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Sedimentfolgen und ihre Interpretation: Zyklostratigraphie und das Milankovitch-Zyklen-Syndrom


Artikel als PDF-Datei (140 Seiten, 4166 KB, Stand: 11.06.2018)

Fragestellung

Es gilt als weithin anerkannt, dass quasi-periodische Oszillationen in der Position von Erde und Sonne, sogenannte Milankovitch-Zyklen, in der geologischen Vergangenheit signifikante Variationen des Klimas verursacht haben. Diese astronomisch erzwungenen klimatischen Veränderungen wiederum bewirkten eine klimatisch-sensitive Sedimentation, die sich in der (zyklisch-) stratigraphischen Überlieferung zeigt.

Die Untersuchung dieser Art sedimentärer Zyklen geschieht durch die Zyklostratigraphie. Die astronomische Kalibrierung solcher Zyklen führt zur Astrochronologie und der Konstruktion der Astronomischen Zeitskala.

Zyklostratigraphie und Astrochronologie allerdings gründen auf fundamentale Voraussetzungen: Die einleitenden zwei Sätze können auch als Basisannahmen gelesen und verstanden werden. Die theoretischen Milankovitch-Zyklen (Hauptzyklen) haben eine rechnerische Dauer von 19 bzw. 24 (Präzession), 41 (Obliquität) und 99 bzw. 405 (Exzentrizität) Tausend [astronomischen] Jahren1,2. Unsere Beobachtungsdaten allerdings reichen nur etwa 300 Jahre zurück. Mit der astrochronologischen Methode wird also der Versuch unternommen, über eine Extrapolation der rechnerisch ermittelten Erdbahnvariationen in die Vergangenheit [theoretische] langperiodische Zyklen zu generieren und diese für Datierungszwecke zu nutzen.

Es stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls wie die theoretischen Milankovitch-Zyklen konkret identifiziert bzw. nachgewiesen werden. Es kann weiter gefragt werden, ob mit der astrochronologischen Methode eine valide Zeitskala konstruiert werden kann.

 

Zusammenfassung

(1) Die Idee, gewisse sich wiederholende Muster in der sedimentären Überlieferung als Ausdruck wechselnden Klimas zu deuten und diese gedeuteten Klimawechsel theoretischen langperiodischen Oszillationen der Erdparameter zuzuschreiben (orbitale Steuerung des Klimas), entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (z. B. Gilbert 1895).

(2) Die A-priori-Annahme eines einfachen linearen Systems, „orbitaler Input à klimatischer Output“ bzw. „Insolation à Klima à sedimentäre Überlieferung“, für die geologische Vergangenheit ist spekulativ und bisher nicht verifiziert worden.

(3) Mit der A-priori-Annahme eines einfachen linearen Systems (Punkt 2) wird eine mögliche „Überprüfung“ impliziert, nämlich die Suche nach – als Klimaindikatoren ausgewiesenen – Proxies, die ein entsprechendes (korrelierbares) Zeit-periodisches Verhalten aufweisen. Dabei handelt es sich um einen Zirkelschluss. Denn zuvor ist das künstliche, simple „orbital-geologisches Universum“ geschaffen worden, um es sodann einem einfachen, dafür konstruierten (geologischen) Test einer eigen-konstruierten Beweisführung unterziehen zu können.

(4) Das „stratigraphische System“ weist – sowohl hinsichtlich der „Verarbeitung“ als auch des Outputs – deutlich alle Charakteristika nichtlinearer Dynamik auf. Es ist unwahrscheinlich, dass die stratigraphische Überlieferung als Produkt eines solchen nichtlinearen (chaotischen) Systems ein eingehendes (schwaches) Signal – wie das der Insolation – quasi 1:1 (linear, vgl. Punkt 2) abgebildet hat.

(5) Periodenübereinstimmungen und Verhältniszahlen sind für einen Nachweis orbitaler Kontrolle wertlos: Kalkulierte Perioden (mittelskaliger) sedimentärer Zyklen fallen geradezu zwangsläufig in das Milankovitch-Frequenzband3. Eine Milankovitch-Band-Periodizität braucht nicht mit einer Orbitalsteuerung gleichgesetzt werden; alternative Mechanismen können „Zyklen“ erzeugen (u. a. Autozyklizität). Verhältnisse von Periodizitäten zueinander (unabhängig, ob Dicke oder Zeit gewählt wird) sind wertlos, da zu viele Verhältnisse zwischen Paaren von Periodizitäten vorliegen, die von der astronomischen Theorie vorhergesagt werden.

(6) Beim Orbitaltuning werden zeitkalibrierte (stratigraphische) Wertereihen, also initiale Zeitreihen, auf theoretische Orbitalperioden (Milankovitch-Zyklen) getunt (eingephast). Die dabei erreichte, hohe Übereinstimmung („Gleichphasung“) mit der Zielkurve wird von einigen Bearbeitern als Nachweis für das Vorliegen von Milankovitch-Zyklen betrachtet. Das ist ein Zirkelschluss.

