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„95 Thesen gegen die Evolution“ von ProGenesis


Der schweizerische Verein „ProGenesis“ hat 95 Thesen gegen die Evolution als Buch und auf der Website http://www.0095.info herausgebracht. Am 150. Jahrestag der Herausgabe von Darwins „Über die Entstehung der Arten“, dem 24. November 2009, sind dazu öffentliche Aktionen geplant. ProGenesis will mit dem Buchtitel an den Reformator Martin Luther erinnern, der am 31. Oktober 1517 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen haben soll. Er stellte die seinerzeit verbreitete Ablasspraxis in Frage und prangerte andere Missstände in der Kirche an (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/95_Thesen). Diese Aktion Luthers habe – so ProGenesis – „eine Kettenreaktion ausgelöst, die schliesslich zur Reformation führte. In ähnlicher Weise sollen die hier vorliegenden 95 Thesen zu einem Umdenken in der Ursprungsdebatte beitragen.“
Als Zielsetzung des Buches und der damit verknüpften Aktionen formuliert ProGenesis, man wolle sich „dafür einsetzen, dass in der Diskussion um den Ursprung der Menschheit, des irdischen Lebens und des Kosmos ein freier Umgang mit wissenschaftlichen Daten, Interpretationen und weltanschaulichen Positionen möglich wird.“ Evolutions-, Ursuppen- und Urknalltheorie werden als Dogmen bezeichnet, die nicht mehr als allein seligmachende Wahrheiten gepredigt werden dürften.

Stellungnahme der Studiengemeinschaft Wort und Wissen

1. Offene Diskussion?
Grundsätzlich stellt sich die SG Wort und Wissen hinter das Bemühen von ProGenesis, die Wahrheit und Zuverlässigkeit der Bibel in allen ihren Aussagen zu bezeugen. Das Anliegen einer offenen Diskussion über Evolution und ihrer naturwissenschaftlich begründeten Kritik wird von der SG Wort und Wissen ebenso unterstützt. Die vorgelegten Thesen verfolgen aber eine andere Zielsetzung. Ein Großteil der Argumente richtet sich nicht allein gegen die biologische Evolution, sondern stellt die Interpretation wissenschaftlicher Befunde für ein hohes Erd- und Kosmosalter in Frage. In den „95 Thesen“ wird gar nicht für eine aus naturwissenschaftlicher Sicht offene Diskussion plädiert, sondern behauptet, dass Evolution prinzipiell als Deutungsrahmen der Naturgeschichte widerlegt sei. Auch wenn die SG Wort und Wissen überzeugt ist, dass viele Befunde gegen eine allgemeine Evolution der Lebewesen sprechen, sind dennoch zahlreiche wissenschaftiche Daten in einem evolutionären Deutungsrahmen plausibel deutbar. Das Bild, das die 95 Thesen zeichnen, ist insgesamt unrealistisch und einseitig. Damit wird derselbe Fehler begangen, den man Evolutionstheoretikern vorwirft.

2. Fachliche Qualität der Thesen
Eine Reihe von Thesen ist inhaltlich teilweise oder vollständig falsch, besonders die Thesen, die Altersfragen, Geologie und die Entstehung des Kosmos betreffen. Zahlreiche weitere Thesen zeichnen ein äußerst einseitiges Bild der Interpretation von Fakten, indem aus komplexen Sachverhalten Einzelbefunde herausgegriffen werden, ohne dass der Gesamtzusammenhang berücksichtigt wird. Zwar verfolgt auch die SG Wort und Wissen in ihrer wissenschaftlichen Arbeit den Leitgedanken einer kurzen Erdgeschichte, die mit der biblischen Überlieferung kompatibel ist, räumt aber ein, dass zahlreiche Befunde der Geo- und Kosmoswissenschaften nach dem momentanen Kenntnisstand in einem Kurzzeitrahmen nicht plausibel deutbar sind. Dies in einer so ausführlichen Darstellung wie in den Erläuterungen zu den 95 Thesen nicht zu thematisieren, halten wir für unredlich. Wissenschaftliche Mitarbeiter der SG Wort und Wissen haben bis zuletzt auf zahlreiche gravierende fachliche Mängel der „95 Thesen“ hingewiesen und deshalb von einer Publikation abgeraten.

