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Plastizität der Lebewesen: Baustein der Makroevolution?


Artikel als PDF-Datei (42 Seiten, 1139 KB, Stand: 15.02.2016)

Zusammenfassung:

Unter Plastizität wird die Fähigkeit von Organismen verstanden, auf der Basis desselben Genotyps* mehrere Phänotypen* als Reaktion auf Umweltreize ausbilden zu können. Plastizität kann kontinuierlich sein (man spricht dann von Reaktionsnorm des Merkmals) oder diskontinuierlich (Polyphänismus). Ein Beispiel für eine Reaktionsnorm ist die Anzahl der Roten Blutkörperchen im Blut abhängig vom Sauerstoffgehalt der Luft, ein Beispiel für einen Polyphänismus sind alternative Ausprägungen des Flügelmusters von Schmetterlingen (z. B. Sommer- und Winterform). Ein Großteil der Merkmale der Lebewesen ist plastisch; Plastizität ist ein universelles Phänomen in der belebten Welt.

Plastizität beinhaltet zum einen die Fähigkeit des Organismus, auf Störungen (genetische oder Umwelt-Änderungen) zu reagieren, um einen bestimmten Zustand aufrechtzuerhalten oder (wieder) zu erreichen. Zum anderen ermöglicht Plastizität vorprogrammierte angepasste Reaktionen bei regelmäßig, gelegentlich oder nur ausnahmsweise auftretenden Umweltänderungen. Plastizität wird also nur bei (zum Teil seltenem) Bedarf genutzt. Plastizität ermöglicht den Organismen, Sollwerte (Ziele) zu erreichen oder beizubehalten, indem z. B. Störungen oder Änderungen durch Kompensationen ausgeglichen werden. In diesem Sinne weist Plastizität eine telelogische Komponente auf. Insoweit Plastizität eine auf seltene potentielle zukünftige Erfordernisse ausgerichtete Eigenschaft ist, kann sie selektiv nicht gleichermaßen bewertet werden wie „gewöhnliche“ Merkmale. Denn plastische Fähigkeiten werden häufig nicht ausgebildet und sind dann selektiv nicht bewertbar. Dennoch gilt es als vielfach erwiesen, dass Plastizität durch Selektion verändert werden kann (z. B. Verschiebung von Schwellenwerten, Verringerung, Vergrößerung oder Verschiebung plastischer Reaktionsmöglichkeiten). Umweltbedingungen können Plastizität fördern oder einschränken. Das Vorhalten plastischer Reaktionsmöglichkeiten beinhaltet Kosten für den Organismus, die in die selektive Bewertung von Plastizität einfließen. Der Ursprung der Plastizität wird in der Fachliteratur kaum thematisiert.

Plastizität wird vielfach als Evolutionsfaktor diskutiert. So könnten plastische Änderungen Vorreiter nachträglicher genetischer Änderungen sein. Plastische Änderungen betreffen sofort die ganze Population in einer bestimmten Umwelt und müssen sich nicht erst über viele Generationen hinweg durchsetzen, allerdings sind sie solange reversibel, bis sie durch nachfolgende genetische Änderungen fixiert werden. Plastizität wird auch als Quelle für evolutionäre Neuheiten diskutiert: durch starke Umweltänderungen könnten plastische Merkmale ausgeprägt werden, die sonst nicht zum Vorschein kommen und zu Ansätzen für Neubildungen werden. Andererseits schützt Plastizität vor Selektion (durch plastische Änderung sonst unangepasster Merkmalsausprägungen) und kann somit einen evolutionären Wandel auch bremsen.

Eine Reihe von Befunden deutet darauf hin, dass ein hohes Maß an Plastizität ursprünglich ist (eine Form von Polyvalenz), während geringere Plastizität („Kanalisierung“) eher eine abgeleitete, spezialisierte Situation ist. Das kann auch Artbildung begünstigen, besonders bei Polyphänismen. Dieser Aspekt ist für die Grundtypenbiologie interessant. Aus der Sicht der Schöpfungslehre kann Plastizität als teleologisches Konzept (inklusive ihrer eigenen Formbarkeit) als Ausdruck weiser Voraussicht interpretiert werden.