(7) Die Anwendung der Zeitreihenanalyse, insbesondere der spektralen Analyse, zur Ermittlung bzw. Aufdeckung von Zyklen erfolgt zielgerichtet. Durch eine Reihe von Maßnahmen können begünstigende4Umstände für den Ausweis von mehr und ggf. signifikanzverstärkenden Signalen („Zyklen“) geschaffen werden; z. B. durch die Datenvor- und -aufbereitung, die Wahl der spektralen Darstellung/des Schätzmodells, die Wahl der Parameter, durch subjektive Bereinigung, visuelle Betonung und Wahl der Signifikanz-Level.

(8) Die spektrale Analyse kann wahre Zyklen nicht identifizieren. Bei den Wertereihen („Zyklen“/m), insbesondere aber bei den Zeitreihen („Zyklen“/Zeiteinheit) sind das Alters- und/oder das Sedimentationsmodell maßgeblich; beide Modelle beruhen auf substantiellen, nicht verifizierbaren Annahmen.

(9) Die spektrale Analyse kann Zyklen nicht abschließend beweisen. Durch die Modell-Transformation in eine Sinusfunktion erfolgt eine „Mittelung“ und „Abstrahierung“; die spektrale Darstellung bezieht sich nicht auf die konkreten Rohdaten, sondern auf die zuvor errechnete Sinusfunktion („Welle“), die Schätzung. Abrupte Wechsel, Asymmetrien, rhythmische Charakterisitika etc. verlieren so ihre Bedeutung; Mittelung und Abstrahierung können eine begünstigende Aufwertung  zu (reiner) Zyklizität bewirken.

(10) Der Zyklostratigraphie und der Astrochronologie liegt implizit die A-Priori-Annahme einer Realität von Langzeit-Variationen der Erdbahnparameter zugrunde, die möglicherweise die gesamte geologische Spanne des Phanerozoikums umfassen5. Maßgeblich hierfür ist eine weitere A-priori-Annahme, dass die radiometrisch geeichte Geologische Zeitskala valide ist und die radiometrischen Alter mit Realalter gleichgesetzt werden können6.

(11) Die orbitale Steuerung des [pleistozänen] Klimas als Realität zu bezeichnen und als Tatsache festzuschreiben ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht befremdlich.

Insgesamt ist festzuhalten, dass ein Nachweis von Milankovitch-Zyklen (bzw. lang-periodischer Orbitalsteuerung) in der stratigraphischen Überlieferung bisher nicht erbracht worden ist. Dies bezieht sich insbesondere, aber nicht ausschließlich auf die systematisch-methodische Vorgehensweise der Zuweisung und des Tunings.

 

Schlussfolgerung

(1) Die Milankovitch-Theorie ist nicht bewiesen. Ein Nachweis darüber, dass die stratigraphische Überlieferung durch eine lang-periodische Orbitalsteuerung (Milankovitch-Zyklen) beeinflusst wurde, ist bisher nicht erbracht worden. Die methodischen Zuweisungen basieren auf einer zufälligen bzw. zwangsläufigen Übereinstimmung von Milankovitch-Band-Periodizität (im Rahmen der radiometrischen Skalierung) und bisher nicht verifizierten A-priori-Annahmen.

(2) Demnach ist die Astrochronologische Methode, die Ziel-Eichung (vermeintlich) zyklischer Sedimentfolgen auf die astronomische Skala, eine scheinbare Altersbestimmungsmethode. Die durch die Methode zielgerichtete, erwirkte Befüllung und Belebung dieser theoretischen Zeitskala ist virtueller Natur. Im Grunde genommen erfolgt lediglich eine Segmentierung der radiometrisch begründeten Skala in Einheiten von bspw. 21, 41 oder 405 Tausend radiometrischen Jahren.

(3) Die Astronomische Zeitskala (ATS) – auf Basis der Astrochronologischen Methode – ist eine fiktive Zeitskala. Sie kann allenfalls als uneigenständiges Derivat der Geologischen Zeitskala (GTS) betrachtet werden. Demzufolge ist die Astronomische Zeitskala keine unabhängige und absolute Zeitskala neben der Geologischen Zeitskala; sie kann die radiometrisch begründete Geologische Zeitskala nicht verifizieren (bestätigen).

 

Anmerkungen

1 Nach Hinnov und Hilgen (2012, 63).
2 Zu den unterschiedlichen Abkürzungen und Schreibweisen von Jahreszahlen siehe Kap. 10 unter Stichwort Zeitangaben.
3 Unter der Voraussetzung einer Gleichsetzung astronomischer und radiometrischer Alter.
4 Und damit ggf. irreleitende Umstände.
5 Eine Stabilität wird für den theoretischen langen Exzentrizitätszyklus angenommen.
6 Siehe aber Kotulla (2014).