findet sich nur an dieser Stelle und ist mit “mächtige Festung” wiederzugeben (Genitiv der Eigenschaft). Während der erste Vers vom himmlischen Lobgesang spricht, wendet sich die Aufmerksamkeit dann der Erde zu: Der Lobgesang im Himmel, also am Ort der göttlichen Präsenz, an Gottes Wohnstätte, soll seinen Widerhall im irdischen Lob finden. Diese Bewegung findet sich auch in Ps 148, wo in der ersten Hälfte des Psalms (V.1- 6) das Gotteslob im Himmel seinen Ursprung findet, dann aber ab V.7 auf die Erde übergeht. Ps 148,13b fasst beide Bereiche abschließend zusammen: “seine Hoheit ist über Erde und Himmel” (vgl. auch Ps 29,9-10, wo übrigens wie in Ps 148,4 der Wohnort Gottes mit himmlischen Wassern in Verbindung gebracht wird).

Daniel 12,3

(1) “Aber die Einsichtigen werden leuchten wie der raqia-Glanz
(2) und die, die vielen zur Rechtschaffenheit verholfen haben, wie die Sterne immer und ewig.”

Auch dieser Vers ist als Parallelismus aufzufassen, wobei die “Einsichtigen” denen entsprechen, “die vielen Gerechtigkeit verschafft haben” (vgl. Jes 53,11). In 12,2 war von der zweifachen Auferstehung die Rede, die hier anhand der auferweckten Gerechten in 12,3 weiter konkretisiert wird: Sie werden mit dem “Glanz des Firmaments” (1. Hälfte) bzw. den leuchtenden “Sternen” (2. Hälfte) verglichen. Wie auch in den beiden diskutierten Psalm-Stellen (19,2; 150,1) steht hier der raqia synonym zu “Himmel”; die Septuaginta übersetzt dann auch mit ouranos “Himmel”. Die Verherrlichten werden leuchten wie die Himmelskörper bzw. der strahlende Himmel selbst (vgl. auch die verklärten Lichtgestalten in Hes 8,2 [ebenfalls mit sohar] und Dan 10,6 sowie die Beschreibung der glänzenden Gottesschau in Ex 24,10: ukeäzäm haschamajim lathohar “wie der Himmel an Klarheit”).

Hesekiel 1,22-26; 10,1

V.22 “Über den Köpfen des lebendigen Wesens war etwas wie ein raqia ausgestreckt, wie ein furchtbarer Kristall, über ihren Köpfen.”

In Hesekiels Vision der Herrlichkeit Jahwes, der sog. “Thronwagenschau”, in Hes 1 steht der raqia wie in den obigen Stellen wohl für den Himmel; die Bezeichnung schamajim “Himmel” fehlt. In V.20-22a wird das “lebendige Wesen” singularisch beschrieben, während ansonsten von vier Wesen im Plural die Rede ist, die eng mit den Rädern verbunden sind. Ab V.22 wird der Blick nach oben auf die menschliche Gestalt gelenkt, die auf dem raqia thront (1,26; 10,1). Wie wird der raqia nun näher beschrieben? Er wird zum ersten Mal in V.22a erwähnt und “über den Häuptern [Inclusio] des lebendigen Wesens” platziert. Sein Aussehen gleicht dem funkelnden Kristall. Danach werden in V.23-25 die akustischen Phänomene der Vision Hesekiels geschildert: Während in V.23-24 die rauschenden Flügel beschrieben werden, die sich “unterhalb der Feste” (tachat haraqia) befinden, wendet sich der Blick in V.25 wieder “oberhalb der Feste über ihren Häuptern” (meal laraqia aschär al-roscham) zu: Von dort ertönt nämlich eine Stimme. Noch bleibt ungeklärt, wer der Sprecher ist; das Geheimnis wird allmählich enthüllt.