3. Die Thesen lassen kaum Selbstkritik und Ergebnisoffenheit erkennen.
Naturwissenschaftliche Debatten sind i.d.R. dadurch gekennzeichnet, dass die vertretenen Positionen hinterfragbar sind und im Prinzip widerlegt werden können. Weiterhin ist man sich der Vorläufigkeit des derzeitigen Wissensstandes bewusst, woraus sich eine Ergebnisoffenheit gegenüber zukünftigen Forschungsergebnissen ableitet. Kenner und Vertreter kosmologischer und geologischer Entwicklungskonzeptionen sowie Evolutionsbiologen können und werden auf die von ProGenesis vorgelegten Thesen wissenschaftlich begründete Kritik formulieren. Dem sollte mit einer Haltung vorgebaut werden, die Selbstkritik, Anerkennung guter Argumente anderer Positionen und die Begrenzung der eigenen Sichtweise erkennen lässt. Hier geht es insbesondere um die eigene Glaubwürdigkeit. Die von ProGenesis vorgelegten Thesen lassen sehr wenig Offenheit zur Selbstkritik erkennen und zeichnen daher auch in dieser Hinsicht ein sehr einseitiges und somit unrealistisches Bild vom Stand und dem Niveau der wissenschaftlich begründeten Evolutionskritik im deutschsprachigen Raum.

4. Der historische Vergleich mit Luthers Thesen ist unangemessen.
Die Verbindung des Datums von Darwins Publikation „Über die Entstehung der Arten“ am 24. 11. 1859 mit der öffentlichkeitswirksamen Präsentation der von ProGenesis formulierten Thesen am 24. 11. 2009 ist durchaus nachvollziehbar. Die Inanspruchnahme einer vergleichbaren historischen Bedeutung, wie sie den 95 Thesen von Martin Luther durch die Geschichte zugeschrieben wurde, ist inhaltlich jedoch unangemessen und eine Anmaßung, die Christen nicht gut ansteht. Die damalige Situation ist weder im Blick auf die sich gegenüber stehenden Parteien noch mit den zur Diskussion stehenden Themen mit der jetzigen Auseinandersetzung vergleichbar. ProGenesis verwendet die Zahl 95 ausdrücklich, um diesen Vergleich pointiert herstellen zu können. Darüber hinaus sind die Thesen teilweise redundant oder ähnlich, ein großer Teil hat gar keinen Thesencharakter; die Zahl 95 erscheint künstlich inszeniert. Die SG Wort und Wissen lehnt diesen kampagnenartigen Stil in Fragen, die Wissenschaft und Glauben betreffen, ab.

Die Position der Studiengemeinschaft Wort und Wissen
Die SG Wort und Wissen weist auf die Begrenzungen eines naturalistischen Ansatzes zur Erkenntnisgewinnung mittels empirischer Forschung hin. Sie vertritt einen biblisch-heilsgeschichtlichen Realismus. Das heißt: Gott hat in der Geschichte der Welt so gehandelt, wie es die biblischen Autoren beschreiben; daher widersprechen wir naturalistischen und evolutionären Ansätzen, die dieses konkrete Handeln Gottes ablehnen. Gemäß dem Motto „Wort und Wissen“ betrachten wir die Selbstkundgabe Gottes in der Heiligen Schrift als vorrangig vor allem menschlichem Wissen. Die Arbeit der SG Wort und Wissen soll daher den Zusammenhang zwischen Evolutionskritik, Schöpfungslehre und dem Evangelium deutlich machen.
Wir räumen aber ein, dass zahlreiche wissenschaftliche Befunde und Modellierungen die Vorstellung einer Evolution der Lebewesen und großer Zeiträume der Erdgeschichte stützen, wenn auch nicht beweisen. Daher halten wir es für angemessen, nur von einer Konkurrenz verschiedener Ursprungsvorstellungen zu sprechen, wie dies als eigentliche – u. E. jedoch nicht umgesetzte – Zielsetzung der 95 Thesen angedeutet wird (Wunsch nach offener Diskussion).
Naturwissenschaftliche Argumente haben eine gegenüber dem offenbarten Wort Gottes qualitativ andere Bedeutung. Sie besitzen dienende Funktion, um beispielhaft die Glaubwürdigkeit der biblischen Wahrheiten zu unterstreichen, dürfen aber nicht zur Basis oder Beweis des Glaubens werden, denn ihr Wahrheitsgehalt kann sich durch neue Befunde oder neue Modellierungen jederzeit verändern.

Im Auftrag der Studiengemeinschaft Wort und Wissen:
Reinhard Junker
Henrik Ullrich

Kritiken zu einzelnen Thesen können bei der Geschäftsstelle der SG Wort und Wissen angefordert werden.