Antidarwinismus in Polen – Wissenschaftliche Kontroverse und Politik
Die Kontroverse
Am 11. Oktober organisierte der polnische EU-Abgeordnete Maciej Giertych eine wissenschaftliche Konferenz im Europäischen Parlament mit evolutionskritischer Zielsetzung. Zusätzlich sorgen derzeit antidarwinistische Äußerungen des stellvertretenden polnischen Bildungsministers Miroslaw Orzechowski in Polens Schul- und Universitätslandschaft und in der internationalen Wissenschaftswelt für Aufregung.
Maciej Giertych, Vater des jetzigen polnischen Bildungsministers Roman Giertych, war ehemals Leiter des Genetikressorts der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN). Seit den 1980ern stellt er die von Charles Darwin begründete Evolutionstheorie primär aufgrund wissenschaftlicher Erwägungen in Frage.
Diese Auseinandersetzung stellt sich nun jedoch für den Beobachter mehr und mehr als politisch motivierte Kampagne dar. Der für die konservative Liga der Polnischen Familien (LPR) tätige stellvertretende Bildungsminister bezeichnete in der Gazeta Wyborcza vom 14. 10. 2006 die Evolutionstheorie als eine „Lüge“, welche „durch uns zur allgemeinen Wahrheit legitimiert wurde“. Weiter stelle sie eine schwache Theorie dar, die von einem alten Ungläubigen aufgestellt wurde, vielleicht aufgrund seiner vegetarischen Ernährungsweise und des „fehlenden Feuers“ in ihm. Orzechowski rief zu einer Debatte auf, die klären soll, ob Darwins Theorie in den Schulen noch gelehrt werden kann. „Wir wollen nicht Darwins Theorie aus den Schulbüchern streichen, sondern wir sollten anfangen, darüber zu diskutieren.“
Widerspruch
Die PAN reagierte sofort mit einer offiziellen Erklärung. Darin heißt es u.a., dass das Niveau der polnischen Schulbildung gefährdet sei, sollte die Evolutionstheorie tatsächlich aus den Lehrplänen verschwinden. Der polnische Minister für Wissenschaft, Michal Sewerynski, kritisiert die Äußerungen Orzechowskis heftig. Gegenüber dem Wissenschaftsmagazin Nature (Jg. 443 vom 26. 10. 2006) sagte er: „Es gibt keine Notwendigkeit für eine solche Diskussion. … Die wissenschaftlichen Beweise sind eindeutig und die Meinung einer Minderheit wird die Lehrinhalte in den Schulen nicht ändern.“ Weiter zitiert das Wissenschaftsmagazin Zylicz einen Mitunterzeichner der o.g. Erklärung: „Der Punkt, welcher wirklich einer weiteren Diskussion bedarf, betrifft nicht die Evolution, sondern die Frage, wie ein Minister solche dummen Dinge sagen kann.“
In Polen treibt diese Form der Evolutionskritik unterdessen eine massive politische Kampagne der Gegner Roman Giertychs voran. Für den 25. November ist eine Großdemonstration in Warschau angekündigt, zu der landesweit aufgerufen wird, um gegen die Bildungspolitik der LPR zu protestieren.
Stellungnahme von Wort und Wissen
Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen hat sich in der Vergangenheit mehrfach zur Rechtfertigung und Umsetzung einer wissenschaftlich begründeten Kritik an der Evolutionslehre und deren Einbindung in den Biologieunterricht geäußert: Sachlich begründete, auch fundamentale Kritk an der Evolutionstheorie soll Teil des Biologieunterrichts sein (vgl. Internetlink am Ende).
Die Studiengemeinschaft hält es jedoch nicht für angebracht, die Evolutionslehre und einzelne Evolutionstheorien pauschal als Lügen zu bezeichnen und ihre Vertreter auf diese Weise zu diskreditieren. Die Darstellungen Orzechowskis über die Grundlagen, auf denen Charles Darwin seine Abstammungslehre formulierte, stimmen zudem nicht mit dem historischen Befund überein und tragen ausgeprägte polemische Züge (vgl. A. Desmond &. Moore, Darwin. München, 1992).
Denjenigen, die keine kritische Diskussion über die „Tatsache“ der Evolution wünschen, liefert der Stil der zitierten Aussagen des polnischen Politikers bedauerlicherweise einen Anlass, um ihre Position in der Öffentlichkeit zu untermauern.
Die Lösung einer wissenschaftlichen Kontroverse kann nicht die Aufgabe der Politik sein. Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen spricht sich vielmehr dafür aus, die Konkurrenz wissenschaftlicher Theorien und Ursprungslehren allein auf der Basis wissenschaftlicher und wissenschaftstheoretischer Argumente auszutragen, auch wenn dies in jüngerer Vergangenheit oft blockiert wurde. Die Studiengemeinschaft hält es daher nicht für angebracht, politische und juristische Schritte einzuleiten, um vom Staat den Unterricht alternativer Schöpfungslehren im Fach Biologie einzufordern oder gar den Unterricht der Evolutionslehre zu verbieten. Dies gilt, auch wenn die Studiengemeinschaft die Evolutionslehre als Gesamtanschauung von der Geschichte des Lebens aus naturwissenschaftlichen und theologischen Gründen ablehnt und eine biblische Schöpfungslehre vertritt. Eine ausführliche Begründung dafür wurde im Pressetext „Evolution und Schöpfung in der Schule“ gegeben.