V.26 greift mit “oberhalb der Feste über ihren Häuptern” (umimaal meal laraqia aschär al-roscham) auf V.22 zurück. Erst jetzt ist der Höhepunkt der Vision erreicht: Nach der ausführlichen Beschreibung des “Unterbaus” wird als Höhepunkt die eigentliche Gottesschau in V.26-28 beschrieben. Hesekiel sieht eine thronende menschliche Gestalt voller Glanz und Herrlichkeit und vergleicht den sich auf dem raqia befindlichen Thron mit einem “Lasurstein” (äbän-saphir). Der Himmelsglanz und der Vergleich mit dem Lapis Lazuli deuten auf eine engen Zusammenhang mit der Vorstellung in Ex 24,10 (s.o. zu Dan 12,3). Auch dort wird Gott als auf dem Himmel thronend dargestellt. V.26 wird übrigens in 10,1 fast wörtlich wiederholt, wo Hesekiel nochmals die Vision der Herrlichkeit Jahwes schaut.

Zurück zur Beschreibung des raqia: Zwar könnte vom Verb “ausbreiten” (nth, V.22) her an ein Tuch oder einen Baldachin gedacht sein, die Verwendung von qärach “Kristall” lässt aber möglicherweise eher an etwas Statisches denken. So meint qärach in Hi 6,16; 37,10 das Eis und in Ps 147,17; Hi 38,29 den Hagel und bezeichnet hier den Glanz des Himmels, der wie ein Kristall funkelt; vgl. die Septuaginta, die mit krustallos übersetzt. Von daher ist die Frage berechtigt, ob der Gedanke der Festigkeit und Stabilität des raqia hier überhaupt impliziert ist. Der Vergleich hat vor allem den außergewöhnlichen Glanz im Auge, der auch bei der Beschreibung der Gestalt in V.27-28 von ausschlaggebender Bedeutung ist: “glänzendes Metall”, “Regenbogen”, 2× “Feuer”, 2× “Glanz”. Die genannten Beobachtungen legen nahe, raqia einfach als Synonym zu schamajim “Himmel” aufzufassen und dass Hesekiel “mit der Verwendung von rqy’ … als Bezeichnung für den Himmel vertraut gewesen ist”5 , da auch an allen anderen Stellen raqia den Himmel bezeichnet. Gott thront auf dem Himmel. Ob der raqia eine Plattform darstellt, ist bei einer logischen Rekonstruktion der Thronwagen-Beschreibung vielleicht naheliegend, geht aber aus dem Text nicht explizit hervor; es wird keine Aussage über die Form, Größe oder Dicke gemacht. Der Nachdruck liegt vor allem auf dem überwältigenden Glanz aller Erscheinungen.

Genesis 1

V.6: “Dann sprach Gott: Es sei ein raqia mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. V.7: Da machte Gott den raqia und schied das Wasser unter dem raqia von dem Wasser über dem raqia. V. 8: Und Gott nannte den raqia ,Himmel’.”6

Am zweiten Schöpfungstag erschafft Gott den raqia als Scheidung, um das Wasser zu trennen (1,6). Nun befindet sich Wasser über und unter dem raqia, wie 1,7 konkreter erklärt. Zurückgegriffen wird auf 1,2, wo bereits vom Wasser die Rede war. Impliziert ist hier, dass Gott mittels der Feste die Trennung des Wassers vollzieht.7 Verschiedene Vorstellungen von Wassermassen über dem Himmel begegnen auch in Gen 7,11; 8,2; 2Kö 7,2.19; Ps 104,3.13; 148,4. Wie man sich das in Gen 1,6-7 konkreter vorzustellen hat, bleibt aber offen. Das “über” (meal) in 1,7b kann auch “neben” (wie in 2Chr 26,19b; Jer 36,21) bedeuten, sodass man das “Wasser oben am Himmel” auch als Wolken aufgefasst hat 8 (vgl. Hi 36,27f). Der bewegte Wolkenhimmel lässt sich nicht mit der Vorstellung einer festen Kuppel vereinen (ebenso wenig die bildhaften Vergleiche in Jes 40,22 und Ps 104,2). Weder ist von Form und Aussehen des raqia die Rede noch von der Art und Weise des Erschaffens oder dem Ausgangsmaterial. Der Bericht macht nur eine Aussage hinsichtlich der Funktion: Der raqia dient der Scheidung des Wassers. Deshalb wird hier der sichtbare Himmel gemeint sein, während der polare Ausdruck “Himmel und Erde” in 1,1 als Überschrift des Schöpfungsberichtes zur Bezeichnung des gesamten Kosmos dient. 1,9 führt dann aus, dass sich am dritten Tag die “Wasser unterhalb des Himmels” als Meere sammeln sollen, sodass das trockene Festland erscheinen kann. Das Verb “scheiden” (bdl) wird in 1,4 für die Trennung von Licht und Finsternis am ersten Tag verwandt. Die ersten drei Tage dienen also der Bereitung des Lebensraums, der in den weiteren drei Tagen jeweils entsprechend gefüllt wird. Durch dieses Scheiden ermöglicht Gott einen Lebensraum.

Erst mit der Benennung in 1,8 wird deutlich, dass es sich bei der “Feste” um nichts anderes als den Himmel selbst handelt. 1,9 führt die Identifizierung dann konsequent weiter. In 1,14.15.17.20 begegnet dann der Ausdruck “Himmelsfeste” (reqia haschamajim), ein Genitiv der Näherbestimmung. Dort bringt Gott die Himmelskörper an, die auf die Erde scheinen sollen (V.14-17). Den Vögeln wird der Luftraum unterhalb dieser Himmelsfeste zugewiesen.

3. Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Alle Vorkommen von raqia lassen sich derart verstehen, dass raqia synonym zu “Himmel” (schamajim) verwendet wird, ohne dass ein Zusammenhang mit riqua “Gehämmertes” oder dem Verb rq’ besteht. In Ps 19,2; 150,1; Dan 12,3 ist dies deutlich der Fall, wahrscheinlich auch in Hes 1; 10,1, wo das Wort “Himmel” gar nicht begegnet. Der Ausdruck “Himmelsfeste” in Gen 1,14.15.17.20 und die Benennung des in 1,6.7 beschriebenen raqia in 1,8.9 als “Himmel” macht dies auch für Gen 1 annehmbar. Insgesamt werden kaum Aussagen über die Beschaffenheit, Form usw. des raqia, sondern hauptsächlich über seine Funktion gemacht. Aufgrund dessen können auch nicht Weltbilder wie z.B. das einer festen Kuppel, einer Blechschale usw. von außen in die Texte hineingetragen werden, zumal die etymologische Bedeutung keine Rolle zu spielen scheint.

Anmerkung

  1. Es handelt sich um ein überarbeitetes Referat, das auf dem FAGAT-Seminar am 11. März 1996 gehalten wurde.
  2. Die Septuaginta übersetzt raqia in Dan 12,3 mit “Himmel”, in Ex 24,10 “Himmel” mit “Himmelsfeste”, in Dtn 33,26b “Wolken” mit “Feste”.
  3. Alle biblischen Belegstellen werden angeführt. Leider helfen die verwandten semitischen Sprachen bei der Ermittlung der Wortbedeutung kaum weiter. Das ugaritische rq bedeutet vielleicht “Platte”, das phönizische mrq’ vielleicht “Blechschale”.
  4. Andere sehen das verwandte Verb rqq I mit der Bedeutung “dünn sein” zugrunde liegen (s. ThWAT, Bd. 7, Sp. 668f).
  5. C. HOUTMAN, Der Himmel im Alten Testament. Israels Weltbild und Weltanschauung, OTS 30, Leiden 1993, S. 226 (S. 222-231 zu raqia).
  6. Vgl. P.H. SEELEY, “The Firmament and the Water Above. I. The Meaning of raqîa in Gen 1:6-8″, WThJ 53 (1991), S. 227-240.
  7. Anders verhält es sich im Schöpfungsmythos Enuma elisch IV,135-140, wo der Gott Marduk die Tiamat besiegt, zerteilt und daraus Erde und Himmel bildet. Gen 1 zeichnet sich in verschiedener Hinsicht durch eine gewisse “entmythologisierende” Tendenz aus. Siehe C. WESTERMANN, Genesis, Bd. 1, BK.AT, Neukirchen 1983 3 , z.St. 8 So vor allem reformierte Ausleger im Anschluss an Calvin (vgl. aber bereits Kirchenvater JOHANNES PHILOPONOS).